"Uns geht es gut, seit wir uns von den USA befreit haben"

Boliviens Präsident Evo Morales über den US-Geheimdienst, linke Wirtschaftspolitik, Atomkraft und seine mögliche Wiederwahl

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Evo Morales Ayma ist seit 2006 Präsident von Bolivien. Der erste indigene Staatschef des Andenstaates steht zugleich der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) vor. Das folgende Interview ist Teil eines ausführlicheren Podium-Gespräches, das Harald Neuber mit dem linken Staatschef während dessen jüngsten Deutschland-Besuch bei einer Großveranstaltung in der Technischen Universität Berlin geführt hat.

Herr Präsident, ich hoffe, Sie hatten dieses Mal eine gute Reise nach Europa. Ich erinnere mich an einen Zwischenfall bei Ihrem letzten Europaaufenthalt, als Sie 2013 nach Abflug in Moskau von den europäischen Behörden zur Notlandung in Wien gezwungen wurden. Wie sehen Sie diesen Zwischenfall rückblickend?

Evo Morales: Ich glaube, das war eine Strafaktion der USA und einiger europäischer Verbündeter. Sie hatten mir ja vorgeworfen, diesen jungen Aktivisten, Edward Snowden, an Bord zu haben. Ich war von den Erdöl exportierenden Staaten nach Russland eingeladen worden. Als alle Treffen vorbei und der Gipfel beendet war, reiste ich wieder ab, aber als wir nahe Lissabon landen wollten, war mir das nicht möglich, es wurde verboten. Auf einmal hieß es, wir dürften nicht nach Italien, auch nicht nach Frankreich.

Es blieb nur der Weg zurück nach Russland, und ich glaube, der Treibstoff hätte dafür nicht mehr gereicht. Also sagte ich: "Warum bitten wir Österreich nicht, uns wegen eines technischen Notfalls die Landung zu erlauben?" Glücklicherweise wurde uns das genehmigt und so konnten wir in Wien landen. Ich denke, dass uns Österreichs Präsident und Regierung das Leben gerettet haben.

Aber wie konnten die USA mit einem solchen Geheimdienstapparat - der CIA, dem Pentagon, der DEA und allem möglichen anderen - glauben, dass wir diesen Jungen an Bord gehabt hätten? Das kann ich nicht verstehen, denn am Ende geht es darum: Dass es dem Geheimdienstapparat der USA an Intelligenz fehlt.

Und noch eines glaube ich: Wenn Dilma (Rousseff, die Präsidentin Brasiliens) oder Cristina (Fernández der Kirchner, die Präsidentin Argentinien) oder etwa (Kolumbiens Präsident Juan Manuel) Santos geflogen wären und diesen Mann tatsächlich an Bord gehabt hätten, dann wäre niemand eingeschritten. Weil im Flugzeug aber ein Indio saß, musste man uns einschüchtern, damit wir von unserem Antiimperialismus ablassen. Es war eine Entführung der Präsidentenmaschine, so sehe ich das. Unser Delikt ist es, Antiimperialisten zu sein.

Natürlich haben sie uns später um Verzeihung gebeten, um Entschuldigung. Sie hätten es nicht gewusst, hieß es, als ob sie nicht gewusst hätten, dass die USA auch auf europäischem Territorium das Sagen haben. Anders war das ja nicht zu erklären. Nicht alle Europäer stehen unter der Fuchtel der US-Regierung. Aber es wäre wichtig, dass wir uns alle befreien und unsere Souveränität verteidigen, nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in Europa, zu dem ja auch Österreich gehört, das unser Leben gerettet hat.

Sie haben in Ihrem Vortrag in der Technischen Universität Berlin über die Notwendigkeit gesprochen, nicht nur die politische, sondern auch die wirtschaftliche Souveränität zu gewinnen. Wie kann Deutschland Bolivien dabei helfen, die wirtschaftliche Souveränität zu erlangen?

