Griechenland: Stellt Panoussis James Bond in den Schatten?

Giannis Panoussis. Bild: W. Aswetopoulos

Der ehemalige Bürgerschutzminister beschuldigt Alexis Tsipras, dass dieser Kenntnis über Verbindungen der Regierungspartei SYRIZA zum Terrorismus habe

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Giannis Panoussis, ehemaliger Bürgerschutzminister und renommierter Kriminologieprofessor beschuldigt Alexis Tsipras, dass dieser Kenntnis über Verbindungen der Regierungspartei SYRIZA zum Terrorismus habe. Diese Meldung schlug am Sonntag wie eine Bombe in Griechenlands Medienwelt ein.

Panoussis ging sogar noch einen Schritt weiter. Er behauptete, dass er von mindestens noch amtierenden SYRIZA-Parlamentariern sowie einem hochrangigen Parteifunktionär in Leib und Leben bedroht werde. Darüber, so Panoussis, sei Premierminister Alexis Tsipras von Anfang an informiert gewesen.

Parlamentsvizepräsident Giorgos Varemenos vom SYRIZA kommentierte als einer der ersten. Er befand, dass Panoussis Geschichte den gerade anlaufenden James-Bond-Film als Politthriller in den Schatten stellen würde. Allerdings habe er, Varemenos, keine Zeit für Thriller, denn er würde sich lieber mit handfesten Problemen beschäftigen.

Sein Parteigenosse Giannis Michelogiannakis hat dagegen ernsthafte Zweifel, ob nicht vielleicht doch Wahrheiten in Panoussis‘ Anschuldigungen stecken. Der SYRIZA-Parlamentarier Nikolaos Manios meint dagegen, dass Panoussis sich nur wichtig machen wolle. Regierungssprecherin Olga Gerovassili fand es dagegen höchst seltsam, dass Panoussis, als er Minister war, nicht zur Tat schritt.

Der ehemalige Minister hat dagegen für alles eine Erklärung. Er habe seit April die Polizeiführung und den Premier informiert, erklärt er. Weil so lange nichts geschehen sei, würde er nun an die Öffentlichkeit treten, weil nur dies ihn schützen könne. Auch über Facebook verbreitete er, dass nicht nur er selbst, sondern auch seine Familie in Gefahr sei.

Verbindung von griechischen Polizisten und Menschenhändlern?

Panoussis behauptet ferner, dass er zahlreiche Dokumente, Abhörprotokolle und Tonaufnahmen habe, welche seine Vorwürfe belegen würden. Er habe Kopien seiner Beweise bei einem Notar hinterlegt und bitte den Premier zu handeln. Panoussis unterließ es nicht, Tsipras dafür zu danken, "dass er mich im Januar ins Amt gerufen und später davon befreit hat". Letzteres sei geschehen, "um mich zu schützen", behauptet Panoussis.

Nachdem ein langes Interview mit Panoussis zum Thema in der Sonntagsausgabe von "To Proto Thema" erschienen war, hatte die Regierung den ehemaligen Minister aufgefordert, doch zur Staatsanwaltschaft zu gehen, wenn er Beweise hätte.

Panoussis ging am Montagmorgen zur Staatsanwaltschaft des Areopags und gab hinterher der Presse einige vieldeutige Erklärungen. Außer den politischen Verdächtigen involvierte er auch die oberste Polizeiführung, beziehungsweise die Offiziere, welche nun als Nachfolger für die amtierenden Spitzen der Abteilung für Innere Revision der Polizei im Gespräch sind. Denn deren Ablösung wird gerade für die nächsten Tage geplant. Panoussis warnte davor.

Er betonte ausdrücklich, dass in dem Material, welches er den griechischen Justizbehörden übergeben hat, nicht nur von Politikern die Rede ist. Vielmehr seien auch die Verwicklungen von hohen Polizeioffizieren in den Menschenhandel und die organisierte Kriminalität ein Thema. Aufhorchen lässt, dass der frühere Minister offen eine Verbindung von griechischen Polizisten und Menschenhändlern in der aktuellen Flüchtlingskrise anprangert. Davon betroffen seien die Küstenwache, der Geheimdienst und die Polizei.

Panoussis Nachfolger im Amt Nikos Toskas möchte von all dem nichts wissen. Er erklärte in einem Radiointerview, dass er keinerlei Gefährdung des ehemaligen Ministers sehen würde und wie geplant die Neubesetzung der Polizeispitze durchführen wolle.

Justizminister Nikos Paraskevopoulos war das einzige Regierungsmitglied, welches dem ehemaligen Ministerkollegen in gewisser Weise beisprang. Paraskevopoulos sagte aus, dass auch er bedroht worden sei, aber keine konkreten Namen nennen könne. Darüber hinaus ließ Paraskevopoulos offen, inwiefern Panoussis Fakten, Vermutungen und seine Eigenschaft als Kriminologieprofessor vermengen würde.

