"Klingendraht 22" aus Spanien: Das Symbol der Festung Europa

Eine Firma aus Malaga profitiert besonders von der Aufrüstung europäischer Landgrenzen. Für den internationalen Vertrieb wurde der Name eigens in "European Security Fencing" geändert

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Immer mehr EU-Mitglieder setzen auf Sperranlagen mit Stacheldraht, um unerwünschte Migranten von der Einreise abzuhalten. Seit 1995 stehen meterhohe Zäune an den Rändern der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla. Griechenland hat einen Zaun an 12 Kilometern seiner Landgrenze zur Türkei errichtet, der weitere Ausbau ist geplant. Auch an den Südgrenzen Bulgariens stehen mittlerweile mit Stacheldraht gesicherte Zäune. Zuletzt hatte Ungarn im Eiltempo seine 175 Kilometer lange Grenze zu Serbien auf diese Weise geschlossen. Die britische und französische Regierung haben sich geeinigt, die Versuche von Migranten in den Eurotunnel zu gelangen ebenfalls mit dem Ausbau von Zaunanlagen zu beantworten.

Während für Fluchten über das Mittelmeer das Boot zur Ikone der Migration geworden ist, gilt Stacheldraht als Symbol für die Aufrüstung an den Landgrenzen. Dabei handelt es sich um den sogenannten NATO-Draht, auf Deutsch auch als Klingendraht, Widerhakensperrdraht oder S-Draht bezeichnet.

Nato-Draht. Bild: Frank C. Müller/CC-BY-SA-4.0

Grenzen gelten als Zonen mit mittleren Sicherheitsanforderungen

In einem Feature hat die Neue Zürcher Zeitung vergangene Woche eindrucksvolle Bilder jener Grenzanlagen gesammelt, die mit NATO-Draht gesichert sind. Eine Firma aus Malaga in Spanien preist sich als Europas einziger Hersteller und profitiert damit besonders von der immer stärker gesicherten Festung Europa. 1975 zunächst als Mora Salazar gegründet, legte sich das Unternehmen für den weltweiten Vertrieb den Namen European Security Fencing (E.S.F.) zu. Produziert werden alle Arten von Sperrdrähten, darunter Stacheldraht, NATO-Draht mit oder ohne zusätzliche Widerhaken oder auch elektrisch gesicherte Anlagen.

Für Grenzanlagen verkauft E.S.F. das Modell "Klingendraht 22" ("Concertina 22"). Die Zahl steht für die Länge der Klingen in Millimetern. Grenzen gelten wie Industrieanlagen als Zonen mit mittleren Sicherheitsanforderungen. Der Draht ist deshalb nicht extra verstärkt, hat nur einfache Widerhaken und führt keinen Strom. Im Gegensatz zum herkömmlichen Stacheldraht ist der NATO-Draht mit einem gehärteten Federstahlkerndraht versehen. Er gilt als enorm zugfest und steif. Das Durchtrennen mit herkömmlichen Werkzeugen dauert deshalb deutlich länger.

In einem Werbevideo werden die Herstellung und Anwendungen des Klingendraht ausführlich beschrieben. E.S.F. wirbt mit dem Vertrieb seiner Produkte in fünf Kontinenten "von Französisch-Polynesien bis zu den Malediven". Laut ihrer Webseite verkauft die Firma auch nach Tunesien, Algerien, Rumänien, Griechenland und in die Türkei.

Welche Behörden oder Firmen beliefert wurden, bleibt aber zumeist unklar. Bekanntlich sind aber die Grenzanlagen in Ceuta und Melilla mit dem "Klingendraht 22" gesichert. Nach Protesten hatte die spanische Regierung den Draht vorübergehend entfernt, 2013 jedoch wieder installiert. Spanien ist derzeit mit dem Bau einer dritten Zaunreihe auf marokkanischem Territorium befasst, die dann vermutlich auch mit NATO-Draht behängt wird.

Aus dem Werbevideo von Concertina.

Nach einem Bericht der spanischen Zeitung El Mundo hat E.S.F. auch die Drähte für den Zaun in Ungarn geliefert. Allerdings sei die Firma laut einem Sprecher nicht für die Installation verantwortlich gewesen.

Niederlassung auch in Berlin

Eine Reportage der Zeitung Carta schreibt über den Zaun in Calais: "Wie unangenehm der Nato-Draht ist, spürt man schon, wenn man ihn nur vorsichtig in die Hand nimmt. Die auf den Draht ausgesetzten Klingen sind scharf wie Rasiermesser und unangenehm spitz. Man müsste nur locker dagegen kommen, damit Blut fließt. Herkömmlicher Stacheldraht mutet hingegen harmlos an."

E.S.F. bestreitet hingegen, dass der "Klingendraht 22" ernste Verletzungen hervorrufen kann. Es handele sich vielmehr um eine "psychologische Abschreckung", möglich seien lediglich oberflächliche Schnitte. Geflüchtete, die ein Überklettern der Anlagen in Ceuta und Melilla versuchten, zeigen hingegen tiefe Einschnitte an Armen und Beinen. Menschenrechtsorganisationen bestätigen ebenfalls die Gefährlichkeit der Klingen.

Außer in Malaga hat E.S.F. auch eine Niederlassung im Einstein-Palais in der Berliner Friedrichsstraße registriert. Letztes Jahr hatten Geflüchtete und ihre Unterstützer deshalb vor dem Firmensitz demonstriert. Es ist aber unklar, ob es sich dabei lediglich um eine Scheinadresse handelt. Laut dem für die Versammlung zuständigen polizeilichen Einsatzleiter sei es nicht möglich gewesen, Kontakt mit E.S.F. aufzunehmen. In dem Berliner Bürohaus habe die Firma demnach lediglich einen Briefkasten aufgehängt.