Ukraine: "Volksrepubliken" verschieben Kommunalwahlen

Die Fronten sind aber trotz Einhaltung des Waffenstillstands weiter unverändert, Kiew legalisiert nun die Rekrutierung von Ausländern in die Streitkräfte

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Das letzte Treffen im Normandie-Format am 2. Oktober in Paris hat im Schatten der Flüchtlingskrise und des Syrienkonflikts offenbar zu erheblichem Druck auf die Regierung in Kiew und die "Volksrepubliken" DPR und LPR geführt. Nachdem zwar der vereinbarte Waffenstillstand zunehmend besser eingehalten wurde, aber ansonsten die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen von beiden Seiten nicht vorankam, scheinen Merkel, Hollande und Putin, alle drei "abgelenkt" durch andere Probleme, die Daumenschrauben angezogen zu haben, um den köchelnden Konflikt einzudämmen. In den Medien schlug die Ankündigung, die Wahlen im Donbass zu verschieben, was wieder einen Schritt zur Deeskalierung ist, kaum Wellen. Das könnte es zunehmend Kiew schwierig machen, die Politik gegenüber den "Volksrepubliken" weiter wie bislang zu verfolgen, während die Krim de facto bereits geopfert wurde.

Der russische Präsident Putin scheint nun willens zu sein, nachdem bereits Hardliner wie Andrei Purgin, der sich dem zweiten Minsker Abkommen widersetzen wollte, aus der Führung der DPR gedrängt wurden, härter durchzugreifen. Zwar setzte er bei dem Treffen den ukrainischen Präsidenten unter Druck, zur Vorbereitung der vorgesehenen Kommunalwahlen in den "Volksrepubliken" Gesetze zu einer umfassenden Amnestie, zu den Kommunalwahlen und zum Sonderstatus der Gebiete auf den Weg zu bringen. Aber er übte offenbar noch größeren Druck auf die Führer der Volksrepubliken aus, die für den 18. Oktober und den 1. November geplanten Wahlen auf nächstes Jahr zu verschieben, was allerdings bereits schon einmal von Vertretern der Separatisten vorgeschlagen wurde. Sie waren als Protest angesetzt worden, weil Kiew nach den DPR- und LPR-Vertretern sowie nach Moskau die im Minsker Abkommen geforderten Bedingungen für Kommunalwahlen nach ukrainischem Recht nicht erfüllen wollte, und weil man damit eine größere Legitimation zu gewinnen hoffte. Kiew, aber auch Deutschland und Frankreich sowie andere Staaten hatten erklärt, die Durchführung dieser "illegalen Wahlen" würde einen Affront darstellen und das Minsker Abkommen zum Scheitern bringen.

Poroschenko mit Hollande in Paris am 2. Oktober. Bild: president.gov.ua

Poroschenko hatte die Verschiebung bereits am Montag angekündigt. Heute kam nach den Trilateralen Gesprächen die Bestätigung durch die Vertreter der DPR und LPR. Man freue sich, so lautete die Mitteilung, berichten zu können, die Wahlen im Donbass auf den 21. Februar 2016 zu verschieben - allerdings "unter der Bedingung, dass Kiew alle politischen Punkte des Minsk-2-Abkommen erfüllt", die von den vier Normandie-Mächten gefordert wurden. Man habe mit Vertretern der OSZE und Russland in Minsk gesprochen und Anweisungen von Sachartschenko und Plotnitsky erhalten.

Erreicht wurde also lediglich ein Aufschieben, zu einer Lösung hin, gibt es noch keine weitere Annäherung. Das machen die DPR- und LPR-Vertreter auch deutlich, wenn sie sagen, dass in der Zeit bis zum neuen Termin Kiew die durch das Minsker Abkommen eingegangenen Verpflichtungen umsetzen müsse. Und das sind die alten Forderungen nach einem Sonderstatus, nach einer Amnestie und nach einer entsprechenden Verfassungsveränderung. Zuvor hatte Kostiantyn Yeliseyev von der ukrainischen Präsidialverwaltung erklärt, dass Russland eben diese Forderungen nach "unannehmbaren Gesetzen" erhoben habe. Man habe alle diese Vorschläge, die Forderung nach einer allgemeinen Amnestie, zurückgewiesen. Es gebe keine Notwendigkeit, neue Gesetze über die Amnestie oder den Sonderstatus zu beschließen, sagte er. Die bereits geschaffenen rechtlichen Vorkehrungen würden mit dem Minsker Abkommen übereinstimmen. Das stimmt allerdings nicht, denn die Kommunalwahlen sollen, was auch realistisch bzw. realpolitisch ist, nach dem Umsetzung des Gesetzes für einen Sonderstatus und der Amnestie durchgeführt werden, während Kiew erst die Kommunalwahlen nach ukrainischem Recht abhalten will und danach den Gebieten einen Sonderstatus für drei Jahre gewähren will. Da etwa Separatismus eine Straftat in der Ukraine ist oder Kommunismus nicht vertreten werden darf, hätten dann auch Vertreter oder Anhänger der DPR oder LPR sowie deren Parteien keine Chancen, bei den Wahlen antreten zu können.

