Regierung führt Steuern ein, die niemand zahlen kann

Bild: W. Aswestopoulos

Die Entzauberung von Tsipras und Co geht weiter, der Sparkurs wird fortgesetzt

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"Ja zu allem", schallte es bei der namentlichen Abstimmung aus den Kehlen einiger Abgeordneter des SYRIZA, als in der Nacht von Freitag auf Samstag die neuen Sparmaßnahmen im Athener Parlament verabschiedet wurden. Vor dem hochherrschaftlichen Gebäude, auf dem Syntagma Platz und in den griechischen Großstädten hatte sich dagegen wie üblich eine Gruppe von Demonstranten versammelt, welche gegen die erneut sozial einschneidenden Maßnahmen anschrie. Am Ende standen 154 Ja-Stimmen auf dem Konto der Regierung. Ein Abgeordneter der Koalition, Nikos Nikolopoulos aus der Fraktion der Unabhängigen Griechen, hatte sich verweigert.

Eine typische Politikerlaufbahn

Die Geschichte um den opportunistischen Politiker ist ein Paradebeispiel für die Athener Politikwelt. Nikolopoulos, dem wegen zahlreicher homophober und rassistischer Äußerungen der Weg in ein Regierungsamt versperrt blieb, reagierte nicht nur aus Liebe zu den sozial schwachen Wählern. Bei ihm gab persönlicher Frust den Ausschlag.

Nikolopoulos war im Juni 2012 noch als Mitglied der Nea Dimokratia Staatssekretär im Arbeitsministerium geworden. Als nach wenigen Tagen Antonis Samaras Schwenk hin zu einem Sparkurs immer deutlicher wurde, verabschiedete sich Nikolopoulos von Regierung und Partei und gründete die Christdemokratische Partei Griechenlands. Schließlich hätte er auf seinem Posten vor allem soziale Kürzungen für Rentner und Versicherte verantworten müssen.

Später schloss er sich mit seiner Partei den Unabhängigen Griechen als Kooperationspartner auf der Wahlliste für die Wahlen im Januar und September 2015 an. Zwischenzeitlich, von den Wahlen vom Januar bis zum September, hatten sich alle relevanten Parteien im Athener Parlament für den Sparkurs entschieden.

Nikolopoulos hoffte daher zumindest auf ein einflussreiches Amt, um seine Anhängerschaft wenn nicht durch Brandreden gegen den Sparzwang, dann aber zumindest mit den Vorteilen eines Amtsinhabers bei Laune zu halten. Enttäuscht erlebte er, dass zunächst der verbal noch rechtsextremere und antisemitische Dimitris Kammenos von den Unabhängigen Griechen Staatssekretär wurde.

Nikolopoulos wieselte zur Parteizentrale des SYRIZA und bettelte, zumindest um den Posten eines Vizeparlamentspräsidenten. Es war zwecklos. Dimitris Kammenos verlor zwar wegen öffentlicher Proteste seinen Posten im Ministerium, wurde aber Vorsitzender eines Parlamentsausschusses. Als sich Premierminister Alexis Tsipras dann Anfang der Woche martialisch in Uniform gekleidet und lachend zusammen mit Verteidigungsminister Panos Kammenos und dessen Namensvetter und Parteigenossen Dimitris Kammenos zeigte, war Letzterer somit in den Augen der Öffentlichkeit vollends rehabilitiert. Nikolopoulos fühlte sich daher umso mehr düpiert, rief eine Pressekonferenz ein und erklärte sich öffentlich als unabhängig von der Regierung, die nun nur vier Wochen nach der Wahl mit 154 statt 155 Abgeordneten dasteht.

Gleichsam im Rekordtempo sinkt die Popularität Alexis Tsipras. Während seiner Rede im Parlament schrie ihm eine Dame von den Zuhörerrängen ihre Wut über den Politikschwenk entgegen. Die Frau wurde abgeführt. Sie ist in Griechenland keine Unbekannte. Vor dem Januar 2015 hatte sie eifrig für Tsipras geworben und Liveshows im Fernsehen für ähnliche Aktionen - damals gegen die Nea Dimokratia - genutzt.

Nikolopoulos erklärte zudem, dass er die Nea Dimokratia, welche nun mitten im Wahlkampf für einen neuen Vorsitzenden steht, attraktiver als früher findet. Tatsächlich haben Nea Dimokratia, PASOK und To Potami zusammen mit den Kommunisten und der Goldenen Morgenröte geschlossen gegen die Sparmaßnahmen gestimmt.

