Hitler, Goebbels, Mussolini

Was 2016 gemeinfrei wird. Teil 1 - Die Ideologen

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Auch am 1. Januar 2016 werden zahlreiche Werke gemeinfrei, deren Schöpfer vor mehr als 70 Jahren gestorben sind. Die weltweit bekannteste Person, die 1945 starb, ist zweifellos Adolf Hitler. Und anders als bei vielen anderen Urhebern wird über den Ablauf der Schutzfrist für sein bekanntestes Werk Mein Kampf bereits seit Jahren diskutiert (vgl. Hitlers Erben?).

Der Freistaat Bayern, dem die Siegermächte die Immaterialgüterrechte an Hitlers Bestseller zufallen ließen, nutzte das Monopol nämlich 70 Jahren lang, um Nachdrucke zu verhindern. Als 2009 der Ablauf in greifbare Nähe rückte, nahm man beim Münchner Institut für Zeitgeschichte eine kritische kommentierte Edition für die Wissenschaft in Angriff. 2012 klinkte sich die Bayerische Staatsregierung mit einer Sonderförderung in dieses Projekt ein, aus dem sie sich 2013 wieder verabschiedete, nachdem es dazu Kritik aus Israel gab. Beim Institut für Zeitgeschichte heißt es, dass die Edition im Januar fertig sein wird.

Kritische Ausgabe von mein Kampf. Bild: Institut für Zeitgeschichte

Warum mit dem Erscheinen vorher zurückgehaltener Werke aus der Zeit vor 1945 wahrscheinlich nicht die Welt untergeht, hat Hans Schmid in seinem eBook Link auf http://www.heise.de/tp/ebook/ebook_1.html und in den Fortsetzungen auf Telepolis ausführlich dargelegt. Ebenso dürfte es sich mit der kommentierten Ausgabe von Mein Kampf verhalten. Zu nicht kommentierten Ausgaben haben die Justizminister der Bundesländer angekündigt, diese wegen möglicher Volksverhetzung strafrechtlich verfolgen zu lassen. Ob der Tatbestand tatsächlich erfüllt ist, müssen dann Gerichte entscheiden.

Nicht gemeinfrei werden die 1983 von der Illustrierten Stern für 9,3 Millionen D-Mark gekauften und in Auszügen veröffentlichten Hitler-Tagebücher. Sie stammen nämlich nicht von Adolf Hitler, sondern vom Fälscher Konrad Kujau, der dafür vom Landgericht Hamburg zu vier Jahren und sechs Monaten Gefängnis wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung verurteilt wurde. Kujau hatte sich für die Fälschungen einen Hitler ausgedacht, der ein Gegner Himmlers und der Reichspogromnacht war und die Juden im Osten nicht vernichten, sondern ansiedeln wollte. In echten Hitler-Dokumenten gibt es dafür keine Anhaltspunkte.

Joseph Goebbels mit Familie (1944). Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1978-086-03 / CC-BY-SA 3.0.

Ein urheberrechtlich komplizierterer Fall sind die Tagebücher des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels, der gemeinsam mit Adolf Hitler Selbstmord beging. Anders als Goebbels Dissertation über Wilhelm von Schütz als Dramatiker, seine Bücher Der Nazi-Sozi, Revolution der Deutschen und Das erwachende Berlin oder seine im Angriff und in zahlreichen anderen Zeitungen und Zeitschriften erschienenen Artikel wurden die Tagebücher (obwohl sie tatsächlich von ihm stammen) nämlich erst nach und nach posthum veröffentlicht: Einzelne Teile erschienen 1948, 1960, 1977 und in den Jahren von 1992 bis 2005. Etwa zwei Prozent der fast 57.000 zwischen 1923 und 1945 geschriebenen Seiten gelten weiter als vermisst.

Der § 71 des Urheberrechtsgesetzes, der Veröffentlichern nachgelassener Werke 25 Jahre lang exklusive Verwertungsrechte zusteht, greift hier jedoch dem Wortlaut des Gesetzes nach nicht, weil die erhaltenen Goebbels-Tagebuchauszüge zwar posthum, aber nicht nach, sondern bereits vor Erlöschen des Urheberrechts erschienen sind - so Urheberrechtsexperten Dr. Till Kreutzer von iRights.law im Gespräch mit Telepolis. Weil die Veröffentlichung vor Ablauf des Urheberrechts erfolgte, mussten die Verlage dem von den Goebbels-Erben Bevollmächtigen Schweizer François Genoud dafür Geld zahlen.

Heinrich Himmler (rechts) mit Ehefrau und Tochter Gudrun. Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1969-056-55 / CC-BY-SA 3.0.

Vor Ablauf des Urheberrechts erschienen auch die Geheimreden und anderen Ansprachen Heinrich Himmlers, die der Propyläen-Verlag 1974 veröffentlichte. Am 1. Januar 2016 werden außerdem seine Bücher Der Reichstag 1930 - Das sterbende System und der Nationalsozialismus, Die Schutzstaffel und Die Schutzstaffel als antibolschewistische Kampforganisation gemeinfrei. Von den 1968 bei der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart unter dem Titel Reichsführer veröffentlichten Briefen gilt das nur für diejenigen, die Himmler selbst verfasste. Bei den Briefen an ihn berechnen sich die Schutzfristen nach den Sterbedaten der jeweiligen Verfasser.

Oskar Dirlewanger. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-S73495 / Anton Ahrens / CC-BY-SA 3.0.

Auch zahlreiche niederrangigere Nationalsozialisten begingen 1945 Selbstmord oder kamen anderweitig ums Leben. Exemplarisch sei hier Oskar Dirlewanger genannt, der sich an der Ostfront mit seiner vorwiegend aus Wilderern und anderen Straftätern zusammengestellten SS-Sondereinheit den Ruf besonderer Brutalität erwarb. Seine 1925 erschienene volkswirtschaftliche Dissertation Zur Kritik des Gedankens einer planmäßigen Leitung der Wirtschaft ist nicht unbedingt das, was man angesichts der späteren Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten erwarten könnte, sondern liest sich an manchen Stellen wie der neoliberalen Mainstream der 1990er und 2000er Jahre.

Ebenfalls Schriften hinterlassen hat der italienische Diktator Benito Mussolini. Er war bis zum Herbst 1914 Chefredakteur der sozialdemokratischen Parteizeitung Avanti!. Die anschließend von ihm gegründete Zeitung Zeitung Il Popolo d’Italia wurde, (wie man erst in den Nuller Jahren herausfand) vom britischen Geheimdienst mit Geld unterstützt. Bei Mussolinis Werken ist - wie bei allen fremdsprachigen Texten - zu beachten, dass im Zweifelsfall nur die Originale (und nicht die Übersetzungen) gemeinfrei werden. Haben die Übersetzungen nämlich Schöpfungshöhe, kommt es für deren Gemeinfreiheit zusätzlich darauf an, wann der Übersetzer starb.

Benito Mussolini und Clara Petacci 1945

Weil Mussolinis Geliebte Clara Petacci 1945 im April 1945 zusammen mit ihm erschossen und in Mailand kopfüber an einer Tankstelle aufgehängt dem Volk zu Schau gestellt wurde, werden auch ihre Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 1932 bis 1938 gemeinfrei. Sie erschienen bereits 2009 und damit ebenfalls vor Ablauf des Urheberrechts, weshalb § 71 UrhG nach Ansicht Kreutzers auch hier nicht greift (vgl. Dämpfer für den Duce).

In Teil 2 geht es um Anne Frank, Hans Dominik und Theodore Dreiser

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