Meinungsfreiheit oder Menschenfeindlichkeit?

In der Debatte um Hasskommentare bei Nachrichtenseiten und Facebook versuchen zahlreiche Agitateure permanent das Thema zu entgleisen. Von hate speech lenken sie die Aufmerksamkeit auf Meinungsfreiheit

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Worum geht es in der aktuellen "Zensur-Debatte" eigentlich? Kann man über sogenannte Hasskommentare oder hate speech reden, ohne über Meinungsfreiheit zu sprechen? Natürlich kann man das. Ansonsten akzeptiert man bereits, dass Hassrede Teil der legitimen Meinungsäußerung in einem demokratischen Gemeinwesen ist. Der Jurist und Blogger Heinrich Schmitz hat in einem unbedingt lesenswerten Artikel im Tagesspiegel eindringlich aufgezeigt, was der Gegenstand der Debatte ist: Es geht um Hass, der nicht vor Morddrohungen zurückschreckt.

Die Panorama-Moderatorin Anja Reschke hat für die Tagesthemen den Hass im Netz treffend kommentiert:

Aber es sind ja eben nicht nur Worte, sondern es gibt sie ja schon die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Die Hasstiraden im Internet haben ja längst gruppendynamische Prozesse ausgelöst. Die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten ist gestiegen. So kann es nicht weiter gehen. Nun ist die eine Möglichkeit Strafverfolgung. Das wird ja zunehmend auch gemacht. […] Aber das alleine reicht nicht. Die Hassschreiber müssen kapieren, dass diese Gesellschaft das nicht toleriert. Wenn man also nicht der Meinung ist, dass alle Flüchtlinge Schmarotzer sind, die verjagt, verbrannt oder vergast werden sollten, dann sollte man das ganz deutlich kundtun, dagegen halten, Mund aufmachen, Haltung zeigen, öffentlich an den Pranger stellen.

Anja Reschke

Überraschenderweise fallen die Kommentare der Meinungsfreiheitsverteidiger nun weit hinter die Argumente von Reschke zurück. Es geht ja gerade nicht nur um strafrechtlich relevante Äußerungen. Dafür hat ein Rechtsstaat die Ermittlungs- und Justizbehörden. Aber eine aufgeklärte Gesellschaft muss sich Hass-Tiraden auch nicht einfach gefallen lassen. Es geht darum, sich klar zu positionieren, wo es noch zu helfen vermag, auch zu argumentieren, aber wo dies absehbar sinnlos sein wird, eben auch konfrontativ zu blockieren. Der zivile Ungehorsam, mit dem sich viele Menschen den Rechtsextremisten auf der Straße entgegenstellen, der muss auch im Internet möglich sein. Wer Hass sät, will nicht diskutieren. Wer Menschen vernichten will, ist nicht am politischen Diskurs interessiert.

Zu den zentralen Werten einer demokratischen Gesellschaft gehören die Gleichwertigkeit aller Menschen und die Sicherung der physischen und psychischen Unversehrtheit ihrer Mitglieder. […] Menschenfeindlichkeit markiert und legitimiert die Ungleichwertigkeit von Individuen und Gruppen, sodass deren Diskriminierung wahrscheinlicher wird. […]

Neben Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und der Abwertung von Menschen, die Asyl suchen oder Sinti und Roma angehören, umfasst das Konzept auch die Abwertung von Menschen mit religiösen Überzeugungen wie das Judentum und den Islam, also Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Einbezogen ist auch die Herabsetzung von Menschen mit anderem Geschlecht oder einer anderen sexuellen Orientierung sowie von Menschen, die obdachlos oder arbeitslos sind. Daneben umfasst das Konzept auch ganz allgemein die Abwertung von allen, die neu hinzugekommen sind, also Etabliertenvorrechte als Prototyp des Vorurteils.

Von der Ungleichwertigkeit zur Ungleichheit: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Vielleicht mangelt es auch an der eigenen Vorstellungkraft, um sich zu vergegenwärtigen, um was für Äußerungen es sich bei den Hasskommentaren handelt. Vielleicht ist es immer noch nicht allen bewusst, dass es hier nicht um einen Meinungsbildungsprozess geht. Niemand möchte den "besorgten Bürgern" verbieten zu behaupten, die NATO respektive die USA hätten die "Migrationswaffe" gegen Europa scharf gemacht. Ignoranz ist selbstverständlich von Meinungsfreiheit geschützt. Und auch die hetzerischen Behauptungen, mit den Flüchtlingen würden IS Terroristen nach Deutschland eingeschleust werden, die hier das "Schlachtfeld Europa" eröffnen wollen, sind von der Meinungsfreiheit geschützt auch wenn man es für das Werfen eines journalistischen Molotowcocktails halten könnte.

Wer alle Flüchtlinge ausgrenzen will, darf diese Meinung natürlich vertreten, aber zum Diskurs in der Demokratie gehört es eben auch, dass man ob solcher menschenfeindlicher Gesinnung eben Gegendruck bekommt. Es ist dieser diskursive Gegendruck, den Asylkritiker, besorgte Bürger und andere sorgenvolle Gemüter als Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit wahrnehmen.

Mit Zensur hat das aber nichts zu tun. Genauso wenig wie dadurch die Grundrechte, die ja Schutzrechte gegenüber dem Staat sind, berührt werden. Wer seine Meinungen öffentlich äußert, muss damit leben, dass andere Menschen anderer Meinung sind und dass die eigene Meinung möglicherweise von vielen Menschen nicht geteilt wird. Das ist kein Gesinnungsterror, das ist Demokratie. Und wenn ein Privatunternehmen wie Facebook den eigenen Gemeinschaftsstandards nicht gerecht wird, dann müssen die Nutzer, die diese Gemeinschaft überhaupt erst konstituieren, im Diskurs aufzeigen, dass sie mit dem Vorgehen nicht einverstanden sind. Das ist partizipative Teilhabe.