Ausbildungsverkürzung für Flüchtlinge?

70 Prozent der Azubis aus Kriegsländern hätten ihre Ausbildung vorzeitig abgebrochen, stellt die Handwerkskammer in München fest. Von einer wirtschaftsnahen Initiative kommt ein Gegenvorschlag

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Eine Fachkraft, die lange Zeit nicht so gefragt war, steht im Augenblick ganz hoch im Kurs: der Deutschlehrer bzw. die Deutschlehrerin. "Es werden alle geholt", so der bayerische Kultusminister Spaenle heute. Die Wartelisten würden abgeräumt.

Zehn Millionen Euro werden bereitgestellt für "Honorarkräfte", für Dolmetscher, für pensionierte wie auch für private Sprachlehrer (zum Ärgernis der Verbände), damit sie den Unterricht unterstützen. Außerdem sollen auch Psychologen aus dem Etat bezahlt werden.

Beides, der Deutschunterricht wie auch die psychologische Betreuung ist gut angelegtes Geld, wenn es zum Beispiel nach den Aussagen von Lothar Semper, dem Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer in München folgt. Die Erfahrungen mit Azubis aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak, die im September 2013 eine Ausbildung angefangen haben, sind "äußerst ernüchternd", so Die Welt.

Etwa 70 Prozent der Azubis hätte ihre Ausbildung wieder abgebrochen, sagte Semper der Zeitung. Bei den anderen Lehrlingen lägen die Abbruchquoten bei rund 25 Prozent. Die Zahlen seien "bundesweit ähnlich". Mit besseren Sprachkenntnissen und einer auf die besondere Situation zugeschnittenen Betreuung könnte man auf eine deutlich höhere Abschlussquote kommen, so Semper.

Wir dürfen die Flüchtlinge auch während der Ausbildung nicht allein lassen, sonst scheitern sie.

Der Mann von der Handwerkskammer erwähnt zudem, dass es "erhebliche Überzeugungsarbeit", damit die Flüchtlinge überhaupt eine Lehre anfangen. Das liegt am Lohn. Die meisten hätten andere Vorstellungen vom Geld, das in Deutschland zu verdienen ist. Das führe dazu, dass mancher ungelernte Aushilfsjob attraktiver ist. Laut Semper weil dort der Mindestlohn gezahlt werden müsse. Da gebe es eine "mentale Hürde".

Den Mindestlohn deswegen abzuschaffen, hält Semper für falsch. Die zöge "erhebliche gesellschaftliche Verwerfungen" nach sich.

"Dreijährige Ausbildung nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen"

Ob Thomas Sattelberger, früher Telekom-Personalvorstand, jetzt Chef der "wirtschaftsnahen", also vorwiegend auf Arbeitgeberinteressen ausgerichteten Initiative MINT Zukunft schaffen, solche Berührungsängste bei Mindestlohn-Ausnahmeregelungen hat, ist unbekannt. Bei den Ausbildungszeiten plädiert er für die Absenkung von Standards. Die Abbruchsrate ließe sich auch senken, wenn die Ausbildungszeiten verkürzt werden, auf ein oder zwei Jahre.

Das Handwerk darf nicht eine dreijährige Ausbildung wie eine Monstranz vor sich hertragen.

Auch Sattelberger fordert zusätzliche Lehrer. Seiner Einschätzung nach seien 30.000 nötig.

Das mit der Zukunft-schaffen- Initiative verbundene Kölner Institut der Wirtschaft hat heute eine Studie veröffentlicht, den Herbstreport zur Beschäftigungsdynamik in MINT-Berufen, die zu Anfang die verbreitete Erwartung formuliert, dass die "jüngsten Rekordzahlen bei der Nettozuwanderung eine besondere Chance für die Fachkräftesicherung versprechen".

In der "groben Kalkulation" (zu finden auf S. 66 des PDF) steht dem Versprechen eine sehr ernüchternde Zahl entgegen: Ausgehend von 400.000 im Jahr 2015 nach Deutschland geflohenen Personen, "die hier längerfristig verbleiben dürfen (z.B. Asyl erhalten), einen unbürokratischen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten (.…), so können aus diesem Personenkreis knapp 15.000 zusätzliche Arbeitskräfte für die MINT-Berufe gewonnen werden, rund 11.000 davon für MINT-Facharbeitertätigkeiten".

Bestätigt wird damit, was im Bericht als Forderung der Arbeitgeber durchscheint, nämlich dass zur Behebung des Fachkräftemangels eine gezielte Einwanderung das gebotene Mittel wäre. Damit solche Einschätzungen auf Arbeitgeberseite nicht zu Lasten der Flüchtlinge ins Feld geführt werden, müsste die Regierung das Thema Einwanderung deutlicher vom Flüchtlingsthema abgrenzen, mit einer Diskussion über ein Einwanderungsgesetz.