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Jorgo Chatzimarkakis im deutschen Fernsehen

Drive-by-Killing in Thessaloniki, Teil 2

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Teil 1: Drive-by-Killing in Thessaloniki

Der Vater des 1933 geborenen Konstantinos Gavras war kein Kommunist. Er konnte die Monarchie nicht leiden und die Nazis noch viel weniger. Für einen wie ihn war es nur logisch, dass er sich dem kommunistisch geprägten Widerstand anschloss - nicht weil er die Diktatur des Proletariats errichten, sondern weil er an der Seite von Antimonarchisten gegen die deutschen Besatzer kämpfen wollte. Nach dem Krieg wurde er dafür politisch verfolgt. Er verlor seine Anstellung beim Staat und wurde in ein Umerziehungslager gesteckt.

Der junge Konstantinos erhielt keine Zulassung zum Universitätsstudium und durfte nicht einmal den Führerschein machen, weil man dafür eine Unbedenklichkeitsbescheinigung brauchte, die ihm als Sohn eines "Kommunisten" verwehrt wurde. Die zuerst von den Briten und dann von den Amerikanern gestützten Reaktionäre versorgten ihre Gesinnungsgenossen (darunter viele Kollaborateure) nach dem Krieg mit Posten in der Verwaltung, wo nun alte Rechnungen beglichen wurden. Solche Dinge graben sich in das kollektive Gedächtnis ein, wirken lange nach und sind ein Grund dafür, dass viele Griechen bis heute lieber an der Bürokratie vorbei leben. Seit Sigmund Freud wissen wir, dass eine nie richtig aufgearbeitete Vergangenheit in Form diffuser, manchmal auch absurd erscheinender Erinnerungen wieder auftaucht. Dabei kann schon mal eine Angela Merkel in SS-Uniform oder Schäuble mit Hitlerbart herauskommen.

Kokon der Introvertiertheit

Merkel ist nicht schuld daran, dass Costa-Gavras 1951 keinen Führerschein machen durfte, wäre aber im heutigen Griechenland weniger unbeliebt, wenn sie sich außer mit Spar- und Reformplänen auch mit der Psyche der betroffenen Menschen beschäftigt hätte. Das hätte sogar Geld gespart, weil die Reformunwilligkeit gleich abnimmt, wenn sich die zu Reformierenden verstanden fühlen und man auf nationale Traumata Rücksicht nimmt, statt zur Selbstbespiegelung nach Distomo zu fahren (siehe Teil 1) oder sich auf Kreta mit dem in Duisburg geborenen Ex-Dr. und Ex-FDP-Politiker Jorgo Chatzimarkakis zu treffen, der uns in der ARD-Sendung Griechenland am Scheideweg erzählen durfte, dass sich die Griechen in einem "Kokon der Introvertiertheit" eingerichtet haben. Historische Gründe für diese "Introvertiertheit"? Leider Fehlanzeige.

Ich war auch schon auf Kreta (und in Distomo), wollte immer mal Urlaub auf Paros machen, als es mein nach der Insel benanntes Lieblingslokal noch gab, bin aber ganz bestimmt kein Griechenland-Kenner. Meine Informationen beziehe ich überwiegend aus Filmen und aus Romanen (es muss nicht immer Anthony Quinn sein: Das Mädchen in Schwarz, wie Alexis Sorbas von Michael Cacoyannis inszeniert, kann ich sehr empfehlen). Nur der bekennende Grexit-Befürworter Wolfgang Bosbach bringt es auf mehr Auftritte in Griechenland-Talkshows als Jorgo Chatzimarkakis. Nie würde ich mir anmaßen zu behaupten, mehr über das Land seines griechischen Vaters zu wissen als er. Trotzdem hege ich den Verdacht, dass die von Herrn Chatzimarkakis diagnostizierte "Introvertiertheit" nicht - wie in dieser ARD-Reportage suggeriert - damit zu erklären ist, dass die Leute da so gern am blauen Meer sitzen, Retsina trinken und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen (wofür wir dann die Zeche zahlen sollen).

