Neue Kohlesubventionen?

Derzeit verfügbare Erzeugungskapazitäten in Deutschland. Bild: Screenshot Fraunhofer ISE

Die Energie- und Klimawochenschau: Braunkohlekraftwerke heißen jetzt Klimareserve, aber auf dem UN-Klimagipfel in Paris wird Bundeskanzlerin Merkel mit derlei Sprachakrobatik kaum trumpfen können

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Vattenfall will offensichtlich ernst mit dem Verkauf seiner deutschen Braunkohlesparte machen. Am gestrigen Dienstag lud der Konzern potenzielle Interessenten ein, sich zu melden. Bis Ende 2016 soll der Verkauf über die Bühne gebracht werden, nach dem die Unterstützung der Bundesregierung gesichert werden konnte.

Angeboten werden das gesamte Geschäft der Braunkohlegeschäft des schwedischen Staatskonzerns in Deutschland, "also die Kraftwerke Jänschwalde & Schwarze Pumpe in Brandenburg und Boxberg & den Block R der Anlage Lippendorf in Sachsen sowie alle dazugehörigen Tagebaubetriebe in der Lausitz (Jänschwalde, Nochten, Reichwalde,Welzow-Süd und Cottbus Nord)", heißt es auf der Vattenfall-Internetseite.

Zehn Wasserkraftwerke in der Nähe der Braunkohlekraftwerke sollen ebenfalls mit veräußert werden, sind jedoch noch im Paket mit den Dreckschleudern zu haben. Als Ergänzung für den Windstrom, der nicht stetig anfällt und nur bedingt regelbar ist, stehen sie also nicht zur Verfügung. Letzteres wäre jedoch angesichts des notwendigen Umbaus der Stromversorgung die sinnvollere Alternative.

Die Süddeutsche Zeitung zitiert ungenannte Experten, die den Wert des Braunkohlegeschäfts auf zwei bis drei Milliarden Euro schätzen. Tschechische Energiekonzerne hätten Interesse gezeigt. Letztlich wird der Preis des Unternehmens aber auch eine starke politische Komponente haben, denn die Braunkohle ist hoch umstritten.

Von allen fossilen Energieträgen ist sie der schlimmste, weil bei ihrer Verbrennung die größte Menge an Kohlendioxid (CO2) pro erzeugter Kilowattstunde freigesetzt wird. Je nach Effizienz der Anlage zwei bis dreimal soviel wie in einem Gaskraftwerk. Entsprechend gibt es inzwischen regelmäßig Proteste gegen die Tagebaue von Vattenfall und RWE (Stillstand in Garzweiler).

Doch Vattenfall fühlt sich von der Bundesregierung gestützt und auch in Bundesländern, in denen die Grünen mit regieren, wie in NRW kann der dortige Tagebaubetreiber ungestraft und unter den Augen der Polizei private Sicherheitsdienste Jagd auf Demonstranten machen lassen (Atom- und Kohleausstieg gleichzeitig machbar). Vattenfall scheint sich jedenfalls sicher, dass es eine Bestandsgarantie für seine zum Teil bereits ziemlich alten Anlagen gibt und sie daher noch verkauft werden können.

Der Vorschlag der Bundesregierung, eine Braunkohlekapazitätsreserve zu schaffen, brachte die nötige Klarheit, um den Verkaufsprozess zu eröffnen.

Vattenfall-Chef Magnus Hall

Ob die Braunkohlereserve aber tatsächlich kommt, ist noch offen. Die Bundesregierung plant, Braunkohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 2,7 Gigawatt (GW) in eine sogenannte Klimareserve aufzunehmen - eine Bezeichnung von der Qualität der "Ökosteuer", mit der unter anderem der Wegfall des Kohlepfennigs kompensiert und mithin also die Subventionierung des Steinkohlebergbaus finanziert wird.

Diese Reservekraftwerke sollen dann binnen vier Jahren vom Netz gehen, aber für die Versorgung weiter vorgehalten werden. Die Betreiber würden die anfallenden Kosten erstattet bekommen. Bis zu 600 Millionen Euro jährlich schätzt Greenpeace.

Welche Kraftwerke in diese Reserve aufgenommen werden und wie hoch die Kosten letztlich veranschlagt werden, soll zwischen Betreibern und der Bundesregierung ausgehandelt werden. Eine Ausschreibung ist - anders als sie demnächst für Bürgerwindparks eingeführt wird - nicht vorgesehen. Schließlich möchte man den den Stromkonzernen keine unnötige Mühe machen. Einzelheiten dieses Verfahrens sind in dem Anfang des Monats veröffentlichen Referentenentwurf für ein "Strommarktgesetz" aus dem Hause des SPD-Vorsitzenden und Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel festgelegt.

