Sitzen macht krank

Studien zeigen, dass auch körperliche Aktivität bei zu langem Sitzen die Risiken nicht kompensiert und wöchentlich mindestens 5 Stunden, besser mehr notwendig wären

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Leben als homo sedens mag zwar bequem sein und ein Großteil der technischen Enwticklung lief bislang darauf hinaus, menschliche Arbeit zu ersetzen, aber während körperliche Anstrengung den Körper verschleißt, gefährdet das Sitzen ebenfalls die Gesundheit. Selbst regelmäßige körperliche Aktivität als Kompensation soll nicht ausreichen, die Folgen ausdauernden Sitzens auszugleichen, versichern uns immer wieder Studien.

Gerade erschien erst wieder eine Studie in der Zeitschrift Circulation, die das Risiko langen Sitzens zu bestätigen scheint, wobei unter Sitzen auch Liegen verstanden wird, also Sitzen bedeutet, nicht zu stehen und sich an einem Platz aufzuhalten. Hintergrund dieser Definition ist schlicht der Ansatz der Studie, für die die Tagesabläufe von mehr als 12.000 Latinos in den USA mittels eines Akzelerometers oder Beschleunigungssensors 7 Tage lang "objektiv" gemessen wurde, mit dem sich nur Zeiten der Fortbewegung und des Stillstands unterscheiden lassen. Tagsüber trugen die Teilnehmer das Gerät 16 Stunden, durchschnittlich saßen sie 11,7 Stunden oder 74 Prozent der 16 Stunden.

Bei der US Navy wird in Reih und Glied gejoggt. Bild: US Navy

Unabhängig von Alter, Geschlecht oder körperlicher Aktivität ließ sich feststellen, dass gesundheitliche Risiken (erhöhter Blutdruck, geringere HDL-Cholesterin-Werte, erhöhte Triglyzeride, höhere Insulinresistenz, erhöhter Blutzuckerspiegel) mit der Dauer des Sitzens zunehmen. Je länger man sitzt, desto höher ist das Risiko für Diabetes und Herzerkrankungen. Auch bei den Menschen, die die WHO-Gesundheitsempfehlungen einhalten, wöchentlich 150 Minuten mäßiger oder 75 Minuten anstrengender körperlicher Aktivität auszuüben, ließ sich der Zusammenhang zwischen ansteigendem Risiko und zunehmender Sitzzeit beobachten.

Das könnte daran liegen, dass die Gesundheitsempfehlung nicht richtig ist. Die WHO empfiehlt allerdings, für 18-64-Jährige sei es besser, wöchentlich 300 Minuten körperliche Aktivität auszuführen. Die EU empfiehlt mindestens 30 Minuten mäßig intensive Bewegung an 5 Tagen pro Woche oder mindestens 20 Minuten intensive körperliche Betätigung an 3 Tagen pro Woche. Überdies sollte wöchentlich an 2-3 Tagen ein zusätzliches Training zum Muskelaufbau und zur Steigerung der Ausdauer erfolgen. Nach einer Umfrage der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland des Robert Koch Instituts (2012) sollen nach Selbstauskunft 57 Prozent der Männer und 48 Prozent der Frauen wöchentlich mindestens eine Stunde, 25 bzw. 16 Prozent mindestens 2,5 Stunden körperliche Aktivität ausführen.

Nach einer eben in der Zeitschrift Circulation veröffentlichten Metastudie von Wissenschaftlern des University of Texas Southwestern Medical Center in Dallas scheint die Empfehlung der US-Regierung, sich 30 Minuten täglich zu bewegen, allerdings nicht auszureichen. Nach Jarett D. Berry, führender Autor der Studie, wäre deutlich mehr Zeit wöchentlich erforderlich, um Herzerkrankungsrisiken zu senken. Erst wenn die empfohlene Zeit verdoppelt oder vervierfacht wird, sinkt das Risiko um 20 bzw. 35 Prozent. Die empfohlenen 150 Minuten wöchentlich einer mäßig intensiven körperlichen Aktivität würden hingegen das Risiko mit 10 Prozent kaum vermindern.

Während also die Gesundheitsrisiken mit der Dauer des Sitzens ansteigen, werden sie mit der Dauer körperlicher Aktivität geringer. Die Studie untersuchte genauer die Zeitspannen körperlicher Aktivität. Dazu wurden 12 Studien aus den USA und Europa mit insgesamt mehr als 370.000 Teilnehmern ausgewertet. Die Teilnehmer gaben allerdings die Zeiten körperlicher Aktivitäten nur selbst an. Untersucht wurde der Zusammenhang zwischen unterschiedlich langen Zeiten der Aktivität und dem Vorkommen von Herzversagen über eine Median-Zeitspanne von 13 Jahren. Danach haben diejenigen das geringste Risiko, an Herzinsuffizienz zu sterben, die sich am längsten sportlichen Aktivitäten widmen, wer überhaupt keine körperliche Aktivität in der Freizeit angab, hatte entsprechend das größte Risiko. Daher empfehlen die Wissenschaftler, die Richtlinien für die Mindestdauer wöchentlicher körperlicher Aktivität mindestens auf 5 Stunden zu erhöhen.

In den USA erleiden jährlich 5,1 Millionen Erwachsene eine Herzinsuffizienz. Das sei ein hoher Anteil an Todesfällen und Krankenhauseinlieferungen unter älteren Menschen, so die Wissenschaftler. Wie gerne wird auch geschätzt, was das kostet, angeblich 30 Milliarden US-Dollar jährlich an medizinischen Kosten. Der Trend gehe dahin, dass das Risiko bis 2030 um 25 Prozent ansteigt, weswegen neue präventive Ansätze zur Senkung des Risikos notwendig seien, "um diese zunehmende Epidemie zu bekämpfen".

Wenn die Technik also die Notwendigkeit körperlicher Aktivität reduziert und gleichzeitig die Arbeitsproduktivität potenziert, wird der biologische Körper zunehmend zum Pflegefall. Was zuvor im normalen (Arbeits)Alltag an körperlicher Aktivität geleistet wurde, muss nun zusätzlich in der Freizeit erbracht werden, um den (Arbeits)Körper fit und gesund zu erhalten. Im Grund dehnt sich damit auch der Arbeitstag weiter in die Freizeit aus, sofern ein Großteil der Arbeit sitzend verbracht wird oder werden muss.