Nach dem niederländischen Abschlussbericht wurde MH17 mit einer 9M38M1-Buk-Rakete abgeschossen

Die Ukraine wird gerügt, weil der Luftraum nicht gesperrt worden war, Uneinigkeit herrscht über das Gebiet, von dem aus die Rakete abgeschossen wurde

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Heute Nachmittag hat der Dutch Safety Board, die Niederländische Flugsicherheitsbehörde, den Abschlussbericht über die Absturzursache der MH17 vorgelegt. Schon im Vorfeld wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass es nicht um die Schuldfrage geht, die das Gemeinsame Ermittlerteam (JIT) klären soll.

Zunächst wurden den Angehörigen der Opfer der Bericht vorgestellt, dann den Journalisten, anschließend wurde der Bericht veröffentlicht. Mitglieder des Untersuchungsteams waren neben den niederländischen Experten Vertreter von Malaysia, der Ukraine, Großbritannien und den USA als Hersteller des Triebwerks bzw. des Flugzeugs, Australien und Russland, letztere gewährten Informationen. Eingeladen waren auch Vertreter weiterer Staaten.

Bild: onderzoeksraad.nl

Scharf kritisiert wird die Entscheidung, den Luftraum über dem Konfliktgebiet nicht gesperrt zu haben, nachdem am 14. Juli ein Militärflugzeug und am 16. Juli ein ukrainisches Kampfflugzeug in großer Höhe abgeschossen worden war. Die ukrainischen Behörden hätten zwar am 14. Juli die Flughöhe auf 32.000 erhöht, der Grund dafür ist aber offenbar ungeklärt geblieben. Die ukrainischen Behörden hätten zwar von Waffensystemen gesprochen, die auch in die Flughöhe von zivilen Maschinen reichen, aber es dennoch versäumt, den Luftraum vollständig zu sperren.

Es sei allerdings üblich, dass Staaten, die in bewaffneten Konflikten verwickelt sind, den Luftraum nicht sperren. Die Verantwortung dieser Staaten, ihren Luftraum zu sperren, müsse deutlicher gemacht werden, aber es seien auch andere Akteure wie die Fluggesellschaften, andere Staaten oder internationale Organisationen wie ICAO oder IATA für die Sicherheit verantwortlich. Die niederländischen Geheimdienste und die Regierung hätten keine Informationen besessen, dass die Separatisten über hochreichende Boden-Luft-Raketen verfügten oder dass die Konfliktparteien Zivilmaschinen abschießen wollten.

Ganz knapp heißt der Befund: Es war ein Sprengkopf des Typs 9N314M auf einer 9M38M1-Rakete, die in der Ostukraine von einem BUK-System abgeschossen wurde. Nähere Angaben über den Abschussort werden aber ebenso wenig gemacht wie eben über die Verantwortlichen. Ausgeschlossen wird damit von den Ermittlern der Niederländischen Flugsicherheitsbehörde (OVV) allerdings die von russischer Seite ins Spiel gebrachte Hypothese, dass die Passagiermaschine von einem ukrainischen Kampfflugzeug abgeschossen worden sein könnte.

Nach den Ermittlern explodierte die Rakete links unter dem Cockpit in einer Entfernung von etwa einem Meter, wodurch der vordere Teil des Flugzeugs abbrach. In den Leichen des Kapitäns und des Ersten Offiziers wurden zahlreiche Metallsplitter gefunden. Insgesamt wurden 350 Einschlaglöcher gefunden, die meisten auf der linken Seite des Cockpits mit 250 Einschlägen pro Quadratmeter.

Ukrainische Radaranlagen waren zum Zeitpunkt des Absturzes ausgeschaltet, AWACS-Daten gibt es nicht

Ausgeschlossen wird ein Angriff durch ein anderes Flugzeug. Das hätte höchstens einige Dutzend Schusslöcher ergeben, zudem sei kein anderes Flugzeug abgesehen von den drei Passagiermaschinen nach den Radardaten unterwegs gewesen.

Während des Absturzes, so der Bericht, seien die zivilen Radaranlagen in dem Gebiet nicht in Betrieb gewesen. Auch die militärischen Radaranlagen seien nicht aktiv gewesen. Das ukrainische Verteidigungsministerium hat dafür als Grund genannt, dass es in dem Gebiet, in dem MH17 flog kein Militärflugzeug gegeben habe. Es sei aber unwahrscheinlich, so der Bericht, dass auf den Radardaten der zivilen Luftkontrolle eine kleine, schnell fliegende Rakete hätte entdeckt werden können, da sie ausgefiltert worden wären.

Radardaten liegen nur von UkSATSE und vom russischen GKOVD vor, das aber keine Rohdaten, sondern nur ein Video des Radarschirms vorlegte. Da sich der Absturz außerhalb russischen Territoriums ereignet hatte, habe die Russische Flugbehörde die Daten nicht gespeichert. Daten und Video zeigten aber keine Auffälligkeiten, abgesehen davon, dass zwei andere Objekte in der Nähe von MH17 ausgemacht wurden. Zur selben Zeit wie MH17 flogen drei weitere Passagierflugzeuge durch denselben Sektor. Zur Zeit des Abschusses betrug die Entfernung zum nächsten Flugzeug 33 km. AWACS-Flugzeuge der Nato sollen nach Auskunft der Nato für den 17. Juli keine für die Untersuchung "relevanten Daten" aufgezeichnet haben.