Nötig ist diese Reserve allerdings nicht, sondern ist wohl eher als Gefälligkeit an RWE und Vattenfall anzusehen. In Deutschland gibt es derzeit in Gaskraftwerken Kapazitäten von knapp 28 GW (siehe obige Grafik), die aber die meiste Zeit ungenutzt bleiben. Selbst im Februar 2015 der für die Jahreszeit ziemlich windarm war und ohnehin nicht viel Sonnenschein hatte, einer Hochzeit für fossile Kraftwerke also und eine Zeit, in der die Reserve nach offizieller Lesart gegebenenfalls zum Zuge kommen könnte, gab es für die Gaskraftwerke nicht viel Beschäftigung. Der Monats- und vermutlich auch Jahreshöchstwert wurde am 4.2. erreicht, als die Gaskraftwerke kurzzeitig mal gerade 13,21 GW ins Netz einspeisten.

Zu dieser Zeit (siehe Grafik unten) waren die meisten, aber nicht alle, Braunkohlekraftwerke im Betrieb (18,47 von gut 21 GW, die installiert sind), doch von den Gaskraftwerken stand immer noch mehr als die Hälfte still. Diese hätten selbst in dieser Situation noch sofort und ohne Weiteres die Atomkraftwerke ersetzen können, die zu dieser Zeit wie meistens mit nahezu voller Last liefen (12,02 von 12,07 GW, inzwischen sind nur noch 10,8 GW installiert). Die Gaskraftwerke hätten zudem gegenüber den Atom- und Kohlekraftwerken den technischen Vorteil, dass sie wesentlich flexibler sind. Sie können in Zeiträumen von Minuten herauf und herunter geregelt werden, während die anderen beiden Kraftwerksarten für den Dauerbetrieb ausgelegt sind und sehr schwerfällig reagieren.

Auslastung. Bild: Screenshot Fraunhofer ISE

Auslastung der Kraftwerksarten im Februar 2015 in dem es gemessen an den Vergleichsmonaten der Vorjahre unterdurchschnittlich viel Windstrom pro installierter Windanlagenleistung gab. Bild: Screenshot Fraunhofer ISE

Mit EU-Recht unvereinbar?

Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage, ob es sich bei der geplanten "Klimareserve" nicht um eine besonders subtile Form der Subvention handelt, einer Beihilfe also, wie sie nach EU-Recht untersagt wäre. (Für die Steinkohle gibt es derzeit noch eine Ausnahme, die 2018 ausläuft. Dann werden hierzulande und in anderen EU-Ländern die letzten Gruben dicht machen.)

Diese Frage hat sich bereits im August, also bevor der Referentenentwurf vorgelegt wurde, der Wissenschaftliche Dienst de Bundestages gestellt. Dabei kam er nach Presseberichten zu dem Schluss, dass im Falle der Braunkohlereserve, wie die fragliche Einrichtung trefflicher zu nennen wäre, zumindest eine Vereinbarkeit mit den Beihilferegeln der EU geprüft werden müsste. Die EU-Kommission habe aber einen breiten Spielraum für ihre Beurteilung.

Andererseits wird in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle spielen, ob die Reserve tatsächlich benötigt wird. Da aber die Bundesregierung selbst davon ausgeht, dass die erwartete Jahreshöchstlast in Deutschland bis 2025 nahezu zu jeder Zeit gedeckt ist, dürfte der Nachweis - sollte die EU-Kommission denn kritische Nachfragen stellen - nicht ganz einfach zu erbringen sein.

Ein im Auftrag von Greenpeace erarbeitetes Rechtsgutachten kommt daher zu dem Ergebnis, dass die Braunkohlereserve nicht mit dem EU-Recht konform geht und entsprechend anfechtbar wäre. Womit sich womöglich auch die Frage stellt, welche Entschädigungsansprüche die potentiellen Vattenfallkäufer womöglich versuchen werden geltend zu machen, sollte sich die Rechtslage nach dem Abschluss des künftigen Deals doch noch ändern.

Eins ist für Greenpeace aber schon jetzt sicher: Da die Braunkohlereserve ein wichtiger Baustein für Deutschlands CO2-Minderungsstrategie für die nächsten fünf Jahre ist, wird die Bundesregierung ihre selbst gesteckten Ziele verfehlen und die selbsternannte Klimakanzlerin Angela Merkel sich erneut blamieren:

Die Braunkohlereserve ist rechtlich unzulässig und steht damit kurz vor dem Scheitern. Kanzlerin Merkel droht mit leeren Händen zur Klimakonferenz nach Paris zu fahren.

Greenpeace-Energieexperte Tobias Austrup

Sollte die EU-Kommission die Braunkohlereserve durchwinken, dann hätte das natürlich auch Auswirkungen auf die Klimapolitik der anderen EU-Mitglieder wie etwa Polens oder der Tschechischen Republik, die ihrerseits gerne ihre alten Kraftwerke und den dortigen Abbau protegieren würden. Polen plant zum Beispiel östlich der Neiße die Erschließung eines neuen Braunkohletagebaus, gegen den es bereits, wie seinerzeit berichtet (Waffen gegen Erdöl?), grenzüberschreitenden Protest gab.