Alexis Tsipras verkündet die Sparmaßnahmen. Bild: W. Aswestopoulos

Die Wiederkehr der immergleichen Politik

Die Sparmaßnahmen beinhalten wie üblich eine neue Steuer für Rentner, welche die Alterseinkünfte erneut senkt. Tatsächlich ließ die Regierung durchblicken, dass sie beabsichtigt, sämtliche Renten unabhängig von den vorher erfolgten Beitragszahlungen auf maximal 1000 Euro pro Monat zu deckeln.

Immer wahrscheinlicher wird zudem eine Sparerbeteiligung bei der Bankenrettung. Ein Umstand, der die wegen der Kapitalverkehrskontrollen unter der immer noch auf maximal 420 Euro pro Woche begrenzten Möglichkeit des Geldabhebens leidenden Griechen immer mehr erzürnt. Denn schließlich genehmigte, wie erst jetzt bekannt wurde, die Regierung Tsipras bereits im Sommer eine Ausnahmeregelung für die orthodoxe Kirche. Die Kirchenfürsten sind von Kapitalverkehrskontrollen befreit, die produzierenden Unternehmen nicht.

Am frühen Samstagmorgen bescherte Alexis Tsipras den Banken ein weiteres Geschenk. Wegen der auf die Allgemeinheit umgelegten Kosten der Bankenrettung, wegen den gekappten Löhnen, Renten und Sozialleistungen sowie nicht zuletzt wegen der Zahlungsverweigerung des Staates gegenüber privaten Gläubigern hatten PASOK und Nea Dimokratia während ihrer Regierungszeit einen Kreditnehmerschutz eingeführt. Dieser war zwar löchrig und unzureichend, sollte aber, so Tsipras im Januar, verstärkt werden. Künftig sind Pfändungen jedoch einfacher, ein dafür erforderlicher Zahlungsverzug kann bald schon innerhalb von nur dreißig Tagen manifestiert werden.

Weiterhin werden Neuanstellungen, auch von den dringend benötigten Lehrern, erschwert. Auch hier gibt es eine Ausnahme, das Bildungsministerium verkündete die Anstellung von 140 Priestern.

Es gibt zahlreiche Steuererhöhungen, eine Festschreibung der 2011 zunächst als Immobiliensonderabgabe eingeführten zusätzlichen Immobiliensteuer. SYRIZA wollte diese, mit den Immobilienwerten von 2007 berechnete Abgabe abschaffen und rief bis Januar 2015 zur Zahlungsverweigerung auf. Schließlich hat der griechische Immobilienmarkt an Realwerten seit 2010 knapp 3000 Milliarden Euro verloren. Immobilien sind faktisch unverkäuflich. Sie werden durch die Sondersteuer im Schnitt auf einem fiktiven Wert taxiert, der bis zu viermal so hoch ist, wie der tatsächliche Zeitwert.

Dem Beobachter bietet sich somit nur das gleiche Bild, wie es seit 2010 vorherrscht. Eine Regierung führt Steuern ein, die niemand zahlen kann. Sie würgt jeglichen Ansatz eines Wirtschaftswachstums nur aufgrund des Generierens kurzfristiger Einnahmen ab. Dadurch wird langfristig die Wirtschaft massiv geschädigt. Zudem sind die Rentner, die schließlich weder streiken, noch auswandern können, ein leichtes Opfer. Die jeweilige Opposition protestiert vehement gegen solche Maßnahmen, wird sie aber, wenn sie an die Macht kommt, mit Sicherheit selbst auch anwenden. Dabei steigt der Quotient Staatsschulden gemessen an der Wirtschaftsleistung sowohl wegen der Zinsdynamik als auch wegen der Rezession immer weiter an.

Schließlich wird die zum Quartett gewordene Troika in Athen erwartet. Von dieser Gruppe ist bereits der Ruf nach weiteren Maßnahmen zur Verbesserung der Einnahmen bekannt geworden. Fast schon könnten Artikel aus und über Griechenland nach dem immer gleichen Muster gestrickt werden. Nur die Namen der politischen Parteien müssten hin und wieder ausgetauscht werden. Bei den Politikern, welche die Parteien immer öfter wechseln, sind hingegen weniger Änderungen erforderlich.