Zwangsgebühren verpflichten nicht zum TV-Konsum. Also: Besser Filme schauen und Bücher lesen. Bei Z kann man beides haben, ohne sich zu langweilen, weil Vassili Vassilikos und Costa-Gavras zwar dieselbe Geschichte erzählen, dies aber mit unterschiedlichen Mitteln. Vassilikos schafft es, aus 5000 Seiten Ermittlungsakten einen poetischen Tatsachenroman mit Krimiflair zu machen, mit interessanten Anklängen an Michel Butor und den Nouveau Roman. Costa-Gavras orientiert sich an amerikanischen Vorbildern wie John Ford (Grapes of Wrath) und Elia Kazan (On the Waterfront), deren narrative Zielstrebigkeit er mit der Ästhetik der Nouvelle Vague kombiniert.

Rettung des Vaterlandes

Als Sohn eines "Kommunisten" bekam Konstantinos Gavras kein Visum für die USA. Also ging er 1952 nach Paris, wo er an der Sorbonne ein Studium der Komparatistik aufnahm und 1954 an die Filmhochschule wechselte, nachdem ihn in der Cinémathèque von Henri Langlois das Kinovirus befallen hatte. Er assistierte bei René Clément, Henri Verneuil und Jacques Demy, arbeitete mit Marcel Ophüls zusammen und inszenierte - nun als Costa-Gavras - 1965 seinen ersten Spielfilm, Compartiment tueurs (Mord im Fahrpreis inbegriffen), eine inhaltlich wie ästhetisch gelungene Adaption des Kriminalromans von Sébastien Japrisot. Nach dem Résistance-Drama Un homme de trop (Ein Mann zuviel, 1966) suchte er einen geeigneten Stoff für einen Politthriller, der ein konkretes historisches Ereignis als Ausgangspunkt haben sollte: das Attentat auf John F. Kennedy in Dallas beispielsweise, oder die Entführung und Ermordung des marokkanischen Oppositionspolitikers Mehdi Ben Barka durch zwei Agenten des französischen Auslandsgeheimdienstes in Paris (den Film über Ben Barka drehte 1972 Ives Boisset: L’attentat, nach einem Drehbuch von Jorge Semprún). Im März 1967 besuchte Costa-Gavras seine Eltern in Athen. Sein Bruder war mit Vassilis Vassilikos beim Militär gewesen und empfahl ihm dessen vor einigen Monaten erschienenen Roman Z.

Griechenland erlebte wieder einmal unruhige Zeiten. Der Skandal um das Lambrakis-Attentat beschleunigte den Rücktritt des konservativen Ministerpräsidenten Konstantinos Karamanlis, der sich mit dem König wegen der Kontrolle der Armee und der Sicherheitsorgane zerstritten hatte. Es folgten einige Jahre mit instabilen Regierungen, unter anderem gebildet von Georgios Papandreou, dem Chef der Zentrumsunion, einem Sammelbecken für zentristische und linksliberale Kräfte. Andreas Papandreou, der sich in den 1980ern bemühte, die seit dem Bürgerkrieg in aller Welt verstreuten Auslandsgriechen zurückzuholen, wurde unter Georgios wirtschaftlicher Chefberater, stieg dann rasch zum Minister auf und war faktisch der Stellvertreter seines Vaters. Er machte sich einen Namen als Reformer (Yanis Varoufakis bezeichnet ihn als seinen Mentor und erzählt gelegentlich, dass er wegen Andreas Wirtschaftswissenschaftler geworden sei), geriet aber auch in den Geruch des Nepotismus und zog trotz aller mit ihm verbundenen Hoffnungen die Kritik von Zeitgenossen auf sich, die eine zur Familienangelegenheit werdende Politik grundsätzlich ablehnten, weil sie in familiären Seilschaften die Wurzel allen Übels sahen (Giorgos A. Papandreou, der Nachfolger von Kostas Karamanlis - einem Neffen von Konstantinos - und Vorvorgänger von Alexis Tsipras als Ministerpräsident, ist der Sohn von Andreas).

Georgios Papandreou (das ist jetzt also der Opa von Giorgos A. und nicht dessen Vater Andreas, der von 1981 bis 1989 und von 1993 bis 1996 Ministerpräsident war) leitete wirtschaftliche und soziale Reformen ein, wollte für ausländische Investoren sehr vorteilhafte, durch Bestechung zustande gekommene Verträge neu aushandeln und drohte, die Armee unter die Kontrolle des Parlaments zu stellen. Damit machte er sich viele Feinde: das Militär, die Oligarchen und den jungen König Konstantin II., der 1964 den Thron bestiegen hatte. In gewissen Kreisen galt Papandreou als der Satan höchstpersönlich. Von heute aus gesehen ist das schwer nachvollziehbar. Es hatte mit der im Kalten Krieg weit verbreiteten Paranoia zu tun und auch damit, dass die privilegierten Gruppen ihre Interessen besser schützen konnten, wenn sie ein zu bannendes Schreckgespenst an die Wand malten. Die USA hatten sich so an willfährige Partner im auf vielfältige Weise von ihnen abhängenden Griechenland gewöhnt, dass ihnen bereits ein moderater Reformkurs als ernsthafte Bedrohung erschien.

