Wie Musik unsere Stimmung beeinflusst

Macht Metal-Musik aggressiv? Und drückt traurige Musik unsere Stimmung? Nein, sagt die Forschung

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Das Klischee ist eindeutig: Wer lautstark Heavy Metal hört, ist aggressiv - oder wird es spätestens, wenn er oder sie die Stereo-Anlage einschaltet und bis zum Anschlag aufdreht. Headbanging, Satanismus, abgebissene Köpfe von Fledermäusen, all das wird häufig mit Heavy Metal assoziiert. Und wer traurige Musik hört, ist ein verkappter "Emo", der mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammengekauert in der Ecke hockt und über sich und die Welt verzweifelt.

Doch die Wissenschaft, die sich mit dem Wechselspiel von Musik und Emotionen beschäftigt, kommt zu ganz anderen Ergebnissen. Eine Studie zeigt, dass sich Fans von aggressivem Heavy Metal, Punk, Rave oder HipHop in keinerlei Weise von anderen Menschen unterscheiden hinsichtlich ihrer Persönlichkeit, Selbstwahrnehmung oder ihrem Aggressivitätspotential. Der einzige Unterschied zu Pop-Fans oder anderen Gruppen lag darin, dass die Hörer aggressiver Musik weniger häufig konservativ eingestellt sind und mehr Tätowierungen haben.

Die klinischen Psychologinnen Leah Sharman und Genevieve Dingle von der University of Queensland haben in einer aktuellen Studie ermittelt, dass Metal oft zu friedlicheren und entspannteren Emotionen führen kann - vorausgesetzt, man mag diese Art von Musik. An der Studie nahmen 39 Metal-Fans zwischen 18 und 34 Jahren teil. Zuerst wurden sie in einem 16-minütigem "Stress-Interview" buchstäblich auf die Palme gebracht - in solchen standardisierten Interviews sollen die Probanden von persönlichen Erlebnissen erzählen, die sie besonders wütend machen. Anschließend wurde einem Teil der Probanden ihre aggressive Lieblingsmusik vorgespielt, der andere Teil bekam keine Musik zu hören und wurde einfach in Ruhe gelassen.

Bei jden Versuchsteilnehmern, die aggressive Musik hörten, gab es keinerlei Anstieg der Herzschlagfrequenz. Beide Probandengruppen berichteten über einen denselben Grad der zunehmenden Gelassenheit und Entspannung; diejenigen die aggressive Musik hörten, sagten sogar, dass die fröhlicher wurden. Wer aggressive Musik hört, kann damit also eine Art Katharsis durchlaufen und Aggressionen abbauen.

Traurige Musik macht nicht traurig

Und wie sieht es bei der traurigen Musik aus? Ja, warum quälen wir uns eigentlich selbst und hören uns tieftraurige Musik an? Sind wir etwa insgeheim Masochisten? Keineswegs: Japanische Biopsychologen haben herausgefunden, dass wir durchaus Freude empfinden können, wenn wir melancholischen Melodien lauschen. Ai Kawakami und seine Kollegen spielten 44 Probanden gezielt Musikstücke vor, die ihnen völlig unbekannt waren, etwa die Noctume "La Séparation" (f-Moll) des russischen Komponisten Michail Iwanowitsch Glinka (1804-1857). Das Vorspielen unbekannter Stücke sollte verhindern, dass die Musik persönliche Erinnerungen auslösen könnte.

Die Versuchsteilnehmer mussten einerseits (1) einschätzen, wie die Musik auf andere Personen wirken könnte; andererseits (2) sollten sie angeben, welche Emotionen die Musik bei ihnen selbst hervorriefen. Alle Probanden stuften die Musikstücke objektiv (1) trauriger ein, als sie sie subjektiv (2) empfanden. Obwohl sich die Probanden also einer Traurigkeit der Musik bewusst waren, hat sich diese Traurigkeit in ihren Emotionen nicht voll entfaltet.

Eine Erklärung für dieses Ergebnis könnte laut der Studie sein: Wenn wir traurige Musik hören, fühlen wir uns unmittelbar besser, weil wir merken, dass die Musik deutlich niedergeschlagener klingt, als wir uns selbst wahrnehmen. ("Da ist jemand trauriger als ich es bin.") Zudem wirkt hier ein weiteres Phänomen: Wenn wir harmonische Melodien hören, dann sind wir oft in der Lage, vorherzusagen, welche Töne als nächstes kommen werden. Wir ahnen die zukünftigen Tonfolgen voraus, hören sie dann tatsächlich und landen somit einen Treffer. Refrains verstärken diesen Effekt. Dieses Gefühl der Bestätigung macht uns buchstäblich fröhlich, ganz gleich, ob die Melodie in traurigem Moll oder fröhlichem Dur ertönt. Psychologen sprechen hier von einer "sweet anticipation". Wenn man also mal wieder wütend oder traurig ist, weiß man nun wenigstens, welche Musik vonnöten ist.

Patrick Spät lebt als freier Journalist und Buchautor in Berlin.