Poroschenko will, auch um der Kritik von nationalistischen Kräften auszuweichen, die Verschiebung als seinen Erfolg verkaufen. Sie sei eine "direkte Folge der koordinierten Aktionen der Ukraine und unserer Partner". Das öffne den Weg für die "Rückkehr der Ukraine in den Donbass durch Wahlen nach ukrainischem Recht, auf der Grundlage der OSZE und ganz bestimmt ohne Besatzungstruppen".

Kiew fährt also weiter auf Konfrontationskurs, wobei die Geste der Verschiebung der Kommunalwahlen seitens der Separatisten auch nicht den Willen dokumentiert, eine Lösung zu finden. Die Fronten sind nach dem Treffen in Kiew also so verhärtet wie zuvor, auch wenn es möglicherweise Fortschritte gibt, was den Rückzug von Waffen von der Frontlinie betrifft. Man hat den Eindruck, dass beide Seiten sich auf das Einfrieren des Konflikts einrichten, was für beide Parteien, gleichermaßen von Pleite und wirtschaftlichem Niedergang bedroht, gewisse Vorteile mit sich bringen würde. Es lassen sich die Feindbilder aufrechterhalten und die Unterstützer mobilisieren, die sich aber jetzt schon anderen Konflikten zuwenden.

Bild: Ukrainisches Verteidigungsministerium

Die weiter von der Pleite bedrohte Ukraine, deren Schulden von Januar bis August 2015 auch wegen der Aufrüstung um 35.8% auf jetzt über 70 Milliarden US-Dollar angestiegen sind, hat gestern ein neues Gesetz in der Rada mit einer knappen Mehrheit von 229 von 450 Stimmen gebilligt, das auch nicht der Deeskalation dient. Das Gesetz mit der Nr. 2389 über die Militärpflicht und den Militärdienst sieht vor, dass auch Ausländer und Staatenlose als Soldaten oder als nicht-militärische Angestellte im ukrainischen Militär aufgenommen werden können. Die Rekrutierung von Ausländern könnte auch deswegen bitter notwendig seien, weil sich offenbar immer mehr Ukrainer der Mobilisierung entziehen und untertauchen oder desertieren. Das Verteidigungsministerium geht davon aus, dass tausend ausgebildete Ausländer nun in den Militärdienst aufgenommen werden können.

Damit würde nur legalisiert, was in den Freiwilligenverbänden, die bis auf diejenigen des Rechten Sektors zumindest formal dem Militär oder dem Innenministerium unterstellt wurden, gang und gäbe ist. Davon sollen nun Söldner in bewaffneten Konflikten unterschieden werden, wenn sie "die gewaltsame Veränderung oder den Sturz der verfassungsgemäßen Ordnung, die Übernahme der staatlichen Macht, die Untergrabung der Behörden oder die Verletzung der territorialen Integrität" anstreben. Die Rekrutierung, die Finanzierung, die materielle Unterstützung, die Ausbildung und der Einsatz von solchen "Söldnern" wird mit 5-10 Jahren Gefängnis bestraft. Wenn dies Regierungsvertreter oder Behördenmitarbeiter unter Missbrauch ihres Amtes machen, erhöht sich die Gefängnisstrafe auf 7-12 Jahre, womöglich mit der Konfiszierung des Eigentums. Und wenn der Tod eines Menschen dadurch verursacht wurde, sind 10-15 Jahre fällig. Die gleiche Strafandrohung gilt für "Söldner", die an einem bewaffneten Konflikt oder einem Krieg teilnehmen.

Man darf davon ausgehen, da viele Mitglieder von Freiwilligenverbänden auch Abgeordnete sind, vor allem in der "Volksfront" von Regierungschef Jazenjuk, dass das Gesetz nicht auf diese ausgerichtet ist, sondern vor allem auf die politischen und militärischen Führer, Mitarbeiter und Angehörige der Milizen der DPR und LPR, sofern sie keine ukrainischen Bürger sind. Die Frage wird sein, ob ukrainische Bürger davon tatsächlich ausgenommen sein werden. Was in der Ukraine also rechtmäßig sein soll, wird im Donbass bestraft. Das Gesetz ist eine weitere Maßnahme, die eine friedliche und politische Lösung des Konflikts und auch die Umsetzung des Minsker Abkommens verhindern soll.