Versäumnisse beim sozialen Wohnungsbau

Die Politik hat jahrzehntelang die Einkommensstärkeren begünstigt. Mit der Flüchtlingskrise zeigen sich die Konsequenzen aus dieser Gewichtung

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"Anpacken" ist wohl das richtige Wort dafür, aber ob es zu schaffen ist? 400.000 neue Wohnungen müssten in Deutschland bis 2020 jährlich gebaut werden, rechnet das Pestel-Institut vor. 260.000 werden dieses Jahr fertig. 140.000 fehlen.

80.000 der neu gebauten Wohnungen müssten preisgebundene Sozialwohnungen sein, so das Institut, das auf städtebauliche Fragestellungen spezialisiert ist. Ihre aktuelle Studie, die gestern vorgestellt wurde, aber online offenbar noch nicht verfügbar ist, hat angeblich "erstmals in der Hochphase des Flüchtlingszuzugs" den Bedarf an zusätzlichem Wohnraum durch Flüchtlinge und Arbeitsmigranten mit einberechnet.

Laut Berichten geht die Studie für dieses Jahr von einer "Netto-Zuwanderung von einer Million Menschen aus": 300.000 Zuzüglern aus den andere EU-Staaten und 700.000 Asylbewerbern. Die Zahlen können sich ändern.

Unter der Nachricht der Tagesschau zur Studie des Instituts1, gab es verärgerte Kommentare:

Für viele deutsche Geringverdiener gibt es keinen bezahlbaren Wohnraum mehr, da der soziale Wohnungsbau immer weiter runter gefahren wurde. Luxussanierungen bringen ja mehr Geld.

Von diesem Standpunkt aus geht es, nicht zwangsläufig, aber auch nicht gerade selten, zur nächsten Position, die auf einem Berg von Ressentiments steht:

Der Mensch 2. Klasse (Inländer) stellt nun mit Erstaunen fest, dass jetzt zügig für die 1. Klasse Menschen, den Flüchtlingen, Sozialwohnungen gebaut werden müssen.

Von zügig bauen ist ja noch nicht die Rede. Wenn nun der Bund tatsächlich mehr Geld für sozialen Wohnungsbau bereitstellen würde, dann würden davon auch diejenigen profitieren, die bereits in Deutschland leben und sich die teuren Mieten immer weniger leisten können (vgl. Auch der Mittelschicht wird wohnen zu teuer).

Auch dieses Argument wäre zu berücksichtigen, anstatt auf dem Rücken von Asylsuchenden und Arbeitsmigranten eine Wut auszutragen, deren Ursachen - der Mangel an Wohnungen zu Mietpreisen, die sich auch Einkommensschwächere leisten können - auf Zeiten zurückgeht, in denen von einer "Flüchtlingskrise" noch nicht die Rede war und der Andrang der Neuankömmlinge nicht Thema Nummer 1 für soziale Nöte und Ängste war.

Wohnblock in Fideliopark München (errichtet für Sozialwohnungen), 2009. Bild: O DM/CC BY-SA 3.0

Bereits vor drei Jahren konstatierte das Pestel-Institut in einer Studie, dass vier Millionen Sozialwohnungen fehlen. Als Bedarf rechnete das Institut damals bundesweit mit rund 5,6 Millionen, die verfügbaren bezifferte man 1, 6 Millionen. Jedes Jahr gebe es immer weniger Sozialwohnungen, kritisierte die Studie. Im Schnitt würden 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr vom Markt verschwinden - "eine dramatische Entwicklung".

Als Gründe dafür wurden genannt, dass immer mehr Wohnungen aus der Mietpreisbindung herausfallen und nur wenige neue Sozialwohnungen gebaut würden. Von politischer Seite wurde das Thema in den Hintergrund gedrängt, es gab deutliche Entwicklungstendenzen, die den profitableren Entwicklungen im Bausektor zuarbeiteten, lässt sich der Studie entnehmen:

Im Jahr 1987 gab es noch knapp vier Millionen Sozialwohnungen in der alten Bundesrepublik, heute sind es in ganz Deutschland nur noch 1,5 Millionen, also nicht einmal mehr die Hälfte davon.

Die Zeit

Im oben zitierten Artikel , erschienen Anfang August dieses Jahres, wird berichtet, dass Kommunen, um Geld in ihre Kassen zu bekommen, immer häufiger Grundstücke und Immobilien verkauft haben, was ihre Spielräume für sozialen Wohnungsbau immer mehr einengte.

Tatsächlich haben viele Großstädte in den vergangenen Jahren einen Großteil ihrer Wohnungen zu Geld gemacht. Dresden verkaufte aus Geldnot gar seinen gesamten kommunalen Wohnungsbestand 2006 an einen internationalen Immobilieninvestor, für insgesamt 1,7 Milliarden Euro. Damit machte sich die sächsische Metropole zur ersten schuldenfreien Großstadt Deutschlands, aber eben auch zu ersten ohne eigene Wohnungen für Bedürftige. Auch Kiel stieß alle seine Wohnungen ab. Berlin hat inzwischen rund 310.000 seiner ehemals 585.000 Wohnungen verkauft. München schlug vor zwei Jahren 32.000 Wohnungen los. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.