Spiegel-Kabinett der Geheimdienste

Gedenktafel auf der Theresienwiese in Heilbronn. Bild: Peter Schmelzle. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Spielten Sicherheitsorgane beim Kiesewetter-Mord eine Rolle? Der NSU-Untersuchungsausschuss von Baden-Württemberg befragte dazu Zeugen

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Was genau geschah am 25. April 2007 auf der Theresienwiese in Heilbronn? Warum wurde auf die zwei Polizeibeamten Michèle Kiesewetter und Martin Arnold geschossen? Und von wem? Hat in der Stadt damals eine größere Aktion stattgefunden? Vielleicht mehrere? Der zehnte NSU-Mord ist der rätselhafteste der gesamten Serie und deshalb der Schlüssel zum gesamten Komplex. Unter anderem gibt es Hinweise auf eine Verstrickung von Nachrichtendiensten. Ihr wollte der Kiesewetter-Ausschuss des baden-württembergischen Landtages jetzt nachgehen. Heraus kamen einige Erkenntnisse, viele neue Fragen und weitere Merkwürdigkeiten.

Die Täter in Heilbronn waren Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ohne Beteiligung ortskundiger Dritter - so die Bundesanwaltschaft gebetsmühlenhaft seit der Aufdeckung des NSU vor vier Jahren. Die Sonderkommission (SoKo) Parkplatz des Landeskriminalamtes von Baden-Württemberg ging vor 2011 allerdings davon aus, dass mindestens vier bis sechs Personen an der Tat beteiligt gewesen sein mussten. Nimmt man alle ernstzunehmenden Zeugenaussagen, kann man aber auch auf mindestens neun Beteiligte kommen: Südlich der Theresienwiese drei blutverschmierte Männer, zusätzlich eine Frau und ein Mann sowie ein Autofahrer, der Blutverschmierte aufnahm. Nördlich des Tatortes drei weitere fliehende Männer. Einer der Zeugen ist eine V-Person der Heilbronner Polizei. Ein erster Hinweis auf mögliche Berührungspunkte des Falles mit der staatlichen Ebene. Dieser Zeuge ist bisher nicht vor den Ausschuss geladen worden.

Ungeklärt ist die Anwesenheit von Streifenwagen, die mehrere Zeugen kurz vor der Tat in Tatortnähe bemerkt haben, als Kiesewetter und Arnold noch nicht da waren. Der letzte gegen 13:53 Uhr, also fünf Minuten vor dem Mord, auf der Theresienwiese in etwa 150 Meter Entfernung zum Anschlagsort. Keines der Polizeifahrzeuge ist identifiziert.

US-Spur

Und dann gibt es noch eine US-Spur. Am 1. Dezember 2011 berichtete das Magazin Stern, der Mord in Heilbronn sei vor den Augen von US-Sicherheitskräften verübt worden, die aus anderen Gründen in der Stadt waren, zusammen mit einem Verfassungsschützer aus BaWü oder Bayern. Bundesdeutsche Stellen verneinten das reflexartig. Allerdings gibt es einen internen Schriftverkehr vom Dezember 2011 zwischen BND, MAD und Bundeskanzleramt: Danach hat ein US-Verbindungsoffizier den BRD-Behörden mitgeteilt, zwei FBI-Männer seien am 25. April 2007 in Heilbronn gewesen. Nach den Schüssen auf Kiesewetter und Arnold hätten sie ihre Operation abgebrochen. Die US-Seite bot der deutschen Seite an, darüber zu sprechen. Die nahm das Angebot aber nicht an.

Vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages hatte im September 2012 der ehemalige Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) in Baden-Württemberg, Johannes Schmalzl, erklärt, ein LfV-Beamter sei am Tattag in Heilbronn gewesen, um einen Informanten aus dem Bereich Islamismus zu treffen. Das sei aber nach der Tat gewesen, es gebe keinen Zusammenhang.

LfV-Arbeitsname "Volker Lenhard"?

Dieser Beamte erschien nun, am 9. November 2015, vor dem U-Ausschuss in Stuttgart und stellte sich mit dem LfV-Arbeitsnamen "Volker Lenhard" vor. Seine Version klingt konstruiert und vor allem unvollständig: Um 15 Uhr sei er in Stuttgart mit dem Auto losgefahren und habe da noch nichts von dem Mord, der um 14 Uhr geschah, gewusst. Gegen 16 Uhr sei er in Heilbronn angekommen und habe erst dort aus den Nachrichten erfahren, dass eine Polizistin erschossen wurde.

Unterwegs habe er Musik von einer CD gehört. Er habe mit der Zielperson, die als Quelle geworben werden sollte, telefoniert und das Treffen abgesagt. Dann habe er sich direkt auf den Rückweg gemacht. Um 21:55 Uhr sei er wieder in Stuttgart gewesen. Der Rückweg muss also sechs Stunden gedauert haben.

Auf Nachfragen konnte der Verfassungsschützer nicht sagen, wo in Heilbronn er den Informanten treffen wollte. Zu einer Rekrutierung als V-Mann sei es später nicht gekommen, ergänzte er. Der Mann sei nicht bereit gewesen, für das LfV zu arbeiten. Heraus kam allerdings, dass der nicht nur vorher schon mit dem LfV in Kontakt stand, sondern es noch bis 2009 Treffen des LfV mit ihm gab. Genaueres wollte oder konnte "Lenhard" nicht sagen.

Man kann es auch nicht nachlesen, denn die Akte sei im Januar 2011 vernichtet worden - und zwar "in Gänze". Den Ermittlern der Kripo sei der Name des Informanten nicht mitgeteilt worden, und er hoffe, so der LfV-Beamte, dass das so bleibe. Den Stern-Artikel vom 1.12.2011 tat er als "erstunken und erlogen" ab, sprach von einer "Hexenjagd in den Medien auf den Verfassungsschutz", was ihn "persönlich berühre", wenn er "so auf’s Maul bekomme". Mit diesen Ausfällen machte sich der Zeuge allerdings unfreiwillig befangen und entwertete seine Aussage. Vor allem aber demonstrierte er, wie sehr die Sicherheitsorgane auch noch im Jahre 2015 die Aufklärung der NSU-Mordserie erschweren.