Die Story von Tausenden nach Europa geschmuggelten IS-Kämpfern

Immer wieder wird Angst von Medien und Politikern geschürt, dass IS-Terroristen mit den Flüchtlingsströmen ins Land kommen könnten

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Die britische Zeitung Sunday Express, vergleichbar der Bild-Zeitung, verbreitet eine Story, nach der ihr ein "syrischer Mitarbeiter" des Islamischen Staats berichtet habe, dass man mit den Flüchtlingsströmen über die Türkei und Griechenland angeblich mehr als 4000 IS-Kämpfer nach Europa schmuggeln konnte. "Wartet nur", soll der 30-Jährige gesagt haben. Die Kämpfer seien einsatzbereit und der Beginn einer Racheaktion für die Luftangriffe auf den IS.

Die Story klingt ganz nach IS-Propaganda, die von der britischen Zeitung weitergereicht wird. Schon allein die Zahl von 4000 eingeschmuggelten Kämpfern hat mehr von einem Märchen aus Tausend und einer Nacht als von möglicher Wirklichkeit. Es beschleicht einen aber noch ein anderer Verdacht, wenn man liest, dass der angebliche Mitarbeiter gesagt haben soll, der IS beute die "Großzügigkeit der reichen Länder gegenüber Flüchtlingen aus, um nach Europa zu gelangen". Großbritannien hat sich bislang nicht sehr großzügig gezeigt und will jetzt in einem Zeitrahmen von 5 Jahren gerade einmal 20.000 Menschen ins Land lassen, also so viele, wie gerade in München an einem Tag angekommen waren.

Zufällig kam die "Nachricht" auch gerade an dem Tag auf, an dem der britische Regierungschef dem Parlament verkündete, dass eine britische Reaper-Drohne in Syrien zwei britische IS-Kämpfer getötet habe - angeblich strikt in Selbstverteidigung, da diese Anschläge in Großbritannien geplant hätten (Großbritannien: Gezielte Tötung per Drohne in Syrien). Der Angriff, der am Parlament vorbei und mit einer waghalsigen Rechtfertigung beschlossen wurde, fand wiederum auf dem Hintergrund statt, dass die britische Regierung, vermutlich gedrängt von den USA und unter dem Druck, etwas gegen die Flüchtlingswelle unternehmen zu müssen, die Luftangriffe auf IS-Stellungen im Irak auch auf Syrien erweitern will.

Erst vor wenigen Tagen hatte Ukip-Chef Nigel Farage, wie das gerne rechte und ausländerfeindliche Politiker suggerieren, noch davor gewarnt, dass der IS mit den Flüchtlingsströmen Europa mit Kämpfern "überfluten" könne, um dabei Merkels Großzügigkeit zu kritisieren. Das sei eine sehr realistische Sorge, die Briten sollten "nicht zulassen, dass unser Mitgefühl die Sicherheit gefährdet". Merkel habe einen hohen Anreiz gesetzt.

Er verwies darauf, dass man besser darauf hören sollte, "wenn der IS sagt, dass sie die Flüchtlingswelle nutzen werden, um Europa mit 500.000 ihrer Dschihadisten fluten werden". Die Zahl von IS-Kämpfern ist dabei schon so verwegen hoch getrieben, dass niemand dies ernst nehmen sollten, aber das macht Rechtspopulisten wie Farange nicht viel aus: "500.000 mögen nicht realistisch sein, aber was ist, wenn es 5.000 sind, was ist, wenn es 500 sind? Und schon einer der IS-Terrorverdächtigen, die den ersten Angriff auf Urlauber in Tunesien gemacht haben, ist gesehen worden, wie er aus einem Boot auf italienischen Boden gestiegen ist." Schon vor Monaten hatte er die große Gefahr beschworen, die von dem "Exodus" von Flüchtlingen ausgehe, der "biblische Ausmaße" angenommen habe.

Express und Ukip scheinen also Hand in Hand zu arbeiten, gut möglich, dass auch aus dem Umkreis der britischen Tories solche Ängste beschworen werden, um weniger Flüchtlinge aufzunehmen, dafür aber das militärische Vorgehen auszubauen. Interessant ist auch, wer die Story weiter verbreitet, um Angst zu schüren. So wird sie von der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Sputniknews ohne kritische Distanz mehr oder weniger wörtlich wiedergegeben: "Als Flüchtlinge getarnt: IS schleust mehr als 4000 Terroristen nach Europa". Dazu gesellt sich das rechte Schweizmagazin, das ganz tief in die Angstkiste greift, man denkt ja "anders und abseits vom Mainstream":

4000 aktivierte IS-Terroristen wären beispielsweise in der Lage, in nur einer Nacht die gesamte Bevölkerung der Kantone Appenzell-Innerrhoden und Glarus bestialisch zu ermorden oder mehrere Dutzend kleinere Ortschaften zu zerstören. Sie wären auch in der Lage, die Parlamente der europäischen Regierungen zu stürmen und alle Parlamentarier mit einem einzigen Schlag zu ermorden. Davor gibt es keinen Schutz. De- facto wären so die betroffenen Länder ohne Regierung, völlig destabilisiert und es würden Chaos und Bürgerkrieg ausbrechen.

Schweizmagazin

Die International Business Times schwimmt ebenfalls auf der Welle mit. Schon zuvor hatte die Welt Ende Juni propagiert: "Das nächste größere Schlachtfeld ist Europa". Mit Verweis auf einen "griechischen Experten für Terror" wird dann erklärt: "Für die heimlichen Gesandten des IS ist Griechenland offenbar eines der wichtigsten Tore nach Europa. Hier haben sie auch die perfekte Tarnung: den unüberschaubaren Strom ihrer fliehenden Opfer. 200.000 syrische Flüchtlinge sind bislang nach Europa gelangt, und unter sie haben sich zahlreiche Mitglieder des IS gemischt, ist sich Michaletos sicher." Das muss reichen, um die "Nachricht" weiterzugeben, wobei man sich fragen kann, ob dies reflexionslos der Propaganda des ISoder von rechten ausländerfeindlichen oder islamophoben Strömungen zuarbeitet oder nur für eine höhere Klickraten sorgen soll.

BND-Chef Gerhard Schindler erklärte gegenüber Bild, es gebe keine erhöhte Terrorgefahr durch die Flüchtlingswelle: "Wir haben derzeit keine konkreten Hinweise darauf, dass unter den Flüchtlingen Terroristen sind." Es sei aber nicht auszuschließen, dass sie die "vorhandenen Schleuserstrukturen" nutzen. Gefahr gehe von deutschen IS-Rückkehrern aus, andere IS-Kämpfer würden wohl eher "mit gefälschten oder gestohlenen Papieren und einem Flugticket" reisen und sich nicht unter die Massen auf dem gefährlichen und anstrengenden Weg mischen.

Gefälschte syrische Pässe sind hingegen bei Flüchtlingen aus arabischen Ländern gefragt, wie Frontex-Chef Leggeri sagte, die sonst wenig Chancen haben, in Europa aufgenommen und anerkannt zu werden. Wie viele gefälschte syrische Pässe Frontex sichergestellt hat, wollte er aber nicht sagen. In der Türkei soll es einen florierenden Schwarzmarkt dafür geben. Der deutsche Zoll will einige Pakete mit gefälschten Pässen abgefangen haben (Koalitionsgipfel beschließt Maßnahmenpaket zum Asylbewerberandrang).