Beim Anwaltsnotdienst auf dem G 7 Gipfel

Eine kritische Betrachtung

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Am 1. Juni kam über die Berliner Strafverteidigervereinigung ein Aufruf der Rechtsanwaltskammer München, es würden Anwälte für den Anwaltsnotdienst auf dem G 7 Gipfel gesucht. Den Notdienst hatte die Rechtsanwaltskammer München zusammen mit dem RAV und engagierten Kollegen organisiert, um bei Festnahmen und Gewahrsamnahmen anwaltliche Hilfe anbieten zu können. Bedingung: Anfahrt, Unterkunft und Verpflegung auf eigene Kosten. Der Kollege Sch. und ich entschlossen uns, kurzfristig unsere Hilfe als Strafverteidiger zur Verfügung zu stellen. Von Samstag bis Montag, also in der Zeit, in der am ehesten mit Auseinandersetzungen zu rechnen war, wollten wir uns dem Anwaltsteam anschließen. Hier ein kurzer Bericht der Erlebnisse.

Samstag, vier Uhr früh, also zu nachtschlafender Zeit, ging es los. Wir wollten rechtzeitig vor der Hauptdemonstration vor Ort sein. Auf der Fahrt gehen wir noch mal die möglichen Rechtsnormen durch, die für uns wichtig sein könnten. Was konnte uns erwarten und wie sollten wir agieren?

Wir hofften auf eine Einweisung durch die Kollegen vor Ort. Im Vorfeld hatte man uns darauf vorbereitet, dass die Zufahrt nach Garmisch-Partenkirchen einige Zeit dauern könnte, weil zahlreiche Fahrzeugkontrollstellen eingerichtet wurden. Wir waren gespannt. Bereits in der Höhe von Nürnberg wiesen mobile Leuchttafeln darauf hin, dass München völlig überlastet sei und man über Regensburg fahren solle, wenn man nach Österreich wollte. Wir richteten uns auf Stunden im Stau ein. Wider Erwarten kommen wir gut durch.

München wirkte wie am Sonntagmorgen. Die Straßen waren leer. Schon hier bekam man einen Vorgeschmack auf das, was uns erwarten würde. Auf den Straßen durch die Stadt waren überall Halteverbotsschilder aufgestellt. An jeder Straßenkreuzung, in jeder Verkehrsbucht und auf jeder Brücke standen Polizeifahrzeuge. Mir schien es, als seien die Polizeibeamten so aufgestellt, dass die Abstände maximal Sicht- bzw. Rufweite betrugen.

Auf der A 95 gab es nicht eine Anhaltebucht, Straßenmeistereiausfahrt oder einen Parkplatz, wo nicht ein Polizeiwagen die Zufahrt versperrte. An einem liegengebliebenen Pkw auf dem Standstreifen steht ein Mannschaftswagen mit Blaulicht. Wir kommen in den ersten Flaschenhals: 100 km/h, 80 km/h, 60 km/h, 40 km/h. Wir sind die Einzigen auf der Autobahn. Es fällt schwer, sich unter diesen Bedingungen an die Geschwindigkeitsbegrenzung zu halten. Zähne zusammenbeißen und Fuß vom Gas.

Die Fahrbahn wird auf eine Spur verengt. An der Kontrollstelle werden alle Fahrzeuge angehalten, um Ausweise und Führerscheine zu kontrollieren. Ein älterer bayrischer Polizeibeamter, der der Filmkulisse einer alten Folge von "Derrick" oder "Der Alte" entsprungen zu sein schien, versuchte mit geschickten Verhörmethoden aus uns herauszubekommen, ob wir Demonstranten, Journalisten oder sonstige Störer seien. Als wir nur erklärten, dass wir nach Garmisch wollten, aber den Grund der Fahrt nicht offenbarten, kam die Aufforderung: "Fahren Sie mal nach vorn zur Kontrolle, der Kollege weist Sie ein". Im Rahmen einer "allgemeinen Verkehrskontrolle" wollte man in unseren Kofferraum schauen. Wir fragten uns, ob wir uns schon jetzt an der "Staatsmacht" reiben sollten, entschieden uns dagegen und öffneten die Kofferraumhaube. Der Beamte griff sofort die Robe des Kollegen, die oben auflag und konstatierte: "Sie sind also Pastoren." Er wünschte uns einen guten Weg und entließ uns. Wir kamen jedoch nicht weit.

Nur wenige Kilometer später wurden wir erneut überprüft. Ein Beamter einer Einheit aus MV, der aussah, als wolle er in den Krieg ziehen, fragte freundlich nach unseren Papieren und dem Ziel und Zweck unserer Reise. "Same procedure as last year time." In sein Headset sprechend, teilte er mit, dass unser Fahrzeug kontrolliert wird. Der Polizist wirkte genervt, weil er wusste, dass wir nur wenige Minuten zuvor bereits überprüft worden waren. Ein kurzer Blick in den Kofferraum, dann eine Handbewegung, die uns zur Weiterfahrt auffordert.

