"Drohen" erneut Wahlen in Athen?

Sakellaridis, Tsipras und die Regionalpräsidentin von Attika, Rena Dourou, fröhlich vereint. Archivfoto: Wassilis Aswestopoulos

Tsipras boxt ein Gesetz zur Aufhebung des Pfändungsschutzes für Wohnungen durch. Er verliert zwei Sitze und einen Vertrauten. Hundertausende sind von Obdachlosigkeit bedroht

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Mit 153 der 300 Parlamentarier des griechischen Abgeordnetenhauses, der Vouli, bekam Premierminister Alexis Tsipras im Eilverfahren das Gesetz zur Aufhebung des Pfändungsschutzes für die einzige Wohnung der Griechen durch das Parlament. Im Zusammenhang mit dem Gesetz, welches von der zum Quartett gewordenen Troika als Vorbedingung für die Freigabe einer weiteren Kredit-Tranche verlangt wurde, stärkte Tsipras weiter die Position der Banken.

Sie dürfen nun unter anderem entscheiden, welcher Kreditnehmer tatsächlich von der Krise und nicht durch eigenes Verschulden in die Pleite schlitterte. Schließlich wird die nun erwartete Tranche mit zehn von zwölf Milliarden Euro zunächst einmal für die Rekapitalisierung der Banken eingesetzt.

Alexis Tsipras verlor am Donnerstag - auf der politischen Bühne - einen Jugendfreund und langjährigen Weggefährten: Gavriil Sakellaridis konnte ein weiteres Votum für Sparmaßnahmen nicht mit seinem Gewissen und seiner Ideologie vereinen. Das Verhältnis der beiden Politiker wurde von Anhängern wie Gegnern mit der Verbundenheit der homerischen Helden Achilles und Patroklos verglichen.

Der Regierungssprecher der ersten Amtsperiode Tsipras und die damalige Nummer 3 in der Hierarchie zog sich mit einem Rücktritt vom Parlamentssitz und allen weiteren Parteiämtern aus der Politik zurück. Er machte damit den Weg frei für eine Neubesetzung seines Mandats.

Sakellaridis, der im privaten Gespräch im Café des Parlaments bereits am 13. August aus seinen Bedenken über den neuen Parteikurs kein Geheimnis machte, hatte auch Tsipras im Vorfeld der Abstimmung informiert. Der Verlust wiegt trotzdem schwer, weil Sakellaridis im Mai 2014 mit seinem überraschend guten zweiten Platz bei den Kommunalwahlen in Athen mit zur Euphorie für Syriza beigetragen hatte.

Ein weiterer Abgeordneter, Stathis Panagoulis, hatte ebenfalls im Vorfeld bereits seine Bedenken geäußert. Panagoulis blieb der Abstimmung fern, weil er ein positives Votum nicht mit seinem Gewissen vereinen konnte. Gegen das Paket stimmen wollte er ebenfalls nicht, weil er nach eigenen Angaben weiterhin Tsipras stützen wollte. Dies wiederum wollte der Premier nicht gelten lassen. Entgegen der Parteistatuten, welche dies nicht vorsehen und konträr zu eigenen von Tsipras geäußerten Bekenntnissen, wartete der Premier keine Entscheidung der Parteiorgane ab, sondern schmiss Panagoulis mit einem Federstrich aus der Partei.

Der nächste Verlust für die Regierung betrifft Nikos Nikolopoulos. Der frühere Minister Antonis Samaras war mit seiner Christdemokratischen Partei im Fraktionsbündnis mit den Unabhängigen Griechen angetreten. Seine Präsenz in der Regierungskoalition war trotz mehrfacher antisemitischer Äußerungen und zahlreicher homophober Hetzreden geduldet worden. Nun stimmte Nikolopoulos gegen das Gesetz und wurde von Kammenos umgehend aus der Fraktion geworfen. Kammenos verlangt zudem, dass Nikolopoulos mit einem Rücktritt sein Parlamentsmandat übergibt, was dieser verweigert.

Hunderttausende von Obdachlosigkeit bedroht

Für Tsipras ergeben sich nur zwei Monate nach der letzten Parlamentswahl durch das erneut per Eilverfahren durch das Plenum gejagte Gesetz mehrere Probleme. Die Tatsache, dass Vangelis Meimarakis, als noch amtierender Vorsitzender der konservativen Nea Dimokratia den amtierenden nominell linken Premier mit einer für linke Ideologen typischen Argumentationskette als "neoliberalen, erbarmungslosen Linken" bezeichnet. Die Gelegenheit, Tsipras von links zu überholen nutzte auch die Vorsitzender der PASOK, Fofi Gennimata. "Das ist keine Linke, sondern eine Regierung, welche die Bürger aus den Wohnungen wirft", meinte sie.

