Lafontaine immer noch ganz der Alte

Der Fraktionschef der Saar-Linken sorgt sich um die Gefährdung des sozialen Friedens durch zu viele Asylsuchende

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Kaum war der so mühselig zwischen den Regierungsparteien ausgehandelte so genannte Asyl-Kompromiss in trockenen Tüchern, wartete Innenminister Thomas de Maizière (CDU) mit dem Vorschlag auf, den Familienzuzug für syrische Flüchtlinge zu begrenzen. Während dieses Ansinnen auf - zumindest offizielle demonstrierte - Ablehnung bei den Koalitionsparteien stieß, erhielt de Maizière unerwartet Unterstützung. Der ehemalige Vorsitzende der Partei Die Linke und Chef der saarländischen Landtagsfraktion, Oskar Lafontaine, sprach sich für Flüchtlingskontingente und Familien-Zuzugsbegrenzung aus.

Diese Haltung Lafontaines ist nicht neu, als damaliger SPD-Ministerpräsident des Saarlands stand er 1993 an der Speerspitze der Bewegung zur de facto Abschaffung des Asylrechts. Und auch sonst ist die LINKE tiefer in das Abschreckungs- und Abschiebesystem verstrickt, als die Genossinnen und Genossen wahr haben möchten. Bei Licht betrachtet gibt es die ganz große Anti-Asyl-Koalition von CSU bis zur LINKEN.

Oskar Lafontaine (2013). Bild: Dirk Vorderstraße/CC-BY-SA-2.0

Weniger Flüchtlinge, mehr soziale Leistungen

Es ist schon interessant: Zunächst waren die Waffenlieferungen für die Flüchtlingsströme verantwortlich, dann die Amerikaner (oder war es umgekehrt?), dann die Illuminaten, die Flüchtlinge schicken, um Europa zu destabilisieren, jetzt ist es Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Das lässt jedenfalls Lafontaine in seinen Äußerungen zum "Asylkompromiss" durchblicken.

Es ist menschlicher, die Zahl der Flüchtlinge, denen man in Deutschland Schutz gewährt, durch feste Kontingente in Europa zu begrenzen und dafür den hier Aufgenommen zu ermöglichen, ihre Ehepartner und Kinder nach zu holen. Ein stetig ansteigender Zuzug dagegen hätte zwangsläufig zur Folge, dass der Nachzug von Familienmitgliedern begrenzt werden müsste.

Oskar Lafontaine

Das schrieb Lafontaine am 9. November 2015. Ausgerechnet an dem Tag, an dem 77 Jahre vorher die Menschheitstragödie begann, die Millionen Menschen das Leben kostete und aufgrund derer das Asylrecht einst in den Katalog der Menschenrechte aufgenommen wurde.

Konkret fordert Lafontaine feste Kontingente und Begrenzung der Zuzugsmöglichkeiten für Angehörige sowie mehr finanzielle Unterstützung für Flüchtlingslager im Vorderen Orient. Um den sozialen inneren Frieden nicht zu gefährden, soll der Hartz-IV-Regelsatz auf 500 €und der Mindestlohn auf 12.-€ angehoben und es müssen mehr Wohnungen gebaut und mehr Lehrer eingestellt werden.

Abgesehen davon, dass Lafontaine da wohl die Rechnung ohne die Betroffenen gemacht hat - es sollte sich auch bis ins Saarland rum gesprochen haben, dass Flüchtlinge nicht mehr lange fragen, ob sie kommen dürfen, sondern einfach losmarschieren -, sind das rein populistische Forderungen, entstanden am grünen Tisch. Denn auch 12.- € Mindestlohn schützt nicht vor Altersarmut und 500.- € reichen nicht zum Leben, wenn nicht gleichzeitig Anspruch auf Finanzierung von Sachgütern wie Kühlschrank, Waschmaschine, Kleidung, Fahrrad, etc., kostenlose Nutzung des öffentlichen Personen-Nahverkehrs und Teilhabe am kulturellen Leben sowie Anpassung der Mietzuschüsse an die realen Mietpreise gewährt wird. Das gilt natürlich nicht nur für Menschen im ALG-II-Bezug, sondern auch für gering Verdienende.

Dem Volk aufs Maul geschaut

Der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im saarländischen Landtag, Heinz Bierbaum, begründete auf seinem Facebook-Profil den saarländischen Vorstoß mit der "besorgniserregenden Zustimmung zur AfD in Ostdeutschland". Es gelte, französischen Verhältnissen vorzubeugen, wo vorgemacht würde, "was passiert, wenn der soziale Friede in einem Land nicht gewahrt wird und sich die Rechte des Themas bemächtigt".

