Ist der Islamische Staat in Syrien und im Irak in Bedrängnis?

Ein gesichertes Fahrzeug als Autobombe, wie es Selbstmordattentäter des IS ins Ziel steuern.

Pentagon: IS-Kämpfer sollen desertieren, 23.000 getötet worden sein, Sturm auf Ramadi steht bevor

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Das Pentagon behauptet, dass die Luftangriffe der von den USA geführten Koalition nun ihre Wirkung zeigen. So erklärte Steve Warren, der Sprecher der Anti-IS-Koalition in Bagdad, Videobilder von Drohnen und Geheimdienstberichte würden zeigen, dass zunehmend Kämpfer des IS desertieren würde, wodurch die Kampfstärke der Terroristen zurückgehe. Ähnliches war unlängst schon einmal vom russischen Militär zu hören, das ebenso seine tödliche Effizienz damit demonstrieren wollte.

Nach nicht weiter belegten Schätzungen des US-Militärs seien bislang 23.000 IS-Kämpfer getötet worden, allein seit Mitte Oktober 3.000. Was genau dabei unter "IS-Kämpfer" verstanden wird und wie viele Zivilisten ums Leben kamen oder verletzt wurden, gibt das Pentagon nicht bekannt. Armeegeneral Lloyd Austin, der Kommandeur des US-Militärs im Mittleren Osten, soll Soldaten letzte Woche gesagt haben, dass der Luftkrieg "dem Feind maximalen Schmerz" zufüge, also höchst erfolgreich sei. In Syrien habe man 283 Öl-Lastwagen zerstört, meldete das Pentagon am 24. November.

So friedlich soll es in Mossul nach dem IS zugehen

Es gebe massenhafte Desertionen, schlecht bemannte Kontrollpunkte und die Notwendigkeit, dass Elitekämpfer aus dem Ausland normale Aufgaben übernehmen müssen, so Warren. Der amerikanische Luftkrieg und der Vorstoß der Kurden würden die Streitkräfte des IS zusammenbrechen lassen. Genau wisse man allerdings nicht das Ausmaß fehlender Kampfstärke. Nach Warren verfüge der IS derzeit über 20.000-30.000 Kämpfer in Syrien und im Irak. Auffällig ist, dass derzeit viele "Märtyrer" verabschiedet werden, beispielsweise in Falludscha (May Allah Accept and be pleased with him).

Aber der IS hat schon längst in andere Länder ausgebreitet. Selbst wenn Syrien gesäubert werden könnte, werden sich Zellen wie nach dem Einmarsch der Amerikaner in Afghanistan, in andere Länder verbreiten und diese instabil machen, auch wenn sie keine Territorien wie jetzt in Syrien und im Irak beherrschen. Offenbar ruft der IS nun Rekruten, die sich ihm anschließen wollen, dazu auf, lieber nach Libyen zu gehen. Auch in den IS-Twitter-Accounts werden zunehmend Fotos vom friedlichen Leben in Sirte verbreitet.

Machtergreifung in Sirte

In dem nach der militärischen Intervention zum failed state gewordenen Land, gibt es zwei Regierungen und viele bewaffnete Gruppen (IS: Nächstes Hauptquartier in Libyen). Ein ideales Rückzugsland für den IS mit Verbindungen zu Zellen in den umgebenden Ländern, und vor allem ein Land, wo der Westen erst einmal nicht militärisch aufgrund des Scheiterns intervenieren wird, aber auch weil die Kräfte in Syrien und im Irak, aber auch in Afghanistan und Mali gebunden sind.

Dazu kommt die Strategie, nun zunehmend Ziele im Ausland anzugreifen. Paris war vermutlich nur ein Anfang. In der dritten Ausgabe des russischen IS-Magazins Istok wird mit Anschlägen in den USA und in Russland gedroht.

