Ukraine im Syrien-Schatten: Regierung drängt trotz Flüchtlingskrise in der EU auf schnelle Beendigung des Visa-Zwangs

Präsident Poroschenko am Samstag bei der Unterzeichnung von Gesetzen zum Schutz der Menschenrechte und zur Bekämpfung der Korruption. Bild: president.gov.ua

Ob die beschlossene Verlängerung der Sanktionen umgesetzt wird, ist noch fraglich, nach den Angriffen auf Paris und Mali besucht Hollande am Mittwoch Putin

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Mit dem Eingreifen von Russland in den Syrienkonflikt ist die Ukraine, die ein Jahr lang außenpolitisch mit der Konfrontation des Westens mit Russland die Nachrichten beherrscht hat, an den Rand gerückt. Obgleich immer einmal wieder von Schießereien und Toten berichtet wird und die Umsetzung des Minsker Abkommens nicht vorankommt, sind die Anstrengungen nun vor allem aufgrund des europäischen Flüchtlingsproblems und des aus Syrien reimportierten Terrorismus darauf gerichtet, auch mit Moskau zu einer Lösung im Syrien-Konflikt zu kommen.

Der weitgehend eingefrorene Konflikt in der Ostukraine kommt der Abwendung entgegen, auch wenn nun rechtsnationalistische Kräfte wie der Rechte Sektor zusammen mit Tatarenaktivisten versuchen, durch Blockaden und Kappen der Stromversorgung den Konflikt wieder hochzuschaukeln (Black-Out auf der Krim). Der ukrainische Präsident Poroschenko bemüht sich hingegen, weiter um die "globale Solidarität" für die Ukraine und gegen den Terrorismus zu werben. Für ihn kämpft Russland in Syrien nicht gegen den Terrorismus, weil es die Assad-Regierung unterstützt. Der Druck auf Moskau würde nicht nachlassen, sucht er glauben zu machen, wobei er suggeriert, die schleppende Umsetzung des Minsker Abkommens liege allein auf russischer Seite.

Er verwies dabei auf den G20-Gipfel, auf dem sich, wie Reuters mit Berufung auf einen Diplomaten berichtet, Obama, Merkel, Cameron, Renzi und Fabius sich am Rande kurz getroffen und vereinbart hätten, die im Januar auslaufenden Sanktionen gegen Russland trotz der möglichen Kooperation im Hinblick auf Syrien um ein halbes Jahr zu verlängern. Knackpunkt dürften u.a. die von den "Volksrepubliken" auf Februar verschobenen Kommunalwahlen sein. Die Frage wird allerdings sein, ob sich Frankreich weiter daran gebunden sieht, da es die Zusammenarbeit mit Russland vorantreibt.

Der deutsche Außenminister Steinmeier hat zwar in einem Interview am Wochenende Russland schon einmal damit gewunken, die G8 wieder zu öffnen, wenn es die Vereinbarungen über die Ukraine einlöst und sich im Sinne des Westens an einer Lösung des Syrienkonflikts beteiligt. Der französische Präsident Hollande wird am Donnerstag Putin in Moskau treffen. Wohl auch, um ihn bei der Stange zu halten, trifft sich Bundeskanzlerin Merkel am Mittwoch mit Hollande in Paris. Putin hatte nach dem Anschlag auf das Hotel in Mali, bei dem auch 6 Russen getötet wurden, noch einmal zum globalen, also gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus aufgerufen. Überdies hatte EU-Kommissionspräsident Juncker am Wochenende einen Brief an Putin geschickt und ein Angebot für engere Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU mit der Eurasischen Wirtschaftsunion gemacht.

Die Regierung drängt auf Visa-freie Einreise in die EU

Indes beeilte sich Poroschenko, die noch günstige Zeit auszunutzend, um den Visazwang für ukrainische Bürger aufzuheben, für die ukrainische Regierung neben dem Assoziierungsabkommen sowie dem gewünschten Beitritt zur EU und zur Nato eine der politischen Prioritäten - was es allerdings schon unter der Regierung von Janukowitsch gewesen ist, der EU-Ukraine Visa Liberalisation Dialogue war bereits 2008 gestartet. Er habe einige der von der EU erforderten Gesetze - Schwierigkeiten gab es vor allem bei den Rechten von sexuellen Minderheiten - noch unterschrieben, bevor die Tinte trocken gewesen sei. In wenigen Tagen würden die restlichen Gesetze beschlossen sein, versprach er, dann müsse man nur auf die Entscheidung der EU warten, verkündete er am Samstag, wohlwissend um die Bedeutung.

Mit dem Wegfall des Visa-Zwangs ist zu erwarten, dass viele Ukrainer aus dem Pleiteland, das unter der Sparknute des IWF steht und ökonomisch darniederliegt, auf Arbeitssuche in EU-Länder gehen werden. Das dürfte vor allem in den Ländern, in die derzeit viele Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten kommen, zu neuen Konflikten führen. Ob die osteuropäischen Länder oder die baltischen Staaten, die sich an einer Umverteilung der muslimischen Flüchtlinge nicht oder kaum beteiligen wollen, für eine Zuwanderung aus der Ukraine offener sein werden, ist fraglich.

Präsident Poroschenko am Samstag bei der Unterzeichnung der eilig beschlossenen Gesetze, die von der EU zur Aufhebung des Visa-Zwangs gefordert wurden. Bild: president.gov.ua

Ende des Jahres soll die EU ihren inzwischen sechsten Fortschrittsbericht vorlegen, im fünften vom Mai 2015 wurden vor allem fehlende Fortschritte beim Reformprozess, der Bekämpfung der Korruption oder Mängel im Rechtssystem moniert, aber auch bei der Bekämpfung des Menschenschmuggels oder der Diskriminierung. Die EU-Kommission hat die Möglichkeit, die Umsetzung weiter hinauszuzögern, was freilich zur Folge hätte, dass die ukrainische Regierung weiter an Rückhalt in der Bevölkerung verlieren würde, der allerdings sowieso schon fast verschwunden ist. Bei ihrem letzten Besuch in Kiew ging es der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini wohl vor allem darum, die ukrainische Regierung zu stützen, die Hilfe für die Ukraine stehe weiterhin hoch auf der europäischen Agenda, sagte sie. In ihren Ausführungen ging es aber vor allem um die vielen, noch ausstehenden Reformprozesse.

Während der Visa-Prozess hinausgezögert wird, haben nun alle EU-Mitgliedsstaaten das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ratifiziert, das im Januar in Kraft treten wird. Die Maidan-Proteste haben vor 2 Jahren begonnen, weil die Janukowitsch-Regierung damals das fertig verhandelte Abkommen nicht unterschrieben hatte. Das wird nun als "Tag der Würde" gefeiert. Beim Assoziierungsabkommen geht es vor allem um die enge Verzahnung des Handels, die Bildung einer Freihandelszone, die Umsetzung entsprechender EU-Normen, eine Energiekooperation und die Liberalisierung des Marktes. Politisch geht es um eine fortlaufende Annäherung auch in der Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch militärtechnisch soll eine engere Kooperation erreicht werden.