Das erinnert an die Zeit vor dem 26. Mai 1993, an dem das Asylrecht de facto aus dem Grundgesetz gestrichen wurde. Tausende Delikte rechter Gewalt wurden damals registriert, bei denen Menschen nicht-deutscher Herkunft schwer verletzt oder getötet wurden. Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Hünxe sind Schlagworte, die stellvertretend dafür stehen. Statt dem rechten Terror entschieden entgegenzutreten, wurde am 26. Mai 1993 das Grundgesetz geändert - und damit das Recht auf Asyl de facto abgeschafft. Auch damals wurde die zunehmende Akzeptanz rechter Gewalttaten in der Bevölkerung ins Feld geführt. Auch damals von Lafontaine.

Zur Erinnerung einige der damaligen Vorkommnisse:

  • 17.-23.9.1991: In Hoyerswerda (Sachsen) griffen ca. acht Neonazis vietnamesische Straßenhändler an. Diese flüchteten in ein Wohnhaus für vietnamesische Vertragsarbeiter. Dieses wurde in der Folge von mehreren Dutzend Skinheads belagert und mit Molotow-Cocktails angegriffen. Anwohnende fanden sich ein, darunter auch Arbeitskolleginnen und -kollegen der Vertragsarbeiter, und sahen bestenfalls tatenlos zu oder klatschten Beifall. Die Polizei brauchte Stunden, bis sie überhaupt erschien. Letztendlich wurden die angegriffenen Vietnamesen aus Hoyerswerda evakuiert und von Berlin und Frankfurt/Oder aus direkt abgeschoben. Der Mob zog daraufhin weiter zu einer Flüchtlingsunterkunft. Dort spielte sich dasselbe Szenario wie vorher bei dem Wohnhaus ab.
  • 03.10.1991: In Hünxe (Nordrhein-Westfalen) wurden in der Nacht zum "Tag der Deutschen Einheit" mehrere Menschen bei einem Anschlag auf ein Asylbewerberheim verletzt, zwei kleine Libanesinnen, die Schwestern Mokadas und Zeinab Saado, schwer. Vor allem die damals 8-jährige Zeinab musste noch lange in einer Spezialklinik in Hamburg behandelt werden. Die Eltern mussten zeitgleich eine schwer verletzte und traumatisierte Tochter im Krankenhaus in Duisburg und eine in der Klinik in Hamburg betreuen.
  • Allein in dem Zeitraum Januar bis November 1992 wurden offiziell 1.900 Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund registriert. Davon 60 Brandanschläge und 15 Sprengstoffattentate. 13 Personen kommen dabei ums Leben, die drei toten Türkinnen von Mölln vom 23.11.1992 noch nicht eingerechnet. In Mecklenburg-Vorpommern werden 1992 207 Gewalttaten mit rechtsextremen Hintergrund registriert. Der Spiegel berichtete am 31.8.1992 unter Berufung auf Polizeiangaben von "40 000 deutschen Neonazis, darunter 4200 gewaltbereite Skinheads", die "immer weniger vor Mord und Totschlag" zurückschrecken.
  • 22.-26.08.1992: In Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) wurde die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAst) und ein Wohnhaus, in dem vietnamesische VertragsarbeiterInnen leben, das "Sonnenblumenhaus", angegriffen von mehreren hundert gewaltbereiten alten und neuen Nazis. Bis zu 3.000 applaudierenden Zuschauer fanden sich im Laufe der Ereignisse ein.
  • 23.11.1992: In Mölln (Schleswig-Holstein) kamen bei einem Brandanschlag auf zwei von türkisch-stämmigen Familien bewohnten Wohnhäusern die 51-jährige Bahide Arslan, ihre 10-jährige Enkelin Yeliz und deren 14-jährige Cousine Ayşe Yılmaz ums Leben, neun weiterer Personen wurde verletzt.

