Angela Merkel geht leer aus

Friedensnobelpreis geht an tunesisches "Quartett für den Nationalen Dialog"

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Das tunesische "Quartett für den Nationalen Dialog" hat heute Vormittag erfahren, dass es sich den 10. Dezember terminfrei halten muss, weil es an diesem Tag in der norwegischen Hauptstadt Oslo den mit umgerechnet etwa 850.000 Euro dotierten Friedensnobelpreis überreicht bekommt.

Das Quartett besteht aus der Gewerkschaft UGTT, der Handelskammer UTICA, der Menschenrechtsliga LTDH und der tunesischen Anwaltsvereinigung. Zusammen haben es diese Organisationen der Ansicht der Jury nach geschafft, dass der "arabische Frühling" (anders als in anderen Ländern) relativ friedlich verlief und nicht in ein Chaos führte. Das sei "in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich" und zeige "dass Organisationen der Zivilgesellschaft einen entscheidenden Beitrag bei der Demokratisierung eines Landes leisten können". Mit der Auszeichnung will das Nobelpreiskomitee auch dazu beitragen, dass es in Tunesien friedlich bleibt und dass sich andere Länder daran ein Beispiel nehmen.

Unter den 272 Kandidaten, die den Preis nicht bekamen, finden sich unter anderem das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und der Papst. Deutsche Medien hatten darauf spekuliert, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den Preis bekommt - nicht für ihre Vermittlertätigkeit in der Ukrainekrise (für die sie nominiert wurde), sondern für ihre neue Einwanderungspolitik. Womöglich hatte die aus norwegischen Politikern bestehende Jury aber Zweifel daran, ob das auf viele Menschen planlos wirkende Agieren Merkels zu mehr oder eher zu weniger Frieden führt.

Immerhin gab es in der Vergangenheit einige Fälle, die dem Image des Preises langfristig eher schadeten: Der ehemalige US-Präsident Teddy Roosevelt, der ihn 1906 verliehen bekam, hatte 1898 seinen Posten als Vize-Marineminister aufgegeben und war in den Spanisch-Amerikanischen Krieg gezogen. Heute weiß man durch die archäologische Untersuchung des Wracks, dass der Kriegsgrund dafür - die Explosion des US-Kriegsschiffs Maine im Hafen von Havanna - kein spanischer Anschlag, sondern ein Unfall war.

Ein weiteres Beispiel ist der Friedensnobelpreisträger Woodrow Wilson, der die USA in den Ersten Weltkrieg führte und danach eine kurzlebige Friedensordnung mitverantwortete, die nicht nur seinen erklärten Kriegszielen (wie dem Selbsbestimmungsrecht der Völker) widersprach, sondern auch den Keim für die Katastrophe des kommenden Krieges in sich trug. Beim ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger, der den Friedensnobelpreis 1973 verliehen bekam, stellte sich später heraus, dass er eventuell eine Mitschuld an Gräueltaten der Militärjuntas in Chile und Argentinien trägt und 1976 auf einen US-Angriff auf Kuba drängte.

Wie sich Merkels einseitiges Aussetzen europäischer Verträge tatsächlich auswirkt, kann man wahrscheinlich erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten sagen. Fest steht bislang lediglich, das die Kanzlerin eine um 180 Grad andere Einwanderungspolitik macht als die, die ihre Partei den Bürgern vor der letzten Wahl in Aussicht stellte. Vielleicht fragten sich einige Juroren auch, was man demokratiepolitisch für Zeichen setzt, wenn man dieses Verhalten mit einem Preis belohnt.