1965 wurde Papandreou gestürzt, unter aktiver Mitwirkung des Königs und alles ganz "demokratisch": nachdem ein paar Überläufer gekauft waren, verfügte der gewählte Ministerpräsident nicht mehr über die Mehrheit im Parlament. Während seine Untertanen für Demokratie und die versprochenen Neuwahlen demonstrierten und die Gewerkschaften zu immer neuen Streiks aufriefen, ernannte Konstantin II. eine demokratisch nicht legitimierte Regierung nach der anderen. Das ging fast zwei Jahre so. Schließlich sah sich der König gezwungen, doch noch wählen zu lassen. Das sollte im Mai 1967 stattfinden. Der Wahlsieger konnte eigentlich nur Papandreou heißen. Dem kamen die Obristen am 21. April mit einem Militärputsch zuvor, zur "Rettung des Vaterlandes". Von interessierter Seite wurde damals die Nachricht lanciert, dass der Putsch "unblutig" verlaufen sei. Diese Falschmeldung hatte eine sehr lange Lebenszeit. Tatsächlich gab es Tausende von Opfern. Wie immer, wenn in Griechenland politisch Andersdenkende verhaftet, gefoltert und ermordet wurden, musste als Begründung für den Putsch herhalten, dass die Obristen einen Staatsstreich der Kommunisten verhindert hätten.

Der führende Kopf der Putschisten war Georgios Papadopoulos, früher Militärrichter im Prozess gegen Nikos Beloyannis, der als Picassos "Mann mit der Nelke" im Büro der sich um den Doktor alias Grigoris Lambrakis formierenden Freunde von Demokratie und Abrüstung hängt (siehe Teil 1). Der von der CIA ausgebildete Papadopoulos fungierte von 1959 bis 1964 als Verbindungsmann des nach amerikanischem Vorbild gegründeten, von der CIA aufgebauten und mit amerikanischem Geld alimentierten militärischen Geheimdiensts KYP zu US-Agenten in Griechenland. Dabei scheint nicht gestört zu haben, dass er mehrfach unter Konspirationsverdacht geriet. Die dank der CIA erworbenen Kenntnisse dürften ihm und seinen Mittätern dabei geholfen haben, den Putsch unentdeckt vorzubereiten und erfolgreich auszuführen.

Kurz vor seinem Sturz als Ministerpräsident im Jahre 1965 machte Georgios Papandreou den "Perikles-Plan" öffentlich. Ein Geheimkomitee hatte Pläne zur Eindämmung des Kommunismus ausgearbeitet. Ziel war es, den Stimmenanteil der Linken unter 20 Prozent zu halten, Wahlfälschungen inklusive. Einige der Beteiligten waren schließlich gezwungen, die Existenz des (schriftlich vorliegenden) Plans zu bestätigen, machten jedoch geltend, dass es sich um allgemeine Sicherheitsvorkehrungen für den Kriegsfall handele und das Wort "Wahlen" nur durch einen Fehler des unerfahrenen Schriftführers des Komitees in das Dokument gelangt sei. Der Schriftführer hieß Georgios Papadopoulos. Weil "links" schwer abzugrenzen war hatte sich das Komitee darauf verständigt, dass damit alle gemeint waren, die nicht rechts von der Mitte standen. Dementsprechend war nur ein Teil der 8.000 bis 10.000 Menschen, die am 21. April 1967 und an den folgenden Tagen verhaftet wurden, kommunistisch orientiert. Durch Verhaftung "neutralisiert" oder "geschützt", so die Sprachregelung, wurden Schauspieler, Schriftsteller, Künstler, Journalisten, Rechtsanwälte, Gewerkschaftler, Mitglieder aller politischen Parteien sowie der amtierenden Regierung, hohe Verwaltungsbeamte und alte Widerstandskämpfer. Ehemalige Kollaborateure waren wie üblich nicht betroffen.

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