Krankenhaus Kundus: Das Ziel war töten und zerstören

Gebäudeplan des Krankenhauses von MSF in Kundus. Bild: MSF

"Ärzte ohne Grenzen" präsentiert Ergebnisse der internen Untersuchung zum Luftangriff auf Krankenhaus in Kundus

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Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF) haben in Kabul erste Ergebnisse ihrer internen Untersuchung des Luftangriffs vom 3. Oktober durch US-Spezialeinheiten in Kundus (Afghanistan: Kriegsziel Krankenhaus) vorgestellt. Demnach war das Ziel des Luftangriffs, bei dem 30 Menschen getötet und 37 verletzt wurden, eindeutig das Töten und Zerstören.

Das Krankenhaus wurde durch die Luftangriffe dem Erdboden gleich gemacht. "30 unserer Patienten und Angestellten wurden getötet. Einige von ihnen verloren ihre Glieder und wurden in den Explosionen enthauptet", berichtet MSF. Personen, die versuchten, aus dem brennenden Gebäude zu entkommen, wurden von dem fliegenden "Kanonenboot" AC-130U beschossen. Einige Augenzeugen berichten, dass die Schüsse den Bewegungen der fliehenden Menschen folgten.

In Bilder davor und danach versuchen MSF die Zerstörungen deutlich zu machen. Bild: Michael Goldfarb/MSF

Die Situation nach der Taliban-Offensive

Für den vorläufigen und sich im Prozess befindlichen internen Untersuchungsbericht wertete MSF etwa 60 Zeugenaussagen der afghanischen und internationalen Angestellten aus, interne und öffentliche Berichte, Email- und Telefonkommunikationen sowie Fotos und Satellitenbilder. Daraus ergibt sich die Binnenperspektive, wie sich die Ereignisse im Krankenhaus abgespielt haben.

Aufgrund der zunehmenden Intensität der Gefechte nach der Taliban-Offensive übermittelte MSF am 29. September die exakten Geodaten an das Pentagon, an das afghanische Innen- und Verteidigungsministerium und die US-Armee in Kabul.

Sowohl das US-Verteidigungsministerium als auch die US-Armee bestätigten den Erhalt der Daten und sicherten zu, dass diese an die entsprechenden Stellen weitergegeben würden. Eine mündliche Zusage gab es auch vom afghanischen Innenminister. Die GPS-Daten wurden ebenfalls einem UN-Vermittler mitgeteilt, welcher bestätigte, diese an die zuständigen Stellen der Operation Resolute Support weiterzuleiten.

Während des Angriffs wurden die Operationsräume genutzt. Der Operationssaal nach dem Angriff. Bild: Dan Sermand/MSF

Am Mittwoch den 30. September versorgte MSF bereits 130 Verwundete, darunter 65 Taliban. Zwei der verwundeten Aufständischen hatten einen höheren Rang. Einen Tag darauf erhielt MSF eine Anfrage der US-Regierung, ob sich in dem Krankenhaus eine große Anzahl Taliban verstecken würde und wie es um die Sicherheit der Angestellten bestellt sei.

Als die Kämpfe, am Freitag den 2. Oktober, in Kundus erstmalig seit der Offensive der Taliban nachließen, kletterten Angehörige von MSF auf das Dach des Krankenhauses, um dort zwei Flaggen anzubringen. Die Bombardierungen der letzten Tage in Kundus durch US-Streitkräfte ließ diese Vorsichtsmaßnahme sinnvoll erscheinen. Christopher Stokes, Geschäftsführer von MSF, bestätigte auf der Pressekonferenz in Kabul, dass die Flaggen flach auf dem Dach angebracht wurden. Auch sei das Gebäude komplett in weiß gestrichen und eines der wenigen Gebäude gewesen, das überhaupt über Licht verfügte. Dementsprechend wäre das Gebäude deutlich sichtbar als Krankenhaus erkennbar gewesen.

Stokes wies aber darauf hin, alle Konfliktparteien hätten mehrmals versichert, dass die zentralen Angaben die GPS-Daten seien. Diese Daten seien für NATO und USA die entscheidenden Informationen, damit nichts passieren könne.

Einige Stunden vor dem Luftangriff informierten französische und australische Diplomaten MSF darüber, dass internationale Angestellte in Gefahr seien, entführt zu werden. Im Team von MSF befanden sich zwei Franzosen und ein Australier. Daraufhin beschloss MSF, dass das internationale Personal, so es keinen Dienst hatte, sich in den Sicherheitsräumen im Keller bzw. im Verwaltungsgebäude aufhalten sollte.

Um 22.00 Uhr schliefen etwa 100 Angestellte in den Sicherheitsräumen der Anlage. Diejenigen, die noch wach waren, berichteten, wie ruhig diese Nacht im Vergleich zu den intensiven Feuergefechten der vorhergehenden Nächte war. In der direkten Umgebung des Krankenhauses gab es keine Kämpfe. Es wurden weder Flugzeuge noch Schüsse oder Explosionen vernommen. Einige Angestellte trauten sich sogar zum ersten Mal seit der Taliban-Offensive wieder ins Freie.

Alle Angestellten versicherten, dass das Tor der Anlage verschlossen war und dass der unbewaffnete Sicherheitsdienst von MSF patrouillierte.