Alle Foto: M. Seydel

Stadt im Belagerungszustand

Auf unserer Weiterfahrt begegnen wir Kolonnen von zehn und mehr Polizeifahrzeugen, außerdem Sonderfahrzeugen, wie z.B. Radladern, Funk- und Kamerawagen. In Garmisch-Partenkirchen angekommen ergab sich das Bild einer Stadt im Belagerungszustand. An jeder Ecke, in jeder Auffahrt, auf jedem Parkplatz, eigentlich auf jedem freien Platz, standen Polizeiwagen. In alle Richtungen sah man Konvois mit Blaulicht eilen. Bei diesem Aufgebot hatte der IS keine Chance. Die Stadt wirkte, soweit es die Zivilbevölkerung betrifft, leer, obwohl es fast Mittag war.

Wir kommen, auf unserem Weg zu unserer Unterkunft an einigen Läden vorbei, deren Fenster vernagelt waren. Garmisch und Umgebung haben wir scheinbar den Kulissenbauern der Disneystudios zu verdanken. Abgesehen vom Deutsch-Islamischen-Religionszentrum am Ortseingang sind alle Klischees erfüllt. Bauernhäuser mit Wandbemalungen, Kirchen, Brunnen, das milchig trübe Wildwasser der Loisach, Menschen in Trachten, Misthaufen, Traktoren, Holzschnitzereien, Wiesen, Heuschober, Berge, Wolken und blauer Himmel ergeben ein Bild der Idylle. Die Polizeihundertschaften in ihren Kampfanzügen wirken, als habe man beim Aufbau der Modelleisenbahn statt in die Kiste mit den Fahrgästen in die mit den Rittern für die Ritterburg gegriffen.

Unsere Unterkunft entspricht den übrigen Klischees. Die Pensionswirtin, eine resolute Frau von weit über achtzig, schloss uns - trotz anfänglicher Skepsis - sofort in ihr Herz. Bereits nach zehn Minuten zeigte sie uns das Soldatenbild ihres Bruders. Wir erfuhren, wie dessen Kriegsheimkehr ablief und, dass von Hitler nichts zu halten wäre, weil er Garmisch und Partenkirchen zu einer Stadt zusammenlegen ließ. Ihre Meinung zur Bundeskanzlerin und zum G7-Gipfel war klar. Alles Quatsch und: Einer Bundeskanzlerin, die Hosen trägt, sei ohnehin nicht zu trauen. Eine Frau, die was auf sich hält, trägt einen Rock oder ein Kleid. Das wisse sie, weil sie die Königin Elisabeth und Obamas Frau im Fernsehen gesehen habe. Ich frage mich, ob man das alles für uns inszeniert hat. Ist das die Truman Show?

Am Himmel kreisen Hubschrauber.

Die erste Begegnung mit den Kollegen findet in der Bayernhalle statt. Die Halle ist eine Holzkonstruktion in der Form eines großen Bierzeltes. Innen begegnen uns alle Insignien bayrischen Kulturlebens: Jagdtrophäen, Schnitzereien, Wandmalereien und viel Holz. Eine Wand, die mit der Bühne, zeigt eine Bergszene. Gemsen stehen in der Felswand. Ein Adler versucht sich eine Gams zu greifen, ein Meisterwerk bayrischer Tierpräparation. An Biertischen sitzen oder stehen die Kollegen des Anwaltsnotdienstes, zehn oder fünfzehn vielleicht. Vor sich haben sie ihre Computer, Drucker und Fachliteratur aufgebaut.

Florian van Bracht, einer der Initiatoren, begrüßt uns. Wir werden eingewiesen. Das Justizzentrum befindet sich in unmittelbarer Nähe der Bayernhalle. Hundert Richter und zahlreiche Staatsanwälte warten in einem ehemaligen Objekt der US-Besatzungstruppen, dem Abrams-Gelände, auf ihren Einsatz. Für die Gefangenen hat man Gewahrsamscontainer in großer Zahl aufgestellt. Das Land Bayern hatte keine Kosten gescheut und das Gelände zu einem Hochsicherheitsbereich aufgerüstet. Neben dem Gericht und der Staatsanwaltschaft befindet sich auch die Gefangenensammelstelle dort.

