Getäuschter Richter Götzl

Beim NSU-Prozess konnte jahrelang ein Anwalt ein Opfer vertreten, das es wahrscheinlich gar nicht gibt

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Der Münchner NSU-Prozess läuft mittlerweile seit fast zweieinhalb Jahren. Aber erst jetzt fiel auf, dass die als Nebenklägerin zugelassenen Meral K. wahrscheinlich gar nicht existiert. Der einzige Hinweis auf ihre Existenz ist nämlich ein gefälschtes ärztliches Attest, das der - nach eigenen Angaben - beim Kölner Nagelbombenanschlag verletzte Attila Ö. dem Rechtsanwalt Ralph W. zukommen ließ

Der baute darauf seine Nebenklage auf und präsentierte immer neue Ausreden, warum das angebliche Opfer nicht vor Gericht erschien: Einmal war sie überraschend zusammengebrochen, ein andermal in der Türkei. Nun behauptet W., der sein Mandat niedergelegt und sich selbst einen Anwalt genommen hat, von nichts gewusst zu haben. Angeblich hat er sogar Strafanzeige gegen Attila Ö. erstattet, von dem alle Informationen über Meral K. gekommen sein sollen. Einigen Medienberichten nach soll ihm Ö. nur einmal - zu Beginn des Mandats - seine eigene Mutter als Meral K. präsentiert haben. Andere Medien halten es für möglich, dass W. das Mandat übernahm, ohne die Mandantin persönlich gesehen zu haben.

Das Motiv der Scharade ist noch unklar: Attila Ö. war für eine Stellungnahme dazu bislang nicht erreichbar. Er lässt sich nicht von W., sondern von einer anderen Kanzlei vertreten, die sich auf eine Schweigepflicht beruft. Das machte auch der Arzt, der damals Ö.s Attest ausstellte, das dem der wahrscheinlich erfundenen K. bis auf den Namen gleicht. Vorher berief sich der Mediziner auf ein schlechtes Gedächtnis, wollte sich aber erinnern, am Tag des Nagelbombenattentats nur einen einzigen Patienten behandelt zu haben. Erst gab er an, dieser Patient sei weiblichen Geschlechts gewesen. Später wollte er sich darauf nicht festlegen.

Anwälte-Omertà?

Auch Rechtsanwalt W. war für Stellungnahmen nicht erreichbar. Ihm drohen neben berufs- auch strafrechtliche Ermittlungen. Darüber hinaus muss er wohl unberechtigt gezahlte Gebühren und Spesen zurückerstatten. Der Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen zufolge ahnten andere Prozessanwälte, dass W.s Mandantin gar nicht existiert und beschimpfen Ö.s Anwalt Reinhard S., der diese Vermutung aussprach, jetzt als "Verräter".

Das von Meral K. nur ein Attest existierte, war Bundesanwalt Herbert Diemer bereits am 26. April 2013 merkwürdig vorgekommen. Damals präsentierte W. eine angebliche Einladung des Bundespräsidenten als weiteren Beweis für K.s Existenz und angeblichen Schädigung: Bei dieser Einladung handelte es sich allerdings nur um eine allgemein an die "Opferfamilien der rechtsextremen Mordserie" gerichtete Einladung des damaligen Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude, in dem kein Opfer namentlich genannt wird.

Strafjustizzentrum in der Münchner Nymphenburger Straße. Foto: Bubo. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Dem Staatsschutzsenat des OLG München, der Meral K. unter Vorsitz von Richter Manfred Götzl am 30. April 2013 trotzdem als Nebenklägerin zuließ, fiel das offenbar ebenso wenig auf wie die Tatsache, dass zwei ihm vorliegende Atteste bis auf den Namen identisch waren - und dass dort sogar von einem "Barbierbesuch" die Rede war, bei dem die Opfer von der Explosion überrascht wurden - eine für eine Frau recht ungewöhnliche Formulierung. Zudem passte diese Angabe im Attest nicht zu W.s Nebenklageantrag, in dem es heißt Meral K. habe zum Tatzeitpunkt vor einer Gaststätte gestanden und geraucht.

Dass die Nebenklage trotzdem zugelassen wurde und fast zweieinhalb Jahre lang laufen konnte, ist bemerkenswert und spricht nicht unbedingt für den prozessführenden Richter Manfred Götzl. Der peinliche Vorfall wirft außerdem die Frage auf, was Götzl sonst noch entgangen sein könnte - oder entgehen wird. Er war bereits als Richter am Landgericht München sehr umstritten (vgl. Münchner Urteile gegen Zivilcourage). Seiner Karriere schadete das nicht. Ganz im Gegenteil: 2010 wurde er an das Oberlandesgericht befördert.

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