Ein Flüchtling pro Neugeborenem

Sonja Hegasy, Vizedirektorin des außeruniversitären Zentrums Moderner Orient in Berlin, erinnerte sich kürzlich in der Frankfurter Rundschau daran, wie Lafontaine seinerzeit beim SPD-Bundesparteitag Ende Oktober 1992 für die Änderung des Grundgesetzes trommelte:

Unter der Überschrift "Flüchtlingen helfen, Zuwanderung steuern, Gemeinden entlasten" wurde die Grundgesetzänderung diskutiert. Oskar Lafontaine verteidigte das SPD-Sofortprogramm vor den Delegierten. Die Jusos zogen mit Spruchbändern "Rassismus auf Raten Sozialdemokraten?!" und "Denkt dran: Auch Willy Brandt war Asylant!"durch den Raum. Lafontaine verstieg sich zu dem - auch heute wieder aus der Tasche gezogenen -Argument, ein einzelner Industriestaat könne nicht alle politisch Verfolgten dieser Welt aufnehmen. Es könne kein "Zutrittsrecht fürjeden Erdbewohner" geben - so unpräzise aber sei der Artikel 16 Grundgesetz "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" schließlich formuliert.

Das ist eine polemische Überspitzung. Lafontaine legte seine These dar, nach der eine Gesellschaft keine Zuwanderung verkraften könne, die höher sei, als die Geburtenrate pro Jahr.

Dieser Lafosche Dreisatz spiegelt das Denken des Linkspolitikers wieder, das er sich offensichtlich bis heute bewahrt hat. Unter seiner Ägide als Ministerpräsident des Saarlands erließ er - quasi eigenmächtig - Sondergesetze für Flüchtlinge. Zu den "Sofortmaßnahmen" gehörte u.a. Sammelunterkünfte, Gemeinschaftsverpflegung und schon damals Flüchtlinge Sachleistungen statt Bargeld - lange vor Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes.

"Fremdarbeiter", Chipkarten statt Bargeld und Flüchtlingslager in Nordafrika

Auf einer Kundgebung am 14. Juni 2005 in Chemnitz sagte Lafontaine folgenden bemerkenswerten Satz: "Der Staat ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiterihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen."

Die jetzige innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken, UllaJelpke, setzte sich daraufhin in der Zeitschrift Ossietzky kritisch mit Lafontaine und seiner Haltung zu "Fremden" auseinander. Sie erinnerte nicht nur an seinen Kampf gegendas Asylrecht, sondern auch daran, dass er im Sommer 2004 die Pläne des Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) verteidigte, in Nordafrika Lager für Flüchtlinge einzurichten.

Auch die Idee der "Drittstaatenregelung", heute die gerade wieder auch für syrische Flüchtlinge angewandte Dublin-Vereinbarung, nach derFlüchtlinge in dem europäischen Land Asyl beantragen müssen, in das sie als erstes einen Fuß gesetzt haben, ist auf Lafontaines Mist gewachsen. Anfang der 1990er Jahre war Lafontaines Kampf auf Zuzugsbegrenzung von Erfolg gekrönt: Am 26. Mai 1993 beschloss der Bundestag die Änderung des § 16 des Grundgesetzes. In dem neu eingeführten Artikel 16a steht nach wie vor der Satz: "Politisch Verfolgte genießenAsylrecht."

Die vier weiteren ausführlichen Absätze beinhalten dann allerdings drastische Einschränkungen: Wer über sogenannte sichere Drittstaaten auf dem Landweg nach Deutschland einreist oder aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt, soll sofort an der Grenze zurückgeschickt werden können. Da alle Nachbarstaaten Deutschlands als sicher gelten und kaum ein Flüchtling die Möglichkeit hat, per Flugzeug herzukommen, bedeutete das de facto die Abschaffung des Asylrechts. Im Klartext: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht, aber nicht in Deutschland.

3 Tage später, am 29. Mai 1993, wurde auf das Haus der Familie Genc im nordrhein-westfälischen Solingenein Brandanschlag verübt. Dabei starben fünf Familienmitglieder: die 27-jährige Gürcün Ince, die 18-jährige Hatice Genc, die 12-jährige Gülüstan Öztürk, die 9-jährigeHülya Genc und die 4-jährige Samine Genc. Weitere 17 Personen wurden verletzt, 14 davon schwer, und einige erlitten bleibende Verletzungen. Das war die Antwort des braunen Mobs auf die Änderung des Grundgesetzes, in dessen Folge tatsächlich erheblich weniger Asylsuchende in unser Land kamen.