Terrorismus und organisiertes Verbrechen, das ist genau das Thema, mit dem Panoussis Autonome und Linksextreme gegen sich aufbrachte. Panoussis, unter dessen Führung die Polizeigewalt bei Demonstrationen nahezu gleich wie unter der konservativen Regierung Antonis' Samaras war, versuchte die gewalttätigen Reaktionen der extremen Linken nicht nur mit Terrorismus, sondern auch mit der Mafia in Verbindung zu bringen.

Als Beweis ein "Leak" für die Abendnachrichten

Über den Sender Mega TV wurde die Abschrift eines Gesprächs zwischen einem SYRIZA-Funktionär und einem Haftinsassen, der zur Gruppe "Verschwörung der Zellen des Feuers" (kurz: Feuerzellen) gehört und vom Staat als Terrorist verfolgt wird, geleakt. Die Feuerzellen werden international als Terrorgruppe eingestuft.

Der Sender nutzte die journalistische "Bombenmeldung" für seine Abendnachrichten. Die Abhöraktionen fanden im März, April und Mai statt. Sie erfolgten über den damals Panoussis unterstehenden Geheimdienst EYP. Es war just die Zeit, in der linke und autonome Gruppen begannen, gegen SYRIZA aufzubegehren. Die über Mega TV verbreiteten Gesprächsfetzen sind ohne Erklärung der Hintergründe gemeinhin unverständlich.

Funktionär: "Wir werden alles machen. Wir werden die Gesetze betrachten, Savvas Xiros, DNA, Freilassungen. Alles."

Terrorverdächtiger: "Ihr habt nichts getan bis jetzt."

Anmerkungen zum Verständnis: Savvas Xiros ist ein Mitglied des 17. November, einer Gruppe, die für zahlreiche Terroranschläge verantwortlich ist. Er wurde bei einem missglückten Bombenattentat schwer verletzt. Damals ordnete die Staatsgewalt eine Art Folter an.

Xiros, den eine Bombe buchstäblich zerfetzt hatte, erhielt zahlreiche Wahrheitsdrogen und wurde bei ansonsten vollem Bewusstsein und Kenntnis seiner lebensbedrohlichen Lage von den Behörden nur schrittweise behandelt. Für jeden Behandlungsschritt war eine Aussage fällig. Nur so konnte der 17. November von der Antiterrorpolizei ausgeschaltet werden. Auch in der Haft wurden notwendige ärztliche Maßnahmen immer wieder verweigert, was Xiros Gesundheit nicht zuträglich war.

Den Großteil seiner Haftstrafe musste der von vielen Griechen als Stadtguerillero und nicht als Terrorist angesehene Xiros in einem feuchten, schlecht belüfteten Kellerverlies des Korydallos Gefängnisses verbringen. Das Gefängniskrankenhaus von Korydallos gleicht nicht erst seit der Krise mehr dem Todestrakt eines Horrorfilms, denn einem Hospital.

Xiros, der außer einer nahezu kompletten Blindheit zahlreiche weitere Gebrechen als direkte Konsequenz der Verletzungen, der verzögerten oder verweigerten Behandlung und der schlechten Haftbedingungen hat, sollte eigentlich - so hatte es SYRIZA im Wahlkampf versprochen - aus humanitären Gründen den Rest seiner zahlreichen lebenslangen Freiheitsstrafen in strengem Hausarrest fristen. Dies wurde bis heute nicht umgesetzt. Die Forderung nach Freilassung oder Hausarrest besteht seit vielen Jahren.

Darüber hinaus zeigen sich die griechischen Ermittlungsbehörden sehr kreativ, was die Anwendung der DNA-Tests angeht. In der Regel werden bei Verdächtigen, welche dem linken oder anarchistischen Spektrum zuzuordnen sind, sämtliche Personen des Umfelds der jeweiligen Person belangt, weil von ihnen DNA-Spuren beim Verdächtigen zu finden sind. Tage später ging der Dialog weiter.

Funktionär: "Es gibt nicht nur uns. Es gibt auch den "Überminister" und der zählt nicht zu uns."

Anmerkung: In einem Bekennerschreiben der Gruppe "Feuerzellen" wurde Bürgerschutzminister Giannis Panoussis als "Überminister" bezeichnet.

Terrorverdächtiger: Dann haben wir es richtig gemacht, dass wir ihm damals eine Bombe gelegt haben.

Anmerkung: Im Februar 2009 wurde Giannis Panoussis bei einem Bombenanschlag leicht verletzt und kurze Zeit später von Unbekannten verprügelt.

Terrorverdächtiger: Ihr habt uns zum Narren gehalten. War es das, was wir vereinbart haben? Ihr habt uns zum Narren gehalten!

Durch die Veröffentlichung der Abschrift der Gesprächsfetzen fühlte sich Panos Lambrou, Mitglied des Politbüros von SYRIZA und Verantwortlicher für Fragen der Menschenrechte, kompromittiert. Panou war während Panoussis Amtszeit als Minister einer der schärften politischen Gegner des Kriminologieprofessors.

