Brüssel: Zwei mutmaßlich anwesende Terroristen legen eine Millionenstadt lahm

Die Angst ist verständlich, die zur Ausrufung der höchsten Terrorwarnstufe und der Mobilisierung von Tausenden schwer bewaffneten Polizisten und Soldaten führte, aber sie gehorcht dem Terrorkalkül

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Die belgische Regierung hat auch für heute für Brüssel die höchste Terrorstufe 4 verhängt, für den Rest des Landes gilt die Terrorstufe 3. Die Bedrohung sei ernst und unmittelbar, so Ministerpräsident Charles Michel. Am Montagnachmittag will man die Gefährdungslage neue bewerten und entscheiden, wie es weitergeht.

Die belgische und europäische Hauptstadt ist angefüllt mit schwer bewaffneter Polizei und mit Militär. Die U-Bahn bleibt geschlossen, ebenso die Kindergärten, Schulen und Universitäten, auch viele Geschäfte. Die Menschen werden aufgefordert, mitten in der Stadt Menschenmengen zu meiden und wachsam zu sein. Die Menschen sollen ruhig bleiben, aber gewissenhaft den Anordnungen der Sicherheitskräfte gehorchen, während die Verantwortlichen aufgeregt agieren.

Während man bislang davon ausgegangen war, dass neue Terroranschläge im Stil von Paris geplant sein könnten, scheint es nun darum zu gehen, dass zwei Terroristen in Brüssel vermutet werden, vor allem der 26jährige Salah Abdeslam, der sich mit zwei Helfern, die sich noch in Haft befinden, nach den Anschlägen in Paris nach Molenbeek abgesetzt hat und offenbar noch in Brüssel vermutet wird. Sein Bruder Brahim Abdeslam hatte sich auf dem Boulevard Voltaire in die Luft gesprengt, Salah hat den Wagen gemietet, mit dem drei Terroristen zum Bataclan gefahren sind, während er vermutlich an den Schießereien auf Cafés und Restaurants beteiligt war.

Salah Abdeslam versetzte Belgien in Panik

Die zwei Helfer, die Salah mit einem Fahrzeug abgeholt haben, das zwar in der Nacht nach den Anschlägen von der Polizei kontrolliert wurde, die aber die beiden mitsamt Salah weiter fahren ließen, sollen gesagt haben, dass Salah immer seinen Sprengstoffgürtel während der Fahrt anbehalten hat. Ob sie der Polizei Informationen darüber gegeben haben, wo er sich aufhalten und was er vorhaben könnte, ist noch nicht bekannt.

Die Entscheidung der belgischen Regierung ist verständlich, wenn sie konkrete Hinweise darauf haben sollte, dass in Brüssel ähnliche Anschläge wie in Paris geplant sind. Das Dilemma freilich ist groß, denn mit der großen Polizei- und Militärpräsenz dürften mögliche Terroristen erst einmal abwarten, bevor sie losschlagen. Auf Dauer lässt sich eine Großstadt wegen einer wie immer drohenden Anschlagsgefahr nicht lahmlegen und mit Tausenden Sicherheitskräften bewachen. Gewonnen haben die Terroristen dabei sowieso schon, wenn nun nach Hannover auch Brüssel in Aufruhr ist und Angst vorherrscht. Die belgische Regierung wird die Terrorwarnstufe und die Präsenz der Sicherheitskräfte zurückfahren müssen, auf Dauer lässt sich das finanziell nicht durchhalten, auch nicht politisch. Aber wenn die Terroristen dann zuschlagen, wenn die Sicherheitsstufe zurückgefahren wurde, ist das politische Desaster hoch.

Dazu kommt, dass die Regierung zunächst von mehreren Terroristen sprach, aber jetzt nur noch von zweien. In der Nacht fanden mit großem Aufgebot Einsätze mitten in der Stadt statt, wo mehrere Straßenzüge um den Grand Place abgeriegelt wurden, aber auch in anderen Stadtteilen wie in Schaerbeek oder Molenbeek Operationen und Razzien durchgeführt wurden. Die Medien hatte die Polizei aufgefordert, nicht über die Einsätze zu berichten, auch nicht in den Sozialen Netzwerken. Man bedankte sich, Twitter-Nutzer hatten sich allerdings mokiert und Katzenbilder unter dem Hashtag #Brusselslockdown als Kommentar verbreitet. Angeblich gab es mehrere Festnahmen, um 23 Uhr wurde die Beendigung der Operationen gemeldet, die Terrorwarnstufe wurde jedoch beibehalten.

Tritt man gedanklich einen Schritt zurück, so können zwei mutmaßlich in Brüssel anwesende Terroristen, die vielleicht mit Sprengwesten und Kalschnikows ausgerüstet sind, die ganze Millionenstadt lahmlegen. Zumindest hatte Bernard Clerfayt, der Bürgermeister von Schaerbeekder, von "zwei Terroristen" gesprochen. Sie werden damit hochstilisiert zu einer Art Armee, die Situation gleicht einem Kriegszustand.

Es ist wahrhaft ein asymmetrischer Krieg - und eine asymmetrische Panik -, die hier auch von Politik und Medien inszeniert wird und der terroristischen Strategie voll und ganz gehorcht. Zwei mögliche Terroristen, die möglicherweise Anschläge vorhaben, sollen mit Tausenden von schwer bewaffneten Polizisten und Soldaten in Zaum gehalten werden. Es fehlt nur noch, dass Panzer auffahren. Mit minimalem Einsatz wird eine maximale Wirkung erzielt - und mit den Medien wird nicht nur in Brüssel und Belgien, sondern in ganz Europa und letztlich weltweit Angst verbreitet.