Der Versuch, wenigstens ein Anwaltszimmer im Gericht einzurichten, war gescheitert. Die Justiz stellte sich auf den Standpunkt, darauf hätte die Anwaltschaft keinen Anspruch. Der Staat lässt in solchen Situationen seine Maske fallen. Der Rechtsstaat zeigt, dass er zwar alles tut, um Bürger zu identifizieren, in Gewahrsam oder Untersuchungshaft zu nehmen, der Rechtsschutz aber spielt bei den Überlegungen der Justizplaner keine Rolle. Wie soll ein rechtsstaatliches Verfahren funktionieren, wenn es aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist, einen Verteidiger zu beauftragen?

Garmisch-Partenkirchen ist ein beschaulicher Urlaubsort, in dem es vermutlich nicht einmal eine Handvoll Rechtsanwälte gibt, die der Situation als Verteidiger gewachsen wären. Höchstwahrscheinlich gäbe es nicht einmal eine Handvoll, weil die örtlichen Kollegen dem sozialen Druck ihrer Mitbürger ausgesetzt wären. Der Rechtsanwalt, als selbständiges Organ der Rechtspflege, ist für die bayrische Justiz offensichtlich nur ein Störenfried. Man, also der bayrische Staat, will ihn auf Distanz halten, weil er ja den reibungslosen Ablauf von Verhaftungen, Schnellverfahren und Ingewahrsamnahmen behindern würde.

Wir erfahren auch, dass die örtlichen Behörden alles versucht haben, um den anreisenden Demonstranten die Möglichkeit zu nehmen, am Ort zu übernachten. Die Bauern wurden unter Druck gesetzt, ihre Wiesen nicht an die Demonstranten zu vermieten. Ein Bauer, der sich nicht einschüchtern lassen wollte, stellte seine Wiese zur Verfügung. Das Amt reagierte prompt und verbot, auf der Wiese zu zelten. Begründung: Es besteht die Gefahr eines Hochwassers. In einem Gebiet, das nie Probleme mit Hochwasser hatte.

Da die Behörden offensichtlich versucht hatten, das "Camp" "mit der Brechstange" zu verhindern, hob das Verwaltungsgericht das Verbot wieder auf. Kollegen des Anwaltsnotdienstes waren an der Entscheidung beteiligt. Also campierten tausend bis zweitausend Demonstrationsteilnehmer auf einer Wiese unweit des Abrams-Geländes, ständig von der Polizei überwacht.

Der Kollege van Bracht berichtete, dass das Anwaltsteam bisher nicht viel zu tun hatte. Einem Journalisten, der mit Helm und Gasmaske angereist war, verhalfen die Kollegen zur Herausgabe dieser Gegenstände. Die Polizei hatte sie bei einer Kontrolle als passive Bewaffnung angesehen und sichergestellt.

Natürlich fragte ich mich in meiner Naivität, was denn ein Journalist hier mit einem Schutzhelm und einer Gasmaske anfangen wollte. Wir waren doch nicht in einem Bürgerkriegsgebiet. Die Antwort darauf sollte ich noch an diesem Nachmittag erhalten. Sonst, so wird uns erklärt, seien zwar einige Demonstranten in Gewahrsam genommen, aber später wieder freigelassen worden. Obwohl Polizei und Justiz von dem Anwaltsnotdienst wussten, im Vorfeld Gespräche zwischen Rechtsanwaltskammer, Polizei und Gericht in München stattgefunden hatten und auch ein direkter Draht zu diesen bestand, spielten die Behörden Katz und Maus mit den Anwälten. Entweder es konnte nicht festgestellt werden, ob sich der Mandant im Gewahrsam befand, wo er eingesperrt war oder ob er eventuell wieder freigelassen worden war. Obschon Inhaftierte bereits seit längerem entlassen worden waren, ließ die Polizei Kolleginnen stundenlang warten, bevor man ihnen die Entlassungsinformation gab. Ein Brandbrief des Kollegen Wächtler aus München sollte etwas Entspannung bringen. Die Kollegen hatten gute Vorarbeit geleistet.

Formulare, die bei der Vertretung von Inhaftierten wichtig sein könnten, waren kopiert und standen jedem zur Verfügung. Man musste nur noch seinen Stempel daraufsetzen und unterschreiben. Rechtsanwalt van Bracht erklärte uns das Procedere der Beauftragung und der Vorgehensweise in der Gesa. Zurzeit war der überwiegende Teil der Kollegen als Demonstrationsbegleiter auf der bevorstehenden Demo. Diese sollte, um 14.30 Uhr am Bahnhof beginnend, einige Kilometer durch die Stadt laufen. Wir konnten jetzt also warten, bis die Demonstration Aufträge "abwarf", oder uns den Kollegen anschließen. Ich entschied mich, mit der Demonstration zu gehen. Der Kollege Sch. blieb bei den Anwälten, die sich um die Inhaftierten kümmern wollten. Auf einem Tisch stand ein großer Pappkarton.