"Frieden ist eben schlecht fürs Geschäft"

Die ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter Murray und McGovern über Whistleblower, Einfluss von Geheimdiensten auf politische Entscheidungen und Drohnenkriege

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Ray McGovern (75) und Elizabeth Murray (55) haben jeweils fast dreißig Jahre als hochrangige Analysten bei der CIA und anderen US-amerikanischen Sicherheitsdiensten gearbeitet. Murray war Offizierin im National Intelligence Council und auf den Nahen und Mittleren Osten spezialisiert. McGovern war als Mitarbeiter der CIA unter sieben US-Präsidenten für die morgendliche Berichterstattung im Weißen Haus zuständig und auf die Sowjetunion spezialisiert; davor war er im US-Konsulat in München Verbindungsmann zum BND.

Beide sind nun als Mitglieder der Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS) in der US-Friedens- und Bürgerrechtsbewegung aktiv. Sie gehören zum engen Kreis der Unterstützer von Edward Snowden und anderen Whistleblowern in den USA. Eine Aufnahme des Interviews finden Sie beim Video-Portal weltnetz.tv.

Frau Murray, Sie waren bis 2010 als Deputy National Intelligence Officer beim National Intelligence Council der USA für den Nahen Osten zuständig. Beschreiben Sie doch bitte kurz die Rolle dieses Gremiums.

Elizabeth Murray: Im National Intelligence Council kommen 16 verschiedenen Geheimdienste zusammen, um einen Konsens zu finden über die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Aspekte eines jeweiligen Landes oder Problems, also etwa die Frage irakischer Massenvernichtungswaffen oder die Situation im Iran - eines Landes oder Problems, das für die US-Politik von größter Bedeutung ist. Und der National Intelligence Council erstellt die sogenannte Nationale Sicherheitseinschätzung, ein maßgebendes, von den 16 Geheimdiensten zu den jeweiligen Fragen abgestimmtes Dokument, um den politischen Entscheidungsträgern in der Regierung zu helfen, rationale außenpolitische Entscheidungen zu treffen.

Elizabeth Murray

Sie beide unterstützen als ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Whistleblower. Welche Bedeutung haben Whistleblower in einem sich international zuspitzenden Klima?

Elizabeth Murray: Eine sehr wichtige Rolle, weil sie Insider von Regierungen auf der ganzen Welt dazu anregen, den Mächtigen die Wahrheit entgegenzuhalten. Whistleblower wie Chelsea Manning und Edward Snowden informieren über Aktivitäten von Regierungen - in dem Fall der US-Regierung, weil die Massenmedien in den USA streng kontrolliert werden. Das amerikanische Volk hätte sonst nicht erfahren, welche Rolle das US-Militär in Irak etwa bei der Tötung unschuldiger Zivilisten spielt. Im Fall von Chelsea Manning zeigte das Video "Kollateraler Mord" auch die Tötung von zwei Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters.

Das war im Irak, nicht wahr?

Elizabeth Murray: Das war im Irak. Es hat die Welt schockiert. Ich muss auch die Rolle von Wikileaks und Julian Assange erwähnen, denn sie haben umfangreiche und wichtige Dokumente veröffentlicht. Bei vielen dieser Dokumente scheint die Einstufung als "geheim" oder "streng geheim" nicht gerechtfertigt. Sie hätten öffentlich zugänglich sein müssen. Die Einstufung von Informationen zeigt, dass die Regierung manchmal nicht berücksichtigt, dass das amerikanische Volk ein Recht hat zu erfahren, was mit seinen Steuergeldern bezahlt wird. Die Whistleblower sind also sehr wichtig.

Herr McGovern, welche Rolle spielen Whistleblower?

Ray McGovern: Es ist schwer, dem was Elizabeth gesagt hat, noch etwas hinzuzufügen. In einer Demokratie müssen wir wissen, welche Entscheidungen unsere Regierung trifft. Gibt es keine Transparenz, werden all diese Entscheidungen im Geheimen getroffen, dann gibt es unnötige Kriege. Aggressionskriege. Länder werden so zerstört wie Irak und Syrien. Es gibt vieles, das die Menschen in den USA und dem Rest der Welt rechtzeitig wissen sollten, damit sie es verhindern können.

Wir haben miteinander schon einmal vor etwa einem Jahr gesprochen. Damals waren Sie Mitverfasser eines offenen Briefes an Bundeskanzlerin Angela Merkel, um sie davor zu warnen, die Ukraine-Politik mit falschen Behauptungen zu begründen, die von Geheimdiensten produziert wurden. Haben Sie eigentlich eine Antwort erhalten?

Ray McGovern: Ich glaube, wir hatten diesem Brief an Angela Merkel schon vor zwei Jahren in Verbindung mit dem NATO-Gipfel geschrieben. Wir warnten sie davor, zu glauben, was General Strangelove - nein, warten Sie, nicht Strangelove, sondern (Philip M.) Breedlove (US-Kommandeur für Europa) - sagte, weil er die Informationen offenbar fälschte. Damals sah es so aus, als würden die USA die Ukraine sogar militärisch unterstützen.

Merkel verdient Anerkennung. Als sie, neben Obama stehend, vor einigen Monaten von Journalisten gefragt wurde, was sie von militärischer, offensiver Hilfe für die Ukraine halte, antwortete sie, das sei eine schlechte Idee. Dann fragten sie Obama, was er davon halte und er antwortete: "Nun, wir haben noch nicht entschieden." Und Merkel wiederholte, es sei eine schlechte Idee. Zwei Tage später flog sie nach Moskau und verhandelte einen der Waffenstillstände, der - zu meiner großen Freude - zu halten scheint, nach sehr schwierigen Wochen.

Wenn Herr (Wladimir) Putin, Angela Merkel und (François) Hollande aus Frankreich (dem ukrainischen Präsienten Petro) Poroschenko klar machen, dass die Auseinandersetzungen aufhören müssen und die USA ihm ihr Okay geben, dann wird Poroschenko aufhören. Es gibt meines Erachtens mehr Hoffnung auf Frieden in der Ukraine als je zuvor.