Putin fordert Zusammenarbeit gegen den IS - mit Assad

Der russische Präsident kritisiert scharf und selbstgerecht die US-Politik und will herausstreichen, dass Russland den besseren Ansatz hat

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US-Präsident Obama lehnte in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung eine Zusammenarbeit mit dem "Tyrannen" Assad ab, der das syrische Volk terrorisiert, zeigte sich aber prinzipiell offen für eine Zusammenarbeit mit Russland und Iran (Obama: Autokraten sind keine Zukunftslösung). Der russische Präsident Putin versuchte mit scharfer Kritik an der US-Politik, aber natürlich ebenfalls ohne jeden Anflug von Selbstkritik zu erklären, warum im völkerrechtlichen Rahmen der Vereinten Nationen der Kampf gegen Terrorismus nur mit der "legalen" Regierung Syriens geführt werden könne, ohne ein weiteres blutiges Chaos zu produzieren.

Man könne den Lauf der Dinge nicht weiter tolerieren, sagte Putin gestern, um eine breite Anti-IS-Koalition wie die Koalition gegen die Nazis und eine entsprechende Resolution des UN-Sicherheitsrats zu fordermn. Noch wird also geschachert um den Einsatz und um die Wahrung des Gesichts, aber die Zeichen stehen auf Schritte hin zu einer Kooperation, wenn eine Übergangslösung für Assad bis zu dessen Abtritt gefunden wird. Konkretisieren wollte Putin allerdings nicht, wie er sich jenseits einer Einbeziehung von Assad und von Russland eine Lösung vorstellt.

Aber ob eine Einigung stattfinden wird und aus der russischen Militärpräsenz in Syrien nicht doch noch der nächste Konflikt entsteht, müssen erst noch komplizierte Absprachen mit den jeweiligen Partnern geschehen. Die Zeiten, in denen die Großmächte über die Köpfe der Regionalmächte hinweg ihre Politik betreiben konnten, sind zu Ende. Schwer vorstellbar ist, wie sich Saudi-Arabien mit seinen sunnitischen Verbündeten mit dem Iran über eine gemeinsame Strategie in Syrien (und vielleicht auch noch im Irak?) einigen wird und wie sich die Türkei einbeziehen lässt, deren Hauptziel die Verhinderung eines Kurdenstaats ist. Kaum vorstellbar ist zudem, wie in Syrien nach mehr als vier Jahren Krieg, 250.000 Toten und Millionen Flüchtlingen eine Übergangslösung gestrickt werden kann. Welche Oppositionsgruppen sollen einbezogen, welche bekämpft werden?

Putin bei seiner Rede vor den Vereinten Nationen. Bild: Kreml

Sprengstoff steckt auch in der Kurdenfrage, schließlich streben die irakischen Kurden einen eigenen Staat an, man darf davon ausgehen, dass dies auch die syrischen Kurden wollen, die in den Kampf gegen den IS auf jeden Fall einbezogen werden müssen - und die ihre Forderungen geltend machen werden. Das würde auch darauf hinauslaufen, dass der Irak und Syrien als Staaten zerfallen - was wiederum zum Vorbild für andere Separatistenbewegungen werden wird. Das wird auch Russland nicht gefallen, das zwar das Selbstbestimmungsrecht prorussischer Bewegungen wie auf der Krim, in der Ostukraine oder in Südossetien verteidigt, aber das natürlich im eigenen Land nicht duldet und deswegen einen Vernichtungskrieg gegen die Tschetschenen geführt hat, der den Terrorismus ebenso verbreitet hat wie die amerikanische Unterstützung der afghanischen Islamisten gegen die Sowjetunion, der Einmarsch in Afghanistan, die Invasion in den Irak oder die Intervention in Libyen.

