Angespannte Lage in Athen

Bild: W. Aswestopoulos

Trotz Terror und Flüchtlingsstrom bleibt Griechenland unter Druck der Kreditgeber

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Zum 43. Jahrestag des von der Obristendiktatur blutig niedergeschlagenen Studentenaufstands gedachten die Griechen dem 17. November 1973. Der Dienstag war in Athen sehr ereignisreich. Er begann mit einer Unglücksnachricht am Morgen, als ein 6,1 Richter starkes Erdbeben auf Lefkada für zwei Todesopfer sorgte. Vor Kos ertranken erneut neun Flüchtlinge beim Versuch, in einem kleinen Boot von der Türkei nach Griechenland überzusetzen.

Der Demonstrationszug zum 17. November war, wie in den letzten Jahren üblich, friedlich und ruhig. Zu den mittlerweile traditionellen Ausschreitungen kam es danach im Viertel Exarchia, wo bereits den ganzen Tag über Polizisten in Zivil alle Ecken überwachten. Sie wurden ebenso zum Ziel der Randalierer wie Journalisten und Fotografen. Es wurden zahlreiche Molotow-Cocktails geworfen, allerdings waren die Ausschreitungen vergleichsweise gering. Aus Anarchistenkreisen ist zu vernehmen, dass der "schwarze Dezember" noch bevorsteht. Dann soll Athen über mehrere Tage in Flammen gelegt werden.

Es war die erste Massenveranstaltung in Athen seit den Anschlägen in Paris. Zudem war es das erste Mal, dass Alexis Tsipras der Veranstaltung in seiner Funktion als Premierminister beiwohnte. Die SYRIZA-Parteizeitung Avgi meldete zunächst, dass Tsipras der erste amtierende Premier sei, der etwas Derartiges tat. Sie vergaß jedoch, dass bereits 1981 Andreas Papandreou knapp einen Monat nach seiner Wahl zum Premier den gleichen Schritt unternahm.

Papandreou wurde seinerzeit von den Anwesenden am Gedenkmal für die Studenten bejubelt. Tsipras hingegen konnte nur durch massiven Einsatz seiner Personenschützer, aber auch seiner ebenfalls anwesenden Minister vor Lynch-Gelüsten der aufgebrachten Menge gerettet werden. Die Avgi vergaß aber nicht nur Andreas Papandreou, auch dessen Sohn Giorgos sowie Papandreous Amtsnachfolger Costas Simitis hatten während ihrer Amtszeit zum 17.11. einen Kranz am Athener Polytechnikum hinterlegt.

Bild: W. Aswestopoulos

Die Tsipras nahestehende Onlinezeitschrift Periodista freute sich, dass auch Tsipras früherer Genosse und aktueller Erzfeind Panagiotis Lafazanis von den Demonstranten der 17. November Veranstaltung, wenn auch nur kurzfristig, verscheucht wurden.

Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit hatte die Regierung mit 7.000 Beamten eine größere Polizeimacht als sonst aufgeboten. Auf einen Polizisten bei der Demonstranten der Abschlussveranstaltung kamen somit zwei Demonstranten. Während eines großen Teils des Demonstrationsumzugs schützten hunderte Polizisten die Anhänger des SYRIZA, welche ebenfalls demonstrieren wollten. Der Gedenktag zum 17. November ist in Griechenland vor allem eine Demonstration gegen das herrschende Establishment. Die nun mit ihrer Partei selbst zum System gehörenden Parteigänger Tsipras werden daher in den Reihen ihrer früheren Genossen weder gern gesehen, noch geduldet.

Auch ohne die Anschläge von Paris ist die Lage im Land gespannt. Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Public Issue zufolge sehen 78 Prozent der Griechen die Regierung auf einem falschen Weg. Die Umfrage wurde erhoben, bevor sich die Regierung mit den Kreditgebern auf die faktische Aufhebung des Pfändungsschutzes der einzigen Wohnung von mehr als 100.000 Familien verständigte. Das entsprechende Gesetz wurde am Dienstagabend im Eilverfahren ins Parlament gebracht. Bis Donnerstag soll es verabschiedet werden. Die Regierung selbst versucht, den neuerlichen Bruch eines im Parteiprogramm festgeschriebenen Wahlversprechens damit zu entschuldigen, dass sie behauptet, die anderen hätten es noch schlimmer gemacht.

Bild: W. Aswestopoulos

Wer in Griechenland gehofft hatte, dass die bestehende Bedrohung durch den Terror der IS, der weiterhin anhaltende Flüchtlingsstrom und die dadurch immer wichtigere geographische Lage des Landes das Quartett der Kreditgeber besänftigen würde, sah sich gleich mehrfach getäuscht. Der Druck seitens der Eurogruppe und des IWF ist so stark, dass das am Abend eingereichte Gesetz, welches von den Ministern für Finanzen, Euklid Tsakalotos, und Wirtschaft, Giorgos Stathakis, in einer eigens dafür eiligst einberufenen Pressekonferenz minutiös vorgestellt wurde, bis zum Abend von den Kreditgebern verschärft wurde. Ökonomisch sinnvoll erscheint dies nicht, zumal 87 Prozent der Kreditnehmer in Griechenland bereits in ernsten Zahlungsschwierigkeiten stecken. Eine zusätzliche Schwächung der Bevölkerung, und nicht anderes bewirkt die Freigabe der Pfändungen, verhindert weiterhin eine Erholung des wirtschaftlichen und sozialen Klimas im Land.

Zudem verkündete Euklid Tsakalotos neue Steuern. Eine Erhebung einer weiteren Steuer für Lotterien scheint verkraftbar zu sein. Die pauschal auf jede Flasche griechischen Weins erhobene Steuer von 0,30 Euro hingegen setzt die einheimischen Produzenten in der Konkurrenz zur davon offenbar verschonten Importware dagegen erheblich unter Druck.

Bild: W. Aswestopoulos

In massiver Erklärungsnot ist Tsipras Regierung zudem wegen eines angeblichen oder tatsächlichen Skandals. Die Minister Nikos Pappas und Christos Spirtzis sollen, so behauptet die Zeitung To Vima, in Athen ein "Büro für Bürger" betreiben. Dort würde Griechen für ein erhebliches Entgelt geholfen, ihre Belange mit dem Staat zu regeln. To Vima kolportiert, dass die Einnahmen des Büros bei 50.000 Euro pro Tag lägen, muss jedoch noch weitere Beweise zur Bekräftigung der Behauptung vorlegen. Denn Pappas und Spirtzis bestreiten alles und kündigten ihrerseits Klagen gegen die Zeitung an.

Trotzdem legte die Schwesterpublikation von To Vima, Ta Nea noch einmal nach. Auf einer gesamten Seite der Druckausgabe wurden Details zu den Büros der Minister, welche sich in der Syggrou Avenue 12 im ersten Stockwerk befinden sollen, geliefert. Zusammen mit der Affäre um den ehemaligen Bürgerschutzminister Panoussis, welcher SYRIZA-Politikern Verbindungen zu Verbrechern und Terroristen vorwirft, steht Tsipras seitens der Presse unter ernsthaftem Beschuss.