Den Einzelhandel schenken wir uns

Wie TTIP den täglichen Einkauf verändern wird

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das von der Politik zumeist gefeierte und von zahlreichen Bürgern eher gefürchtete transatlantische Freihandelsabkommen TTIP bietet noch mehr als Chlorhühnchen.

Nachdem es schon um das ominöse Chlorbad für tote Hühner in den letzten Monaten wieder ziemlich ruhig geworden war, hat das Thema Asylbewerber inzwischen die Freihandelsthemen ganz weit in den Hintergrund gedrängt.

Im Zusammenhang mit den Freihandelsabkommen wird meist von einer Harmonisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen gesprochen. Hervorgehoben werden in diesem Zusammenhang meist Normen und Standards. Übersehen wird dabei fast immer, dass der deutsche Begriff "Norm" im Englischen dem "standard" entspricht und für den deutschen "Standard" das englische "norm" benutzt wird. Eine Angleichung der Begrifflichkeiten steht jedoch nach den bislang vorliegenden Information nicht zur Diskussion.

In der öffentlichen Diskussion völlig ausgeblendet wird die Tatsache, dass es sich bei den Normen, um beim deutschen Begriff zu bleiben, nicht um staatliche Gesetze handelt, sondern um die Ergebnisse privater Verhandlungen der sogenannten "interessierten Kreise", für die es inzwischen den Fachterminus "Stakeholder" gibt. In den einschlägigen Gremien sind in der Hauptsache Vertreter größerer Unternehmen vertreten, denn nur die verfügen in der Regel über ausreichend Personal, das für solche Aufgaben abgestellt werden kann. Kleine Unternehmen haben in dem Umfeld schon allein aus Kostengründen kaum eine Mitsprachemöglichkeit. Für kleine Unternehmen wird sich somit auch mit TTIP hinsichtlich der Normen nichts ändern.

Deutlich gravierender erscheinen die US-amerikanischen Vorstellungen hinsichtlich der Erhebung von Mehrwertsteuer im transatlantischen Handel. Dazu muss man wissen, dass die Mehrwertsteuer ("Value Added Tax "/ VAT) in den USA von den Bundesstaaten erhoben wird und zudem auch je nach Branche und Produkt unterschiedlich geregelt ist. Eine Einfuhrumsatzsteuer wie sie in Europa üblich ist, gibt es in den USA jedoch nicht. Zudem wird die jeweilige Mehrwertsteuer in den USA nur dann auf die Ware berechnet, wenn der Verkäufer (s)einen Sitz im gleichen Bundesstaat wie der Käufer hat. In der Folge dieser Regelung konnten sich Versandhändler mit zentralem Warenlager in einem Bundesstaat deutliche Vorteile gegenüber stationären Händlern in den anderen Bundesstaaten verschaffen. In der Praxis hat die dazu geführt, dass sich in manchen Branchen die (Versand-)Händler in einem Bundesstaat ballen und der stationäre Handel in anderen Bundesstaaten aufgrund der bestehenden Steuerbelastung wegbricht.

Alle US-Produkte im EU-Markt von der Mehrwertsteuer befreit?

Die US-amerikanischen Unterhändler beabsichtigen nun vergleichbare Regelungen auch beim Versand aus den USA an europäische Kunden anwenden zu können und wollen in einem ersten Schritt den sogenannten "de minimis-Schwellenwert" für eine Zoll- und Mehrwertsteuerfreiheit für Warenexporte in die EU auf 800 US-Dollar anzuheben. Damit wären alle US-Produkte im EU-Markt von der Mehrwertsteuer befreit. Da es wie oben erwähnt in den USA keine Einfuhrumsatzsteuer gibt, ist davon auszugehen, dass man mit der angestrebten Zoll- und Mehrwertsteuerbefreiung auch die Einfuhrumsatzssteuer-Freiheit als gegeben ansieht. Europäische Produkte wären dann gegenüber den Importen aus den USA klar benachteiligt. Da TTIP als sogenanntes "living agreement"geplant ist, könnten künftige Änderungen und Ergänzungen im Rahmen des verabschiedeten Vertrags ohne jede Parlamentsmitsprache in einer Art transatlantischer Behörde und mit Beratung durch die Vertreter der multinationalen Konzerne umgesetzt werden. Eine Heraufsetzung des de minimis-Schwellenwerts wäre auf diesem Weg jederzeit problemlos möglich.

Mit der Mehrwertsteuer-Befreiung für US-Importe wären auf der ersten Blick die europäischen Hersteller benachteiligt. Deutlich stärker dürften jedoch der europäische Handel und die Mitgliedsstaaten unter der Befreiung leiden. Ein europäischer Hersteller könnte seine Produktion an einen US-amerikanischen Händler verkaufen und die Ware an das Fulfillment-Center eines Logistik-Unternehmens in einem Zollfrei-Gebiet liefern. Verkauft der amerikanische Händler die Ware dann in Europa fällt, so der Plan, kein Zoll und keine Mehrwertsteuer an. Hätte der europäische Hersteller die Ware über einen europäischen Händler verkauft, wäre der anwendbare Mehrwertsteuersatz fällig gewesen.

Was bislang auf dem Umweg über Luxemburg hinsichtlich der deutschen Urheberrechtsabgabe auf Speicherprodukte realisiert wird, wäre mit TTIP auch im Falle der europäischen Mehrwertsteuer ein durchaus erfolgversprechendes Geschäftsmodell. Die Steuerausfälle bei der Mehrwertsteuer, die in den EU-Mitgliedsstaaten bis zu 25 Prozent betragen kann dürften so manchen Staatshaushalt ganz schnell in die Knie zwingen. Auch vom europäischen Einzelhandel dürfte aufgrund der Steuervorteile bei den Direktimporten aus den USA nicht viel übrig bleiben. Ob und wie man eine solche Entwicklung vermeiden will, ist derzeit noch nicht bekannt.