Man darf aber nicht vergessen, dass die mögliche Aussicht auf eine Einigung im Syrienkonflikt oder überhaupt im Nahen Osten nicht überall gerne gesehen wird. Die Taliban haben mit ihrer Offensive auf Kundus schon auf sich aufmerksam gemacht (Taliban nehmen die nordafghanische Stadt Kundus ein), auch die ukrainische Regierung verstärkt die schrillen Töne, um nicht aus der Aufmerksamkeit zu rücken und in die Pleite abzustürzen (Poroschenko: "Es ist ein Kampf der Kulturen, kein interner Konflikt").

Putins Kritik an der Supermacht USA

Wie von Wladimir Putin bereits angekündigt, versuchte er zu Beginn seiner mit Spannung erwarteten Rede, Russland bzw. die Sowjetunion erst einmal als einen der treibenden Motoren für die Bildung der Vereinten Nationen in Stellung zu bringen. Die entscheidenden Prinzipien seien in seinem Land getroffen worden, wobei er sich nicht zufällig auf Jalta auf der letztes Jahr von der Russischen Föderation annektierten/aufgenommenen Krim verwies.

Auf mögliche Veränderungen des Sicherheitsrats, wie sie von verschiedenen Seiten gewünscht werden, ging Putin nicht ein, sondern stellte heraus, dass dieser zwar in letzter Zeit wegen der Konflikte zwischen Mitglieder nicht wirksam gearbeitet habe, dass aber die Probleme lösbar seien, wenn man verschiedene Positionen anerkennt und nach Kompromissen sucht. Von ihrem Veto-Recht hätten alle Staaten oft Gebrauch gemacht. Wichtig aber sei, dass Entscheidungen, die durch Annahme oder Zurückweisung von Resolutionen getroffen wurden, auch akzeptiert werden.

Explizit verwies er auf die USA, die sich nach dem Ende des Kalten Kriegs als einzige Supermacht verstanden, die sich um die Vereinten Nationen nicht mehr kümmern musste, die nur im Wege stand. Damit spielte er auf den Irak-Krieg, aber auch auf die von den USA geführte Koalition an, die nun völkerrechtswidrig einen Krieg in Syrien gegen den IS führt. Dadurch erscheine die UN obsolet, aber man müsse an ihr ebenso wie an der staatlichen Souveränität festhalten, weil es sonst keine anderen Regeln mehr gebe als die der Gewalt. Dabei erwähnte er natürlich nicht die Krim und die Ostukraine, aber wenn er sagt, dass ohne die völkerrechtlichen Prinzipien die "Welt unabhängiger Staaten" ersetzt würde "durch De-facto-Protektorate und von außen gesteuerten Gebiete", wird dies auf Putin zurückfallen - oder meinte er gar, dass er auf der Krim und in der Ostukraine vorexerziert bzw. nachgeahmt hat, was eine Zukunft ohne die UN mit sich bringen würde?

Putin bei seiner Rede vor den Vereinten Nationen. Bild: Kreml

Jeder sei verschieden, das müsse anerkannt werden. Aus der Vergangenheit habe man nichts gelernt. Die Sowjetunion habe versucht, die Revolution zu exportieren, was oft zu "tragischen Folgen" und "Niedergang" geführt habe. Ähnlich sei dies heute mit dem Export "so genannten demokratischer Revolutionen". Dazu müsse man nur in den Nahen Osten schauen, wo die Menschen zwar Reformen wollten, aber eine "aggressive ausländische Einmischung" nur zur Zerstörung nationaler Institutionen und des Lebensstils geführt habe und in "Gewalt, Armut und in eine soziale Katastrophe" gemündet sei.