Im Irak wird der IS zurückgedrängt

Vorstöße gibt es derzeit vor allem im Irak. So haben die Kurden mit Luftunterstützung der Koalition den IS aus Sindschar vertrieben, eine wichtige Stadt auf der Verbindung zwischen den vom IS besetzten Großstädten Mossul und Raqqa. Entdeckt wurden seitdem dort mehrere Massengräber mit Hunderten von Toten. Ob die Kurden bereit sein werden, wie das die USA gerne hätten, um Mossul anzugreifen, darf bezweifelt werden. Man geht eher davon aus, dass sie vor allem ihre Gebiete nicht nur gegenüber dem IS, sondern auch gegenüber der irakischen Regierung sichern wollen und wenig Interesse haben, sich als Bodentruppen im Dienst der USA und der irakischen Regierung verheizen zu lassen.

Bild: defense.gov

Derzeit läuft eine Offensive, die Stadt Ramadi in der Anbar-Provinz, 90 km westlich von Bagdad, einzunehmen, die der IS im Mai 2015 nach längeren Kämpfen gegen sunnitische Stämme überrumpelte hatte, während eine Übermacht an irakischen Soldaten Hals über Kopf flüchtete. Am 18. November wurde eine wichtige Brücke zerstört, über die der IS mit von Selbstmordattentätern gesteuerten Autobomben die irakischen Truppen angreifen und sich mit Nachschub versorgen konnten. Mittlerweile soll die Stadt vollständig eingeschlossen sein, der seit längerem angekündigte Angriff soll bald starten.

Die Bewohner wurden aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Dazu wurden von Flugzeugen über der Stadt Flugblätter abgeworfen, im staatlichen Fernsehen wurde die Aufforderung ebenfalls verbreitet, in den gesicherten Stadtteil Humayra zu gehen, wo sie die Stadt verlassen könnten. Am Montag hieß es, es sei die letzte Aufforderung, man würde dann die Stadt eingreifen, egal, wer sich noch in ihr befindet.

Ramadi, wie es der IS darstellt.

Wie viele IS-Kämpfer sich in der Stadt noch aufhalten, ist nicht bekannt. Man schätzt ihre Zahl zwischen 500 und 1000, deutlich weniger als die zusammengewürfelte Truppe aus 10.000 Soldaten, Polizisten, schiitischen Milizen und Kämpfern lokaler Stämme, die die Stadt eingekesselt hat. Sie wird vermutlich vom IS ähnlich wie in Tikrit weitgehend mit Sprengfallen und Minen übersät worden sein. Zudem werden die IS-Kämpfer versuchen, die Einwohner auch mit Gewalt zurückzuhalten und sie als Geiseln zu verwenden. Angeblich sprengen IS-Kämpfer Häuser von Männern in die Luft, die die Stadt verlassen oder sich der irakischen Armee angeschlossen haben. Zu erwarten ist, dass die Stadt, in der 2012 mehr als 250.000 Menschen lebten, mit der Eroberung ähnlich verwüstet sein wird wie das im April 2015 eroberte Tikrit. Aus Angst vor den schiitischen Kämpfern waren die meisten Einwohner geflohen. Mittlerweile soll die Hälfte wieder zurückgekommen sein.

Solange die Kämpfe im Irak andauern, wird es weiterhin innerhalb des Iraks Flüchtlinge geben, die auch versuchen werden, woanders einen sicheren Unterschlupf oder bessere Perspektiven zu erlangen. Nach der irakischen Regierung ist die Zahl der Binnenflüchtlinge vornehmlich aus den sunnitischen Gebieten auf 3,5 Millionen angestiegen. Man rechnet damit, dass sie weiter ansteigen wird. Die große Zahl der Flüchtlinge würde die Regierung zunehmend unter Druck setzen. Als der IS Mossul letztes Jahr eroberte, sind 250.000 Menschen geflohen, aus der Anbar-Provinz, deren Hauptstadt Ramadi ist, ist eine Million geflüchtet, 600.000 aus der Provinz Salahadin.