Panoussis fragte sich in einer Presseerklärung, auf welchem Weg das Gesprächsfragment zum Sender gelangt sei. Er betonte, dass er sich seit Jahren um die Belange von Gefangenen und deren Rechte kümmert und sieht in Panoussis Vorstoß einen dubiosen Versuch, ihn zu verleumden. Lambrou kündigte seinerseits juristische Schritte an. Die Erklärung wurde auf dem normalen Verteiler von der Partei an die Journalisten verbreitet.

Lambrou gehört zu der so genannten Bewegung der 53, einer der verbliebenen linken Flügel der Partei, die dem Sparmemorandum durchaus kritisch gegenüber steht, aber anders als die zur neuen Partei Volksunion gewordene "Linke Plattform" von Panagiotis Lafazanis nicht den Weg der Abspaltung, sondern des innerparteilichen Dialogs gewählt hat.

Dem Politbüromitglied zur Seite sprang die Pressestelle der Partei aber noch mit einem weiteren Rundschreiben. Der Wortlaut dieser Erklärung kann das politische Klima durchaus beleuchten:

Herr Panoussis hat heute auf Aufforderung der Regierung vor der Justiz ausgesagt. Er hat es geschafft, eine Reihe von Interviews an zahlreiche Medien zu geben, in denen er versucht SYRIZA in kriminologische Mythen zu verwickeln.

Wir sind nicht in der Lage, die Gründe, wegen derer ein ehemaliger Minister im Nachhinein solch schwerwiegende Anschuldigungen vorbringt, zu verstehen.

Aber unabhängig von den Gründen für die "Verzögerung", möchten wir in alle Richtungen betonen, dass die Anschuldigungen einer vorgeblichen Verbindung von Funktionären des SYRIZA mit dem Terrorismus nicht nur lächerlich, sondern vulgär und beleidigend sind und dementsprechend behandelt werden.

Die Menschen in Griechenland sind verunsichert

Die Anschuldigungen des Ministers könnten, wenn sie sich bewahrheiten, die Stabilität des Landes weiter erschüttern. Die Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung ist zum ersten Mal seit Monaten wieder spürbar.

Im Zuge von Demonstrationen gegen die umstrittenen Äußerungen von Bildungsminister Nikos Filis hinsichtlich des Genozids an den Pontosgriechen wurde in der der vergangenen Woche in Athen der Abgeordnete der Nea Dimokratia, Giorgos Koumoutzakos von Demonstranten verprügelt. Am Montag fielen in Thessaloniki der Abgeordnete der Goldenen Morgenröte Christos Chatzisavvas sowie der frühere Parlamentarier und aktuelle Stadtrat von Thessaloniki, Artemis Matthaiopoulos, von Demonstranten verprügelt.

Die Bevölkerung hat zudem Angst. Die zur Quartett gewordene Troika drängt darauf, dass der Pfändungsschutz für die "einzige Wohnung" eines Kreditnehmers aufgehoben wird. Knapp 500.000 Familien sind davon potentiell betroffen. Seitens des Quartetts wird inoffiziell erklärt, man denke gar nicht an Pfändungen, sondern wolle vielmehr die Kreditnehmer in Angst versetzten, um so die Zahlungsmoral zu heben. Zudem stehen weitere Gehalts- und Rentenkürzungen, teilweise sogar bis zu vierzig Prozent, ins Haus. Griechenland hält auch im sechsten Jahr der Krise den europaweiten Rekord in der Verteuerung der Lebensmittel.

Kommt es im gegenwärtigen Poker der Regierung mit den Kreditgebern zu einer Einigung, stehen zudem weitere Steuererhöhungen ins Haus. Eine davon mag viele verwundern. Für das Abmelden eines Fahrzeugs, für welches zum Beispiel die Unterhaltskosten und die verglichen mit Deutschland im Schnitt drei- bis vierfach höheren Kraftfahrzeugsteuern nicht mehr aufgebracht werden können, sind dann abgesehen von den Verschrottungskosten weitere 450 Euro Gebühren fällig. Das ist kein gutes Klima, welches durch politische Instabilität noch weiter angefacht werden könnte. Könnte, denn meist versickern solche Geschichten irgendwann im medialen Nirwana.

Zu Panoussis Anschuldigungen ist als persönliche Erfahrung anzumerken, dass vor einigen Monaten in Gegenwart des Autos, der als Fotograf gebucht war, während eines Interviews ein hochrangiger Minister "off the record" über politische Morde auf Kreta philosophierte. Dagegen, hieß es, werde die Regierung vorgehen. Die betreffenden, mit Namen genannten Personen des Täterkreises sind seit Jahren in Griechenland im Gespräch und werden mit Korruption, Schmuggel, aber auch politischer Einflussnahme verbunden. Geschehen ist nichts. Jedoch bekommt der Journalist, welcher damals das Interview führte, keine telefonisch, elektronisch oder anders geartete Verbindung mehr zu dem Minister. Er hatte bei seiner letzten Interviewanfrage das Thema noch einmal angesprochen und wartet seitdem auf einen Rückruf.