Entschlossene Flüchtlinge - ratlose Polizei

Flüchtlinge blockieren Lübecker Hauptbahnhof, um die Weiterreise nach Dänemark und Schweden zu erreichen

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Heute morgen gegen 8 Uhr stoppte die Bundespolizei einen Zug auf dem Lübecker Hauptbahnhof. Darin saßen etwa 250 Flüchtlinge, die aus München kommend nach Dänemark oder Schweden weiterreisen wollten. 150 von ihnen sind unterdessen auf dem Weg in die Zentrale Erstaufnahmestelle (ZEA) im niedersächsischen Oldenburg, sie weigern sich aber, den Zug, der sie dorthin brachte, zu verlassen.

Die anderen harren auf dem Lübecker Bahnhof aus und blockieren einen Bahnsteig. Schleswig-Holsteins Innenminister Stefan Studt (SPD) hat sich eingeschaltet und verhandelt mit der schwedischen Regierung. Wie Medien berichten soll den Flüchtlingen nun doch erlaubt werden, den nächsten Zug in Richtung Kopenhagen zu besteigen. Allerdings stehen ihre Chancen, die Grenze nach Dänemark passieren zu können, schlecht.

Für die Aufnahme von Flüchtlingen hat die EU ein striktes Regelwerk erlassen. So dürfen Flüchtlinge wieder ausgewiesen werden, wenn sie aus einem so genannten sicheren Herkunftsland kommen. Dazu sollen nach Willen der Bundesregierung demnächst auch Albanien, Montenegro und Kosovo gehören.

Außerdem dürfen EU-Staaten Flüchtlinge nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II), dem so genannten Dublin-II-Abkommen, wieder zurückschicken, wenn sie aus so genannten sicheren Drittstaaten kommen, d.h. konkret, dass Flüchtlinge gezwungen sind, Asyl in dem Staat zu stellen, den sie als erstes europäisches Land betreten.

Doch weder die betroffenen Grenzstaaten noch die Flüchtlinge sind glücklich über diese Regelung. So schickten z.B. die italienischen Behörden die inzwischen weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus berühmten ca. 300 Lampedusa-Flüchlinge auf die Weiterreise, statt sie aufzunehmen. Sie strandeten im Herbst 2012 in Hamburg, kamen im so genannten Winternotprogramm in einer Obdachlosenunterkunft unter und sind seit April 2013 obdachlos. Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) will sie aufgrund des Dublin-II-Abkommens nach Italien zurückschicken, Italien will sie nicht zurück, und die Flüchtlinge ihrerseits wollen in Hamburg bleiben.

Ein ähnliches Drama zeichnet sich gerade in Lübeck ab. Etwa 250 Flüchtlinge aus Afghanistan, Eritrea und Syrien hatten sich in München auf den Weg nach Dänemark oder Schweden gemacht. Zum Teil haben sie dort Bekannte und Verwandte. Sie haben ein gültiges Zugticket, aber keine Papiere, geschweige denn die Weiterreise-Genehmigung von Dänemark.

Der Zug wurde deshalb in Lübeck an der Weiterfahrt gehindert, nachdem die Flüchtlinge sich geweigert hatten, auszusteigen. Stunden später verließen sie den Zug dann doch, und riefen Parolen wie "We go Denmark! We go Sweden!"

Inzwischen wurde ein Teil von ihnen nach Oldenburg gebracht. Laut Polizei brachte sie ein Zug dahin. Wobei nicht klar ist, ob derselbe Zug, in dem die Flüchtlinge heute morgen in Lübeck angekommen sind,und den sie z.T. seitdem nicht verlassen haben, einfach nach Oldenburg weitergeleitet wurde. Der Radiosender NDR 1 Welle Nord Schleswig-Holstein berichtete, es sei ein totales Chaos ausgebrochen, weil z.B. Kinder sich in dem Zug nach Oldenburg befunden hätten, deren Eltern in Lübeck auf dem Bahnsteig standen. Das lässt darauf schließen, dass die Abfahrt nicht angekündigt war, und die Reisenden nicht freiwillig an Bord sind. Die betreffenden Eltern wurden jeweils mit Polizeiautos zu ihren Kindern gebracht.

Die Lage war und ist sehr unübersichtlich. Von tumultartigen Szenen ist die Rede. Zwischenzeitlich sah es so aus, als ob die Staatsmacht hart durchgreifen wolle. "Die Polizei ist ratlos", berichtete NDR 1 Welle Nord in den Mittagsnachrichten. Aber es wurde auch berichtet, dass mehr und mehr Polizeikräfte im Bereich des Bahnhofs zusammengezogen werden.

Zwischenzeitlich wurde den Flüchtlingen mehrere Optionen unterbreitet: entweder die Aufnahme in der ZEA Oldenburg (Niedersachsen), die Unterbringung in der ZEA Neumünster (Schleswig-Holstein) oder eine Notunterkunft, die das Lübecker DRK eiligst hergerichtet hat. Doch sie lehnen das alles ab und bestehen auf Weiterreise.

Unterdessen hat Innenminister Studt die Angelegenheit zur Chefsache erklärt und versucht mit der dänischen und schwedischen Regierung zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Derzeit verweigert jedoch Dänemark die Zustimmung zur Einreise.

Wie lange die Flüchtlinge, die selbst von wohlmeinenden Menschen gebotenes Trinkwasser und Nahrung ausschlugen, noch am Lübecker Bahnhof ausharren werden, ist derzeit nicht abzusehen. Ebenso wenig wie einzuschätzen ist, ob Studt deren Aufnahme bei seinen schwedischen Verhandlungspartnern erreichen kann.

Offenbar wurde ihnen letztendlich doch die Weiterreise gestattet. NDR 1 Welle meldete in den 17-Uhr-Nachrichten, die Flüchtlinge würden nach Behördenangaben nicht daran gehindert, den nächsten Zug nach Kopenhagen zu besteigen. Allerdings bestehen keine Aussichten, dass sie die dänische Grenze werden passieren können. Also bleibt es spannend. Die Frage ist, wie die Betreffenden auf den zu erwartenden Stopp durch dänische Behörden reagieren. Und wie sich die Lage in Oldenburg weiter entwickelt.