Zunehmende Zerstörung von Umwelt und Lebensraum zwingen immer mehr Menschen zur Flucht. Waffenlieferungen und Krieg sind definitiv dafür verantwortlich, vor allem im Hinblick auf Flüchtlinge aus Afghanistan, dem Irak oder Syrien. Aber sie sind bei weitem nicht die einzige Ursache. Nur viele Flüchtlinge, die z.B. Opfer der westlichen Geiz-ist-geil-Mentalität oder unserer Konsumansprüche werden, kommen überhaupt nicht bis hierher. Aktuelles Beispiel dafür ist Indonesien, wo Wälder abgebrannt werden, damit dort Palmöl-Plantagen entstehen können. Palmöl ist quasi in jedem Lebensmittel-Fertigprodukt enthalten. Die Brände rauben Menschen und Tieren Lebensraum. Doch Lafontaine muss sich keine Sorgen machen: Die Vertriebenen werden es größtenteils bishierher nicht schaffen.

Die ganz große Anti-Asyl-Koalition von CSU bis Linke

Allerdings ist Lafontaine nicht der einzige Linken-Politiker, der durch eine rigide Asylpolitik hervorsticht. In allen Bundesländern, an denen die LINKE oder ehemals als PDS, an der Regierung beteiligt waren - oder sind -, wurde und wird munter abgeschoben. Das war in Berlin so. Aber auch in Mecklenburg-Vorpommern, wo u.a. im großen Stil nachTogo abgeschoben wurde, obwohl dort Gnassingbé Eyadéma seit fast 40Jahren ein Terrorregime errichtet hatte.

Der erste, der wegen Verletzung der Residenzpflicht im Knast landete, bzw. weil er das deswegen gegen ihn verhängte Bußgeld nicht zahlte, war ein Flüchtling im rot-grün regierten Mecklenburg-Vorpommern. Kritik an den Abschiebungen wurde z.B. vom damaligen PDS-Fraktionschef Peter Ritter damit abgebügelt, die PDS sei ja "der kleinere Koalitionspartner". Auch in Thüringen, wo die Linke sogar den Ministerpräsidenten stellt, wurden zwischen Januar und Oktober 2015 177 Menschen abgeschoben.Schon vor der so genannten Flüchtlingskrise waren hunderte Asylbewerber in Thüringen ausreisepflichtig. Um deren Ausreise zu gewährleisten, wurde die entsprechende Behörde personell aufgestockt.

Ramelow kündigte schon vor Monaten an, dass es in diesem Jahr keinen Winter-Abschiebestopp geben werde. AlsKanzlerin Merkel die Grenze nach Österreich schließen ließ, geschah das auch mit Zustimmung des thüringischen Ministerpräsidenten. Sowohl Ramelow als auch der neue Co-Vorsitzendeder Bundestagsfraktion, Dieter Bartsch, erklärten unabhängig voneinander in Interviews im "Bericht aus Berlin", Asylanträge müssten rasch bearbeitet und die Entscheidung zügig umgesetzt werden. Was nichts anderes heißt als: Schafft uns die Flüchtlinge vom Hals.

Auch der kürzlich fest gelegte so genannte Asyl-Kompromiss wird von Thüringen mit getragen. Die Welt wird immer sicherer. Abschiebungen nach Afghanistan - kein Problem, schließlich gibt auch nicht ganz so unsichere Gebiete dort. Zuzug von Familien verbieten. Kein Problem, schließlich sind die Betroffenen ja vorwiegend Frauen und Kinder. Dass die sich trotzdem alleine auf den Weg nach Europa machen, ist unwahrscheinlich. Er werde dagegen kämpfen wie ein Löwe, sagte Ramelow im Vorfeld der Abstimmung zum Asyl-Kompromiss.

Viele in seiner Partei atmeten auf. Wenn sie mal richtig hingehört hätten, dann wüssten sie, dass Ramelow nicht gegen die Verschärfung des Asylrechts "wie ein Löwe" kämpfen wollte, sondern gegen die "unzulässige Verknüpfung" der "Regionalisierungsmittel, also die Bundeshilfen für den Schienennahverkehr der Länder" mit demAsyl-Kompromiss. Zu Recht bemängelte Ramelow: "Alle neuen Flächenländer verlieren im dreistelligen Millionenbereich Geld. Und Thüringen wird richtiggehend von der Entwicklung des Schienenpersonennahverkehrs abgekoppelt. Es besteht das Risiko, bis zu einem Drittel der Fahrleistung infrage stellen zu müssen." Dagegen zu "kämpfen wie ein Löwe" ist nicht nur sein gutes Recht, sondern wird von ihm erwartet. Nur mit Menschenfreundlichkeit, Barmherzigkeit und Mildtätigkeit, für die der bekennende Christ sich in den letzten Monaten so gern medienwirksam feiern ließ, hat das nichts zu tun.