Autonom verfahren

Die wirklichen Probleme mit den Verkehrsrelikten aus dem letzten Jahrhundert werden durch die Computerisierung der Autos nicht gelöst

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Weniger Menschen werden sterben, weniger Versicherungsfälle auftreten, weniger Kraftstoff wird verbraucht werden und überhaupt wird sich das Auto vom Fahr-Zeug zum Privatkino wandeln, wenn erstmal computergesteuertes Fahren zum Mainstream geworden ist. Vergessen die Kluft zwischen dem politischem Anspruch, bis 2020 1 Million Elektro-PKW auf die Straße zu kriegen und dem popeligen Stand der Dinge: 19.000 Elektro-PKW und 108.000 Elektro-Hybride stehen und fahren 2015 auf Deutschlands Straßen. Aber: Die Computerisierung des Verkehrssystems ist die neue Sau, die durchs Dorf getrieben wird.

Das Kind im Manne staunt und hofft hoffnungsfroh auf ein Groß-Gadget in der Garage, so ein selbstfahrendes Spielzeug - haben wir uns nicht früher an diesen ferngesteuerten Autos sattgespielt? Doch Halt nochmal: Welches Problem sollte die autonome PKW-Flotte nochmal lösen? Allesamt Luxusprobleme: Nicht mehr selber fahren müssen (als gäbe es weder Bus noch Bahn noch Taxi). Staus vermeiden. Ein Auto per App zum Standort bestellen, was von ganz alleine vorfährt und unsere trägen Körper zu einem anderen Ort transportiert, möglicherweise zum Fitness-Center. Laut ADAC fährt jeder MIV-Nutzer ("motorisierter Individualverkehrer") durchschnittlich täglich 14,7 Kilometer und braucht dafür 20,9 Minuten. Der Fortschrittseuphorie muss die Frage gestellt werden: Welches Problem soll mit der Computerisierung des Vierrads nochmal gelöst werden?

Das Argument des sinkenden Kraftstoffverbrauchs finde ich am lustigsten. Zweifellos: Computer können Fahrzeuge feingesteuerter fahren und wenn man sie richtig (!) programmiert, könnte man sie auf geringen Energieverbrauch optimieren. Erinnern möchte ich daran, dass der Wirkungsgrad von 99,8% der Autos auf deutschen Straßen bei unter 30% liegt: Verbrennungsmotoren produzieren nun einmal in erster Linie heiße Luft und erst in zweiter Linie mechanische Energie für den Antrieb des Fahrzeugs.

Ein Umbau der Flotte auf Elektromotoren würde den Wirkungsgrad auf über 97% heben. Mag sein, dass Computersteuerungen dort noch ein paar Promille rausschlagen können, aber problemlösend wäre eher der Umbau des Energiesystems auf erneuerbare Quellen, um den Wirkungsgrad und die Nebenwirkungen des Kohlezeitalters zu verbessern. Und wer Energieaspekte als Argument ins Feld führen will, sollte sich immer bewusst sein: Auch die Herstellung und der Betrieb der Computerbausteine in den PKWs beansprucht Exergie (Energiewende? Exergiewende!).

Ein Hauptargument gegen computergesteuerte, miteinander kommunizierende Fahrzeuge ist aber: Der so entstehende Schwarm ist angreifbar und kann dadurch mehr Probleme produzieren, als er löst. Die Bild-Schlagzeile in der selbstfahrenden Zukunft könnte lauten: "Gestern: 30 Tote bei Hackerangriff auf die Fahrzeugflotte." Weil die Bremsen versagten, der Lenker einschlug oder die Geschwindigkeit sich ferngesteuert erhöht hat? Fehlerfreie Software gibt es nicht, je komplexer die Systeme, umso vielfältiger die Angriffsmöglichkeiten.

Bei einer selbstfahrenden Flotte, die zwecks Abstimmung untereinander vielfältig kommuniziert und auf die Signale der jeweils anderen achten muss, gibt es eine Vielzahl von Kanälen ins System. Bereits heute ist ein großer Teil der menschlichen Kommunikationsinfrastrukturen kompromittiert - was vor dem Snowden-Effekt so mancher ahnte und seitdem jeder weiß. Naiv ist es anzunehmen, dass solcherart Kompromittierung nur zum Lesen von Informationen (=Überwachung) und nicht auch zum Manipulieren von Informationen (=Angriff) genutzt wird.

Erinnert sei an den Angriff auf das saudische Ölunternehmen Saudi Aramco, dem ein Stück "Shamoon" genannter Schadcode mal eben 30.000 Business-PCs ausknipste (Saudi Aramco und die Ölbranche erwarten weitere Cyber-Angriffe). Oder an die clevere Infektion von Energie-Maschinenbauern durch Dragonfly (Cyberkrieg in Europa). Was wir mit der Computerisierung der Fahrzeugflotte tun, ist nichts anderes, als eine "ausknipsbare Infrastruktur" hinzustellen. Und warum nochmal ist das sinnvoll und nötig?

Im Dreieck zwischen Aufwand-Nutzen-Risiko kann ich wenig Grund erkennen, warum man selbstfahrende Autos in relevanten Größenordnungen auf die Straße lassen sollte. Wenn nicht die Maschinen lernen, sich der subtil regelbrechenden Fahrweise menschlicher Fahrer anzupassen (Von autonomen Fahrzeugen und Menschen), so werden wohl die Menschen lernen müssen, sich an die von Google, Porsche und Co. in die Wildbahn entlassenen Maschinen anzupassen. Die Transhumanisten haben gewonnen!

Die wahren Probleme unserer Zeit mit den Verkehrsrelikten aus dem letzten Jahrhundert geht die Computerisierung nicht an: Raumanspruch der PKW und resultierende Platzkonflikte in den Städten, überbordende Pendlerkultur, massive Kapitalbindung. Aber statt dort nach Problemlösungen zu suchen, positioniert sich Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt als Industrieentwicklungsminister: Und schreibt den deutschen Autoherstellern ein Strategiepapier zum autonomen und vernetzten Fahren - was sicherer werden müsse. So, als würden sich Technik, Software und ihre Hacker an das halten, was in deutschen Gesetzen steht.