"Merkel verhält sich nicht anders als quotensüchtige Medien"

ZDF-Moderator Wolfgang Herles über Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik

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Dr. Wolfgang Herles arbeitete 40 Jahre lang beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen - erst beim Bayerischen Rundfunk, dann beim ZDF. Er moderierte unter anderem das Kulturmagazin Aspekte, die Literatursendung Das Blaue Sofa und politische Elefantenrunden nach Wahlen. Letzte Woche erschien beim Münchner Knaus-Verlag sein Buch Die Gefallsüchtigen - Gegen Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik. In diesem Buch bescheinigt er dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zunehmende Seichtigkeit und "Moralismus und Alarmismus" statt Qualitätsjournalismus und Aufklärung. Die Gebührensender haben seiner Wahrnehmung nach so versagt, dass er fordert: "Reformiert ARD und ZDF grundlegend - oder schafft sie ab."

Herr Dr. Herles - Sie stehen jetzt kurz vor der Rente. Hätten Sie Ihr Buch auch vor 10 Jahren veröffentlichen können? Oder hätte das damals das Ende Ihrer Karriere beim Fernsehen bedeutet?

Dr. Wolfgang Herles: Vor zehn Jahren hatte ich noch Hoffnung auf einen Kurswechsel. Die Quotenidioten hatten noch nicht die totale Herrschaft über die öffentlich-rechtlichen Sender und der Merkelsche Populismus war noch nicht erkennbar. Auch die Krise der anderen Medien war noch nicht so weit wie heute. Ich schreibe über die Entwicklung der letzten Jahre.

Sie schreiben, dass Informationen in den Massenmedien Erwartungen treffen müssen, um nicht zu verwirren. Das führt dann unter anderem zu "Denkschablonen" wie "Klimawandel", die abrufbare Assoziationen wecken und zu Gegensatzpaaren, die der Komplexität der Realität nicht gerecht werden - wie zum Beispiel Putin gegen Maidan oder Gaddafi gegen Arabischer Frühling. Erklärt das Verkürzungen und Verfälschungen wie das Foto mit Frau und Kind auf den Gleisen des ungarischen Bahnhofs Bicske, das in deutschen Medien durchwegs aus dem Kontext gerissen wurde?

Dr. Wolfgang Herles: Das Vereinfachen komplexer Zusammenhänge und das Emotionalisieren der Dinge haben dasselbe Ziel: Information verkommt zu einer Art Unterhaltung. Die Medien werden zur Erregungsindustrie. Und die Politik agiert heute ebenfalls mit Gefühlen. Bestes Beispiel: Die Öffnung der Grenzen für alle, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Mit der Wir-schaffen-das-Rhetorik ist aber das Problem der Zuwanderung nicht zu lösen. Im Gegenteil. Stimmungen können, wie in diesem Fall, schnell kippen. Merkel ging es nicht um Problemlösung, sondern um die eigene Popularität. Sie verhält sich nicht anders als quotensüchtige Medien.

Gab es solche Emotionalisierungen in den Medien, wie Sie sie für heute darlegen, nicht auch schon früher, als es noch keine Quoten gab? 1914 zum Beispiel? Gehen sie eventuell wellenförmig vor und zurück?

Dr. Wolfgang Herles: Die Kriegsbegeisterung 1914 ist in der Tat ein gutes Beispiel. Aber heute spielen die Massenmedien eine ungleich größere Rolle. Der Vergleich stimmt auch insofern, als wir heute in den großen Fragen keine echte Opposition haben. Das Parlament spielt kaum noch eine Rolle. Das Herz unserer Demokratie ist ein Fall für den Kardiologen.

Der Diskurs über die wichtigen Fragen findet kaum statt. Merkel vermeidet ihn, wo immer es geht. Alle wichtigen Parteien folgen dem Mainstream, auch die Medien. Wir sind heute natürlich nicht mehr nationalistisch verblendet, aber die Mechanismen sind ganz ähnlich. Wir blenden die Gefahren aus und berauschen uns an uns selbst. Aber so toll sind wir nicht. Medien und Politik verlieren das Vertrauen.

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