"Plötzlich braucht man einen Palast"

José Mujica alias El Pepe, der ehemalige Präsident Uruguays, zeigt den Erdogans dieser Welt, dass es auch anders geht

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In jenen Tagen, in denen viele Menschen angespannt und kritisch in Richtung Türkei, oder besser gesagt, in Richtung Recep Tayyip Erdogan, dessen Partei bei den jüngsten Wahlen die absolute Mehrheit erreicht hat, blicken, hielt sich ein Mann am Bosporus auf, den man wohl als Anti-Erdogan schlechthin bezeichnen könnte.

José Mujica alias El Pepe, der ehemalige Präsident Uruguays, bereist nämlich das Land gemeinsam mit seiner Ehefrau. Der Grund für den Aufenthalt des Paares ist unter anderem das neueste Buch Mujicas, welches er auf einigen Veranstaltungen und Konferenzen vor Ort vorstellen möchte.

Angereist ist das Paar nicht mit einem Privatjet, sondern mit Turkish Airlines, Economy-Klasse. Unterwegs sind sie in einem alten VW-Käfer, der ihnen zur Verfügung gestellt wurde. Selbiges Modell fährt Mujica auch in seiner Heimat und tat dies auch während seiner Amtszeit, die er in vollster Bescheidenheit überbrückte.

Einen protzigen Präsidentenpalast, wie jenen etwa, den Erdogan vor kurzem errichten ließ, bewohnte Mujica nicht. Stattdessen lebte der gelernte Blumenzüchter weiterhin nahe der Hauptstadt Montevideo in seinem kleinen, simplen Landhaus, wo er Journalisten aus aller Welt empfing, die ihn unter anderem als "ärmsten Präsidenten der Welt" bezeichneten. Den Großteil ihres Einkommens spendeten Mujica und seine Ehefrau, Lucia Topolansky, die gegenwärtig als Senatorin im Parlament tätig ist. Dadurch lebten beide auch in finanzieller Hinsicht wie die meisten Bürger im Land. Das Durchschnittseinkommen in Uruguay beträgt rund 775 US-Dollar. Anzug und Krawatte sind nie El Pepes Ding gewesen. Ihn im Supermarkt um die Ecke anzutreffen, war für die Bürger etwas völlig Normales - und ist es auch weiterhin.

Die offizielle Sommerresidenz, die jeder uruguayische Staatschef bewohnen darf, stellte Mujica im vergangenen Jahr syrischen Waisenkindern zur Verfügung. Es sei dort so viel Platz und er wohne dort ohnehin nicht, meinte er damals völlig selbstverständlich. Zum selben Zeitpunkt stritt man sich in Europa weiterhin darüber, wie viele Menschen aus Syrien aufgenommen werden sollten.

Im Gegensatz zu Erdogan, der im Laufe seiner Amtszeit die gesamte Türkei spaltete, Kritiker und Oppositionelle immer wieder anging, Journalisten ins Gefängnis warf und im Nachbarland Syrien eine Außenpolitik pflegte, die man nur als katastrophal bezeichnen kann, agierte Mujica in vielerlei Hinsicht stets vorausschauend. In Erinnerung bleibt er vor allem mit der Verabschiedung jenes Gesetzes, welches einen begrenzten Handel mit Cannabis legalisiert hat und auch dessen Anbau unter staatlicher Kontrolle ermöglichen soll. In dieser Hinsicht ist Uruguay weltweit weiterhin einzigartig.

Und auch sonst machte Mujica seinen Kontrast zu anderen Politikern deutlich. Als gegen Ende seiner Amtszeit kein Staat der Welt, auch kein islamisch geprägter wie die Türkei, dazu bereit war, sechs frisch entlassene Häftlinge aus Guantanamo aufzunehmen, war es El Pepe, der den Männern ein neues Zuhause in Uruguay anbot. Mujica, einst selbst ein politischer Gefangener, der gefoltert wurde, konnte nur allzu nachvollziehen, wie sich die Männer, die aus Syrien und Tunesien stammen und dreizehn Jahre lang ohne Anklage festgehalten wurden, fühlten.

Im vergangenen März wurde José Mujica von Tabaré Vásquez abgelöst. Ein weiteres Mal durfte Mujica, der fünf Jahre im Amt war, laut der Verfassung des Landes nicht antreten. Dies hätte er jedoch ohnehin nicht getan. Immer wieder wies Mujica daraufhin, dass dauerhafte Macht korrumpiert und kein Normalzustand werden darf. Politiker sollen kommen - aber auch wieder gehen. "Sobald Politiker aufsteigen, fühlen sie sich wie Könige. Die Pracht des Büros ist wie etwas, das aus der feudalen Vergangenheit stammt. Plötzlich braucht man einen Palast, rote Teppiche und eine Menge Leute hinter sich, die permanent Ja sagen. Ich denke, all das ist schrecklich", so meinte Mujica in einem Interview.

El Pepes Rat würde wahrscheinlich nicht nur Erdogan, dessen sultanhaftes Getue mittlerweile jeglichen Zenit erreicht hat, gut tun, sondern auch so einigen westlichen Politikern, die nicht nur den Kontakt zu den Bürgern vollständig verloren haben, sondern immer mehr im Interesse von Finanzinstitutionen oder Rüstungsindustrie agieren, während sie ihre Parlamentsplätze besetzt halten und sich in ihren abgesicherten Festungen verbarrikadieren.