Ohne sie beim Namen zu nennen, fragte er mit vor Selbstgerechtigkeit geschwellter Brust die USA und ihre Alliierten, ob sie sehen, was sie angerichtet hätten. Er erwarte aber keine Antwort, da die Politik der Selbsttäuschung und der Glaube an die eigene Besonderheit und Unbelangbarkeit weiter vorherrschen, kritisierte er scharf auch die Obama-Regierung. Auch der Islamische Staat habe sich im von den USA angerichteten "Machtvakuum" ausbreiten können, zudem zeige die Unterstützung und Ausrüstung der "gemäßigten" Gruppen, die dann zum IS überlaufen, den Fehler, überhaupt mit "Terroristen" ein Spiel zu spielen. Russland sei stets gegen den Terrorismus eingetreten und unterstütze jetzt auch Syrien und den Irak, die gegen Terroristen kämpfen, militärisch. Es sei ein schwerer Fehler gewesen, nicht mit Assad und den syrischen Truppen zu kooperieren. Diese und die Kurden seien die einzigen, die wirklich den IS und andere Terrorgruppen bekämpfen.

Die Politik Putins: Systemerhaltung

Dass das Unheil in Syrien auch mit der vorbehaltslosen Unterstützung Assads durch Russland zusammenhängt, verschweigt Putin selbstgerecht, ebenso wie die Gräueltaten, die die syrische Armee gegen die Zivilisten verübt. Gebremst hat Moskau Assad zumindest nicht öffentlich, zwar gab es Versuche, eine Kooperation mit Oppositionsgruppen zu initiieren, aber die scheiterten kläglich. Putin hatte einzig mit einem geschickten Schachzug einen möglichen Angriff auf Assad abgewehrt, indem er die syrische Regierung dazu drängte, die Chemiewaffen vernichten zu lassen. Den Druck aber, mit den Bombardierungen von Städten mit Fassbomben und anderen Luftangriffen aufzuhören, hat Putin nicht aufgebaut. Dann wäre seine Haltung allerdings glaubwürdiger.

Putins Angst vor Unruhen und die Neigung, politischen Widerstand als Terrorismus zu bezeichnen und entsprechen zu bekämpfen, haben in Syrien auch bislang eine Lösung verhindert. Zudem teilt er diese Tendenz mit der ukrainischen Regierung, die gegen Kritiker und Separatisten im Osten des Landes gleich militärisch eine "Antiterror-Operation" geführt hat. Das allerdings wurde auch vom Westen bislang nicht kritisiert, weil man hier lieber die "russische Aggression" instrumentalisieren wollte.

In seinen Lösungsvorschlägen scheint auch auf, wie sich Putin die Ordnung der Welt vorstellt (auch wenn er sie selbst im Fall der Krim verletzt hat): Flüchtlinge verdienen zwar Mitleid, wichtig aber sei das Problem an der Wurzel zu behandeln. Und das bedeutet für ihn sehr konservativ: "Die Staatlichkeit wiederherzustellen, wo sie zerstört wurde, die Regierungsinstitutionen zu stärken oder aufzubauen, eine umfassende politische, militärische und wirtschaftliche Unterstützung von Ländern in Schwierigkeiten und für die Menschen, die ihre Heimat nicht verlassen wollen." Primär sind Frieden, Sicherheit und die Stabilität, ist die staatliche Ordnung, von Menschenrechten, Freiheit, Demokratie ist auffällig nicht die Rede. Man muss nur, wie Putin auch deutlich macht, die existierenden Regierungen in Syrien und im Irak stärken. Das ist Selbstzweck, die staatliche Ordnung geht allem anderen vorher. Dass Putin dies so deutlich in seiner Rede macht, ohne groß von Demokratie und Menschenrechten zu sprechen, ist entlarvend, da er sich nicht einmal anstrengt, so zu tun, als ob dies wichtig wäre, um die machtpolitischen Interessen dahinter zu verbergen, wie dies die Ausrichtung der USA ist.

Putin sprach auch kurz den Ukraine-Konflikt an, obgleich vermutet wurde, dass er Syrien dazu nutzen würde, um diesen auszublenden. Er kritisierte hier den Versuch, die territoriale Integrität mit Gewalt durchzusetzen, wie er dies auch in Tschetschenien gemacht hatte. Man müsse die Interessen und Rechte der Menschen in der Ostukraine anerkennen und über die Umsetzung des Minsker Abkommens eine Lösung finden. Welche Schritte Russland hier leisten wird, darüber verlor Putin kein Wort.