Tatsächlich haben die meisten Griechen Wohneigentum. Es gehört zu den Besonderheiten der früher an Inflation gewöhnten griechischen Wirtschaft, dass die Griechen ihr Erspartes nicht auf die Bank brachten, sondern in Immobilien steckten. Dese sind in der Herstellung preiswert, und meist in einfacher Betongerüstkonstruktion mit Ziegelwänden erbaut. Die Kreditraten dafür entsprachen in der Regel dem Geld, welches für die Miete notwendig gewesen wäre.

Über mehrere Jahrzehnte laufende Hypothekenkredite machten vor allem vor der Einführung des Euro den Großteil des Kreditvolumens der Banken aus. Die Euroeinführung hatte die Inflationstendenzen vor allem bei den Immobilienpreisen nicht gebremst. Entsprechend hoch waren die Preise vor dem Ausbruch der Finanzkrise 2010. Zusätzlich zur platzenden Immobilienblase mussten in der Folge die Kreditnehmer mit sinkenden oder wegen der Arbeitsplatzverluste vollkommen wegfallenden Einkommen leben.

Dazu kamen mehrere neue oder empfindlich erhöhte Immobiliensteuern. Kurzum, knapp eine halbe Million Immobilienkredite gelten derzeit als faul, weil die Kreditnehmer sie nicht mehr bedienen können. Das griechische Schuldrecht sieht vor, dass die Kreditnehmer, aber auch deren Erben auch nach der Versteigerung ihres Pfands für den eventuell noch bestehenden Fehlbetrag aufkommen müssen. Bei den krisenbedingt um bis zu achtzig Prozent gesunkenen Preisen für die Immobilien bedeutet dies für bankrotte Kreditnehmer vor allem im Hinblick auf die aktuelle griechische Wirtschaftslage eine lebenslange Verurteilung zur Armut.

Tsipras bei der Mammut-Sitzung vom 13. auf 14. August, die seinem damaligen taktischen Rücktritt voranging. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Die PASOK hatte daher bei Einführung der Sparprogramme wohlweislich ein Schutzgesetz erlassen, welches die einzige Wohnung eines Kreditnehmers vor der Pfändung und Versteigerung schützt. Die Banken hatten nur Zugriff, wenn der betreffende Kreditnehmer noch über eine andere Bleibe verfügte. Das neue Gesetz legt die Pfändungsgrenzen nun mit den Preisen vor der Krise fest. Die Regierung bezeichnet daher diejenigen, welche über eine auf mehr als 120.000 Euro taxierte Wohnung verfügen als reich und pfändungswürdig. In der Realwirtschaft sind solche Objekte dann nur noch zwischen 20.000 und 40.000 Euro wert.

Zusätzlich dazu verpflichtet das neue Gesetzespaket in einem Zusatzartikel Vermieter einen säumigen Mieter sofort aus der Wohnung zu klagen. Wird dies unterlassen, dann muss der Vermieter für sämtliche nicht erhaltene Mieten die Steuern entrichten. Tsipras Wahlspruch, auch im September, war "keine Wohnung in den Händen eines Bankers." Auch von diesem Versprechen muss er sich unter dem Druck des Quartetts verabschieden.

Gab es Alternativen?

Das eher wirtschaftskonservative griechische Magazin Capital rechnet der Regierung die vom Quartett vorgeschlagenen Alternativen zum Kahlschlag des Kreditnehmerschutzes vor. Unter anderem rechnet sie vor, dass die Regierung weiterhin die Renten dem als Aktiengesellschaft eigentlich privatisierten Elektrizitätsunternehmen DEI mit 700 Millionen Euro und die Renten der zur deutschen Telekom gehörenden früher staatlichen Kommunikationsfirma OTE mit 535 Millionen Euro bezuschusst.

Zudem macht das neue Gesetz den Weg frei für den Verkauf der faulen Kredite an ausländische Hedge Fonds. Im Gespräch sind dabei Preise in der Größenordnung von zwanzig Prozent des Nominalwerts der jeweiligen Kredite. Die Differenz wird dann dem Steuerzahler angelastet, welcher für die Rekapitalisierung der Banken aufkommen muss.

Die Forderungen der Kreditgeber gehen indes weiter. Eine weitere Rentenreform mit Leistungskürzungen wird verlangt. Seitens des IWF wird bereits über zusätzliche Lohnkürzungen als Mittel für die Belebung der Wirtschaft philosophiert. In staatlichen Krankenhäusern liegen derweil die Wartezeiten für einen Termin bei zwei Jahren. Zweiunddreißig Prozent der Krebspatienten haben keinen Zugang mehr zu einem Arzt, achtundzwanzig Prozent bekommen keine Medikamente mehr. Lange kann das nicht gutgehen.