Realität und Propaganda in der Terrorbekämpfung

Großspurig wurde die Ausrufung des Notstands und die Schließung französischer Grenzen verkündet, dabei gibt es nicht mal wirkliche Kontrollen

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Mehr als Verunsicherung oder eine gewisse Panik bei all denen, die in diesen Tagen französische Grenzen überschreiten wollten oder überschreiten mussten, gab es nicht, nachdem die französische Regierung sogar großspurig Freitag die "Schließung der Grenzen" (fermeture des frontières) und den Notstand oder Ausnahmezustand (l'etat d'urgence) verkündete. Denn real geschah nichts. Islamisten, die sich nach den Anschlägen auf der Flucht befanden oder befunden haben sollen, mussten sich davon jedenfalls nicht beeindrucken lassen. Daran änderte auch bisher nichts, obwohl nachgelegt wurde, dass man sich sogar "im Krieg" befände (Frankreich "im Krieg": Aber wie wird er geführt?).

Man hat es, wie der Autor dieser Zeilen an verschiedenen französischen Grenzen feststellen konnte, mit reiner Propaganda zu tun, um offensichtlich die Bevölkerung in einer Sicherheit zu wiegen versucht, die man nicht gewährleisten kann. Das Fazit von verschiedenen, ganz unterschiedlichen Grenzübergängen und einer Tour quer durch das Land ist klar: Bestenfalls hat man es mit einem kopflosen Handeln zu tun, die keinen der Attentäter an einer Flucht von Frankreich nach Deutschland oder nach Spanien gehindert hat oder daran hätte hindern können.

Fangen wir chronologisch an. Nach der Terrornacht in Paris (Paris: Terrorangriff auf eine Großstadt) wurde am Samstag gegen 10 Uhr nicht einmal der große Autobahn-Grenzübergang bei Mulhouse in Richtung Freiburg oder Basel kontrolliert. Französische Polizei oder Grenzschützer waren nicht zu sehen und die beiden deutschen Polizisten machten nicht einmal Anstalten, die große Zahl der nach Deutschland einreisenden Autos anzuhalten. Sie wären auch nur Kanonenfutter gewesen, wären wirklich schwer bewaffnete IS-Terroristen angerückt. Von kleineren Grenzübergängen wie Markolsheim oder die Fähren wie in Rhinau möchte ich gar nicht erst sprechen.

Offenbar sickerte es bis zu Führungskräften in der deutschen Polizei durch, dass die beiden verlorenen Beamten an der Autobahngrenze keinerlei Grenzschutz sind, weshalb am Samstagabend ein großes Aufgebot diesen Übergang geschützt hat, wo es islamistischen Terroristen nun schwer gehabt hätten, nach Deutschland zu kommen. Doch würden die es tatsächlich an einem solchen großen Übergang versuchen?

Gesuchte, wie Salah Abdeslam), nach dem die französische Polizei als einen der Attentäter fahndet, wären ohnehin längst durchgekommen, da 24 Stunden ohne Kontrollen praktisch schon vergangen waren. Ob auch kleinere Übergänge zwischen Frankreich und Deutschland zu diesem Zeitpunkt überwacht wurden, dazu kann ich keine Angaben machen. Doch auffällig war, dass die Einreise nach Frankreich auch am späten Samstag an diesem Übergang von keinem französischen Polizisten auch nur beäugt wurde.

Man fragt sich, warum am Grenzübergang in Hendaye die Einreise nach Frankreich kontrolliert wird und nicht die Ausreise. Bild: R. Streck

Doch die französische Polizei rühmt sich per Twitter auch über die Zusammenarbeit mit den spanischen Sicherheitskräften bei der Fahndung nach flüchtigen Islamisten. Die Realität sieht aber hier sogar noch finsterer aus. Beim großen Autobahn-Grenzübergang vom französischen Baskenland ins spanische Baskenland bei Biriatu standen ebenfalls nicht einmal eine Handvoll französischer Polizisten gelangweilt an den 11 Zahlstellen herum, als ich am Sonntag gegen 14 Uhr diese Grenze überquerte.