Evo Morales: Wir erwerben gerade viel Technologie hier. Wir stehen derzeit vor einer großen Herausforderung, dem Ausbau der weltweit sehr gefragten Windenergie. Wir möchten uns dabei in eine gute Position bringen, vielleicht auch mit überschaubaren Krediten, um das Thema des Umweltschutzes zwischen Bolivien und Deutschland zu entwickeln. Deutschland könnte Windkraftanlagen liefern, die wir installieren, das wäre ein Thema.

Unsere Freundin und Kanzlerin Merkel ist aber auch bereit, uns beim Thema der Justiz beizustehen, wir haben da leider einige Probleme. Bei diesem Thema hat sie uns Hilfe angeboten, den Austausch von Erfahrungen, um die bolivianische Justiz zu verbessern.

In Bolivien ist es uns gelungen, die wirtschaftliche Situation zu verändern, wir haben nun ein neues Bolivien, und ich möchte den Europäern sagen, vor allem den Deutschen, dass ich sie und ihre Technologien bei uns willkommen heiße, ihre wissenschaftlichen Kenntnisse. Ich möchte, dass Deutschland diesen Wandel begleitet, dass es zu einem Technologietransfer kommt. Das ist unser großer Wunsch.

Ein deutsches Unternehmen, K-utec, hat den Auftrag zur Planung einer Lithium-Gewinnungsanlage erhalten. Später werden wir eine weitere Ausschreibung für Unternehmen machen, die die Lithium-Industrie in Bolivien aufbauen. Dafür habe ich die Finanzierung in Höhe von einer Milliarde US-Dollar schon gesichert. Um dieses Geld bitten wir niemanden, wir verfügen darüber. Aber ich möchte ehrlich sein: Weder unser Staat noch die bolivianische Privatwirtschaft verfügen über spezialisierte Unternehmen, um diese Industrie aufzubauen.

Bei einer solchen internationalen Ausschreibung wird sicherlich eine vielleicht asiatische oder europäische Firma den Zuschlag erhalten. Wenn diese Industrie dann steht, wer wird sie dann leiten? Denn das Unternehmen, das den Zuschlag bekommt, wird nicht als Besitzer ins Land kommen, sondern als Dienstleister. Die Besitzer der Lithium-Industrie bleiben die Bolivianer. Und an dieser Stelle sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen, um Fachkräfte auszubilden. Denn die ausländischen Unternehmen bleiben, je nach Vertrag, nur einige Jahre im Land. Aber wer wird dann übernehmen? Dafür brauchen wir Ihr Wissen und Ihre Erfahrung.

Im internationalen Handel der lateinamerikanischen Staaten hat es zuletzt eine starke Dynamik mit den Staaten der BRICS-Gruppe gegeben. Welche Rolle spielt Europa in diesem geopolitischen Kontext?

Evo Morales: Eine wichtige, denke ich. Man darf die Schäden aus den vergangenen 500 Jahren zwar nicht vergessen. Aber viel kommt eben auch auf die Technologie an, über die bekannte und respektierte Länder hier verfügen. Sicherlich gibt es auch andere Gruppen wie etwa die BRICS-Staaten. Diese Länder sind vor allem beim Aufbau von Infrastruktur aktiv und dem Straßenbau, was wir sehr begrüßen. In unserem Land haben wir für die bolivianischen Brüder und Schwestern sieben Milliarden US-Dollar für den Ausbau von Straßen zugesagt, um Osten und Westen zu verbinden.

Wie Sie wissen, haben wir im bolivianischen Osten große Flüsse. Dort bauen wir Brücken wie Beni I, Beni II und Madre de Díos, die alleine 25 Millionen US-Dollar kosten. Aber wir kommen beim Ausbau der Verbindungen voran. Beim Thema der Infrastruktur ist vor allem China führend. Aber Europa brauchen wir, um bei der Ausbeutung unserer natürlichen Ressourcen die Wertschöpfung zu verbessern.