Hamburg: Beschlagnahme von Gewerbeimmobilien zur Flüchtlingsunterbringung möglich

Kleiderkammer der Hamburger Messehalle. Foto: Ralf Heß

Auf Grundstücke und leerstehende Hallen soll direkt zugegriffen werden - Bürgerschaft macht Notsituation für ein umstrittenes Gesetz geltend

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Hamburg hat ein Problem mit der Unterbringung von Flüchtlingen (Wohin nur mit all den Flüchtlingen?). In der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch mussten 500 Flüchtlingen in Hamburg vor einer Registrierungstelle in der Kälte auf der Straße oder in Parkgaragen übernachten.

Die Menschen haben einem das Essen und die Getränke förmlich aus den Händen gerissen, weil sie so ausgehungert, durstig und fertig waren.

ehrenamtliche Helferin

Dass es dazu kam, wird von Behörden damit erklärt, dass zu viele Flüchtlinge kommen, in nicht kalkulierbaren Mengen, mal seien es weniger, mal mehr, man könne sich nicht darauf einstellen. Zudem habe die Stadt keine Kapazitäten mehr.

Dennoch gelang es, in der Notsituation Abhilfe zu schaffen: Eine leerstehende Tennishalle wurde kurzentschlossen für Flüchtlinge geöffnet. Ehrenamtliche halfen bei der Registrierung aus.

Die Unterbringung in Hamburg brauche kurzfristige Lösungen, ist eine Situationsbeschreibung der Notunterkünfte der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration überschrieben. Gegenwärtig kommen zwischen 400 und 600 Flüchtlinge täglich in Hamburg an, geschätzte 30.000 Flüchtlinge sollen sich laut Senat in Hamburg aufhalten.

Darüber hinaus hat man noch für das Winternotprogramm für Obdachlose zu sorgen. Auch in der Planung für 2015/2016 finden sich neben der Beteuerung, dass man auch in diesem Winter mit zusätzlichen 850 Plätzen den Erfrierungsschutz bieten könne wie im vorangegangen Jahr, finden sich Stellen, die kritische Unterbringungssituationen andeuten:

Die Unterbringung von Zuwanderern aus EU-Staaten in öffentlichen Unterkünften ist wegen der fehlenden Wohnberechtigung nicht möglich.

Nun werden in Hamburg allerhand Expressmaßnahmen beschlossen. Neue Hallen und Flächen werden gekauft, Baufirmen sollen baldmöglichst damit beginnen, jährlich 5.000 zusätzliche Sozialwohnungen "aus dem Boden zu stampfen", wie der NDR heute Morgen berichtet.

Die Standards für Baugenehmigungen werden herabgesetzt, Lärm-und Klimaschutz sind gerade nicht prioritär - auch beim Bund arbeitet man im Zuge des neuen Asylgesetzes an Erleichterungen, die noch weiter gehen.

Für Fälle, in denen in einer Gemeinde trotz sämtlicher Erleichterungen keine ausreichenden Flüchtlingsunterkünfte zu finden oder herzustellen sind, werden sogar sämtliche Vorgaben des Baugesetzbuchs so weit wie nötig zur Disposition gestellt.

Immobilienzeitung

Die spektakulärste Maßnahme wurde gestern von der Hamburger Bürgerschaft beschlossen die Beschlagnahmung von leerstehenden Gewerbeimmobilien. Das "Gesetz zur Sicherung der Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen" soll schon ab kommender Woche umgesetzt werden.

Hamburg ist das erste Bundesland, das ein solches Gesetz auf den Weg gebracht hat. Es rührt am Tabu Privateigentum: "In Hamburg kann enteignet werden", so die Zeit. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, kritisierte das Vorgehen verhement. Dafür müsse eine "Gefahrenlage" vorliegen, die er nicht erkenne, und das Gesetz könne unerwünschte politische Folgen haben:

Andere Bevölkerungsgruppen suchen ja ebenfalls bezahlbaren Wohnraum. Die könnten sich dann zu Recht benachteiligt fühlen. Die Aufnahmebereitschaft dürfte dadurch rasant abnehmen.

Der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) erklärt, dass das Gesetz für absolute Ausnahmefälle gelte, wenn es erforderlich sei, "dass wir gegen Entschädigung eine Fläche beanspruchen müssen, ohne das Einverständnis des Eigentümers zu haben. Wir müssen einfach für den Winter auf alles vorbereitet sein."

Die Regelung ist bis März 2017 befristet und gilt nicht für Privatwohnungen, was allerdings von der CDU-Bürgerschaftsfraktion bezweifelt wird. Weder im Gesetz noch in der Begründung finde sich irgendeine Beschränkung auf gewerbliche Immobilien, heißt es von dieser Seite.

Im Gesetzestext ist in § 14a von einer "Sicherstellung privater Grundstücke und Gebäude oder Teilen davon zur Flüchtlingsunterbringung" die Rede.

(1) Die zuständige Behörde kann zum Zwecke der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden zur Abwehr von bevorstehenden Gefahren für Leib und Leben Grundstücke und Gebäude sowie Teile davon sicherstellen. Die Sicherstellung ist nur zulässig, wenn

1. das Grundstück, Gebäude oder ein Teil davon ungenutzt ist; der Nichtnutzung steht eine Nutzung gleich, die ausschließlich oder weit überwiegend den Zweck verfolgt, eine Sicherstellung nach Satz 1 zu vereiteln und

2. die in den vorhandenen Erstaufnahme-oder Folgeeinrichtungen zur Verfügung stehenden Plätze zur angemessenen Unterbringung der Flüchtlinge oder Asylbegehrenden nicht ausreichen.

Die Beauftragten der zuständigen Behörde sind berechtigt, Grundstücke sowie Gebäude oder Teile davon zur Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen für eine Sicherstellung nach diesem Absatz vorliegen, zu betreten. Die Betretung ist vorher anzukündigen und darf nicht während der Nachtzeit (§ 104 Absatz 3 der Strafprozessordnung) erfolgen.

Dazu heißt es in der Begründung für das Gesetz, dass es "ausdrücklich nicht die Inanspruchnahme kleiner privater ungenutzter Wohnungen bezwecke oder die Einquartierung von Flüchtlingen in ungenutzten Teilen von Wohnungen, wie dies nach dem Krieg der Fall war".

Justizsenator Steffen betonte, dass es ausschließlich um die Beschlagnahmung gewerblicher Immobilien mit einer Kapazität von mindestens 600 Plätzen gehe.