Aus den Aufzeichnungen des Voice Recorder war die Kommunikation zu hören, die auch von der Luftkontrolle aufgezeichnet worden war. Es gab keine Hinweise auf Ungewöhnliches, am Ende der Aufzeichnung, während der letzten 20 Millisekunden, gab es zwei kurze Peaks einer "hochenergetischen Tonwelle". Nach den Mikrofonen müsse der Ton links außerhalb des Cockpits entstanden und sich dann nach hinten ausgebreitet haben.

Ebenso wie beim Flugdatenschreiber waren die Daten in Ordnung und nicht manipuliert. Dass die Flugcrew der Anweisung nicht Folge leisteten, auf eine Flughöhe von FL350 zu steigen, sei normal. Nach den Wetterberichten sei die Wahrscheinlichkeit von Turbulenzen auf dieser Flughöhe größer gewesen als auf FL330. Auch dass die Crew zur Umgehung des schlechten Wetters eigentlich 20 Luftmeilen nördlicher fliegen wollte, aber dann nur 5 Luftmeilen vom geplanten Kurs abwich, sei ebenfalls normal.

Gefunden worden waren am Absturzort auch Teile, die nach dem Bericht zu einer 9M38M1-Boden-Luft-Rakete gehören. Angeblich um die strafrechtliche Untersuchung nicht zu stören, wurden in den Bericht nicht alle Bilder veröffentlicht. Ein genauerer Grund dafür wird nicht genannt. Bei Proben an verschiedenen Teilen des Flugzeugs fanden sich Spuren von Explosivstoffen, vor allem TNT und RDX, auf einigen auch PETN. Auf den Raketenteilen fand man Spuren von RDX.

Bild: onderzoeksraad.nl

Die Rekonstruktion des Flugzeugwracks sei ausreichend gewesen, um mit der Hilfe von Simulationen zu erkennen, woher die Hochenergieobjekte gekommen waren und welchen Schaden sie angerichtet haben. Ausgeschlossen werden könne für den Absturz ein Blitzeinschlag, ein Meteor oder Weltraumschrott.

Eine Explosion im Innenraum könne anhand der Tonaufzeichnung des Voice Recorder und der Einschläge von außen ausgeschlossen werden, eine Tankexplosion aufgrund der Einschläge von Hochenergieteilchen von außen. Luft-Luft-Raketen hätten andere Schäden hinterlassen als die gefundenen, das träfe auch auf größere Boden-Luft-Raketen zu. MANPADS könnten die Flughöhe der MH17 nicht erreichen. Abgeschossen wurde das Flugzeug nur durch eine Waffe.

Nach den im Wrack und in den Leichen gefundenen vorgeformten Splittern könnten diese nach den Angaben des Herstellers Almaz-Antey nur von dem 70 kg schweren Sprengkopf 9N314M stammen, der auf einer 9M38M1-Rakete angebracht werden kann. In der Region sei das Buk-Raketensystem verbreitet und als einziges in der Lage, so hoch zu schießen. Nach mehreren Simulationen mit verschiedenen Sprengköpfen und den Schäden am Flugzeug habe sich gezeigt, dass es ein 70 kg schwerer Sprengkopf gewesen sein müsse.

Nach Simulationen des möglichen Flugwegs wurde ein Abschussgebiet von 320 Quadratkilometern berechnet. Das Kyiv Research Institute for Forensic Expertise will in einer Simulation hingegen ein 4 Quadratkilometer großes Gebiet errechnet haben. Bei anderen Simulationen hätten sich für eine 9M38-Rakete ein Gebiet von 20 Quadratkilometer und bei einer 9M38M1-Rakete von 63 Quadratkilometern ergeben. Das sei auch von Almaz-Antey berechnet worden. Zwar würden alle Ergebnisse auf ein ähnliches Gebiet hinweisen, aber sie stimmen nicht überein, daher sei weitere forensische Forschung notwendig.

Einspruch von russischer Seite

Der russische Rüstungskonzern Almaz-Antey kritisierte die Niederländische Flugsicherheitsbehörde schon vor der Veröffentlichung des Berichts. Mit zwei Experimenten hatte er versucht, die Absturzursache zu rekonstruieren. Dabei sei man zum Ergebnis gekommen, dass es sich um ein altes Buk-System gehandelt haben muss, das von einem von der Ukraine kontrollierten Gebiet gefeuert worden sei. Bei den Experimenten habe man zwei Buk-Raketen im Juli und im Oktober in der Nähe des Cockpits einer Iljushin-Passagiermaschine zur Explosion gebracht. Im Juli habe man das Experiment mit einer 9M38M1-Rakete durchgeführt.

Von der internationalen Untersuchung habe man drei Doppel-T-förmige Eisensplitter erhalten. Gezeigt worden sei, dass MH17 nur dann von einer Buk-Rakete abgeschossen worden sein kann, wenn es sich um ein älteres Modell handelt, das aber keine solchen Splitter habe. Das habe man der Niederländischen Flugsicherheitsbehörde mitgeteilt, ohne dass das Ergebnis berücksichtigt worden sei.

Das zweite Experiment im Oktober habe dann gezeigt, dass es sich um eine in Russland seit 2011 ausrangierte 9M38-Rakete gehandelt haben müsste, falls es ein Buk-System war, und dass die Rakete im Dorf Zaroshchenskoye abgefeuert worden sei, das von ukrainischen Streitkräften kontrolliert wurde. Eine von Snezhnoye abgefeuerte Rakete hätte keine Schäden auf der linken Seite der MH17 verursachen können.