Tod von Florian H. soll ungeklärt bleiben

Der NSU-Ausschuss in Baden-Württemberg verweigert seinen Auftrag

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Der NSU-Ausschuss von Baden-Württemberg hat bei seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause im September zwei grundlegende Entscheidungen getroffen. Erstens: Den Vertretern der Landesregierung, die im Ausschuss sitzen, werden keine E-Mails und Briefe mehr weitergeleitet, die Bürger oder Hinweisgeber vertraulich an das Gremium gerichtet haben. Und die Ministerialen werden aus nicht-öffentlichen Sitzungen ausgeschlossen, wenn dort Dinge erörtert werden, die zu disziplinar- oder strafrechtlichen Konsequenzen führen könnten. Zweitens: Die Aufklärung im Falle des auf dem Cannstatter Wasen in seinem Auto verbrannten Neonazi-Aussteigers und NSU-Zeugen Florian H. wird ergebnislos beendet.

Beide Entscheidungen hängen zusammen und sagen viel über diesen Ausschuss selber.

Was war passiert? Herausgekommen war, dass mindestens zweimal vertrauliche Informationen vom Ausschuss zum Landesinnenministerium und zu Ermittlungsbehörden geflossen sind. In einem Fall hatte sich ein Polizist an das Gremium gewandt und erhielt danach ein Disziplinarverfahren. Es wurde inzwischen eingestellt. Im anderen Fall hatte der Zeuge Torsten O., der im März angehört wurde, dem Ausschuss Neues mitgeteilt. Diese neuen Informationen gelangten zur Bundesanwaltschaft und zum Bundeskriminalamt, das den Zeugen daraufhin vernahm (vgl. BKA-Besuch im Knast).

Dass in einem Gremium der Legislative ganz selbstverständlich Vertreter der Exekutive sitzen - das ist die erste Überraschung. Denn es widerspricht - ganz allgemein - dem Prinzip der Gewaltentrennung. Und es berührt - ganz konkret - den Auftrag des Untersuchungsausschusses. Der soll nämlich auch die Justiz- und Sicherheitsbehörden kritisch beleuchten. Stattdessen kooperiert er mit eben diesen Behörden. Um sein Ansehen zu wahren, entschied er jetzt, die Vertreter der Landesregierung vor die Tür zu setzen, zumindest teilweise - ein Rauswurf zweiter Klasse. Dennoch kann er den Vertrauensverlust, der in der Öffentlichkeit und bei möglichen Zeugen entstanden ist, nicht rückgängig machen. Und damit wären wir beim zweiten Komplex, dem des toten Florian H.

Warum Familie H. Gegenstände nicht herausgibt

Der Ausschuss hat seine Arbeit demonstrativ eingestellt, weil die Familie des Toten bestimmte Gegenstände aus dem abgebrannten Auto nicht herausgibt, u.a. einen Laptop und einen Camcorder. Dafür hat die Familie allerdings gute Gründe. Nach dem Brand am 16. September 2013 wollte die Polizei diese Gegenstände vernichten. Sie wollte das Auto mitsamt Inhalt (u.a. Laptop, Reisetasche, Handy, Machete) verschrotten. Es war die Familie H., die das Auto abgeholt und die Gegenstände gerettet hat.

Damals war ein Untersuchungsausschuss nicht nur in weiter Ferne, mehr: eine übergroße Koalition im Landtag stemmte sich mit Macht gegen die Einrichtung eines solchen PUA. Nun sollte die Familie die von ihr sichergestellten Gegenstände an eben jene Behörde herausgeben, die sie vor zwei Jahren vernichten wollte. Das zu verweigern, ist nicht nur legitim, sondern in gewisser Weise sogar geboten. Das anfängliche Vertrauen der Familie in den Ausschuss wurde nicht zuletzt auch dadurch verbraucht, dass das Gremium mit den Vertretern der Exekutive eine enge Verbindung eingegangen ist, wie sie in der Weitergabe vertraulicher Informationen zum Ausdruck kommt.

Mitte September erwirkte der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) gar einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss. Ein zwölfköpfiges Kommando der Heilbronner Kriminalpolizei rückte frühmorgens um acht Uhr bei der Familie an und stellte ihr Haus auf den Kopf. Gefunden wurde nichts. Der Flurschaden, den der Drexler-UA mit seiner Razzia bei der Familie anrichtete, ist irreparabel. Vielleicht sollte gerade das sein. Ein Demonstrativakt, um sich von dem Fall verabschieden zu können.

Drei Zeugen und mehrere Merkwürdigkeiten

Und das ausgerechnet an einem Sitzungstag, an dem drei neue Zeugen gehört worden waren und weitere Merkwürdigkeiten zu Tage traten, die belegen, dass dieser Tod nicht geklärt ist. Ein Landschaftsgärtner sah gegen 8 Uhr an jenem Morgen das Auto auf den Festplatz in Stuttgart fahren. Das ist deshalb interessant, weil andere Zeugen den Peugeot bereits um 7 Uhr dort stehen gesehen haben. Offensichtlich wurde er also zwischen 7 und 8 Uhr bewegt. Von wem und wohin und warum? Um 9 Uhr explodierte das Fahrzeug dann. Der 21jährige Florian H. verbrannte darin. Heute weiß man, dass er zusätzlich einen tödlichen Medikamentenmix in sich hatte.

Der zweite Zeuge war ein Kraftfahrer, der versucht hatte, das Feuer mit dem Feuerlöscher zu ersticken. Er berichtete u.a., dass nach dem Brand ein schwarzer Mercedes zum Tatort kam, eine Limousine. Der Zeuge wörtlich: "Ich schätze, jemand vom Land oder höhere Polizei in Zivil." Was war das für ein schwarzer Mercedes und wer saß darin? Den Ausschuss hat das nicht mehr interessiert.

Der dritte Zeuge war ein Kriminalbeamter, der die Videoaufzeichnungen der Shell-Tankstelle an dem Gelände sichtete und nicht feststellen konnte, dass Florian H. dort mit seinem Auto bzw. Kanister getankt hatte. Und das ist deshalb interessant, weil der Familie H. bei der Überbringung der Todesnachricht durch die Polizei am selben Tag mittags gegen 13 Uhr gesagt wurde, ihr Sohn bzw. Bruder habe Suizid begangen, habe an jener Tankstelle Benzin gekauft, sich übergossen und angezündet.

Diese drei neuen Zeugen befinden sich seit langem in den Akten. Sie wurden dem Ausschuss bisher vorenthalten und erst jetzt nach Wiederaufnahme der Todesermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart vor kurzem mitgeteilt. Ganz offensichtlich wurden also Informationen von Behörden zurückgehalten.