Und bei kleineren Grenzübergängen, wie im Grenzort Hendaye wurde zu diesem Zeitpunkt weder die Ausreise noch die Einreise kontrolliert, dabei war die Fahndung nach Abdeslam längst angelaufen war. Es ist nicht so, dass Spanien und Frankreich mit Grenzkontrollen im Baskenland keine Erfahrung hätten. Bei jeder kleinen Demonstration hier wird die Grenze scharf kontrolliert und bei größeren Meinungsbekundungen bisweilen komplett abgeriegelt. Inzwischen vermuten französische Sicherheitskräfte auch, dass der in Belgien geborene Franzose Abdeslam sich schon nach Spanien abgesetzt hat.

Verhindern können hätten es die französischen Sicherheitskräfte jedenfalls nicht, wenn der mutmaßliche "home grown" Terrorist (Paris: Ausland oder "home grown") ohne größere Probleme das Land verlassen hat. Denn mehr als Propaganda von geschlossenen Grenzen ist in der Realität bisher praktisch nicht geschehen. Erstaunlich ist bis heute Montag vor allem, dass bei den schwachen Kontrollen, die es bisweilen nun gibt, praktisch nur die Einreise überprüft wird.

Etwas stärkere Kontrolle bei der Einreise nach Frankreich von Irun nach Urrungne. Bild: R. Streck

Ein wenig geschieht das heute durch die französische Polizei (vier Beamte) am Übergang in Hendaye. Die Ausreise von mutmaßlichen Attentätern wurde aber auch am naheliegenden Übergang zwischen Irun und Urrungna nicht einmal zu verhindern versucht. Der Autobahnübergang zwei Kilometer entfernt in Biriatu wurde dagegen von einigen gelangweilten Beamten in Richtung Spanien beäugt. Doch von einer wirklichen Kontrolle der Autos oder Lastwagen, die aus den dreizehn Zahlstellen ausfahren, kann bisher weiter keine Rede sein. Erstaunlicherweise wurde hier wiederum auf die Kontrolle von nach Frankreich einreisenden Menschen komplett verzichtet.

Am Bahnhof in Hendaye wurden am Sonntag bisweilen noch Reisende kontrolliert wurden, die aus dem spanischen Baskenland ins französische Baskenland die Grenze nach Frankreich übertraten, um in Hendaye einen Zug in Richtung Bordeaux oder Paris zu besteigen. Doch am frühen Montag stand auch hier nur noch eine ängstliche Polizistin verloren am Eingang zum Bahnhof. Sie kontrollierte weder in die eine noch in die andere Richtung oder hätte das tun können.

Eine verlorene Polizistin am Zug-Grenzübergang in Hendaye. Bild: R. Streck

Insgesamt zeigt sich ein völlig kopfloses Vorgehen. Eine klare Linie kann in den Kontrollen nicht festgestellt werden, von Grenzschließungen kann ohnehin keinerlei Rede sein. Es drängt sich aber der Eindruck auf, dass Frankreich an der Grenze zu Spanien offenbar versucht, mögliche Verstärkung für die IS-Terroristen herauszufiltern. Flüchtige Attentäter aus Paris hat man hier jedenfalls nicht versucht zu schnappen. Und zu der Einschätzung, dass Verstärkung aus Spanien erwartet werden könnte, passt vielleicht, dass der schwer unter Druck stehende Innenminister heute vor neuen Anschlägen in den nächsten Tagen gewarnt hat.

Manuel Valls behauptet nun, die Anschläge seien von Syrien aus "organisiert" worden und "geplant". "Wir müssen länger mit dieser Bedrohung leben", warnte er aber am frühen Montag im französischen Sender RTL. Zudem erklärte er: "Wir wissen, dass der IS Operationen vorbereitet, nicht nur in Frankreich, sondern gegen andere europäische Länder." Inzwischen geht man davon aus, dass der Drahtzieher der Anschläge der 29-jährige Belgier Abdelhamid Abaaoud alias Abou Omar Soussi aus Molenbeek-Saint-Jean ist, der sich seit 2014 in Syrien aufhalten soll (Fingerabdrücke des Attentäters ähneln denen eines in Griechenland registrierten Syrers).

Valls behauptet nun auch, dass die französische Regierung angeblich gewusst habe, dass Attentate geplant worden seien. Wenn das tatsächlich der Fall ist, sollten er und seine Regierung schnell zurücktreten, denn das bisherige Vorgehen ließe sich bestenfalls mit einem Überraschungsmoment erklären. Er meint: "Man muss sich auf weitere Anschläge vorbereiten". Angesichts der Bedrohung, so sein Kalkül, ist es wohl unangebracht den Rücktritt unfähiger Politiker zu fordern.