USA: Der alltägliche Terrorismus

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Das Massaker in Kalifornien geschah in dem Land, das weltweit das größte Militär besitzt, in Waffen schwimmt, eine Gewaltkultur zelebriert und in dem Bewaffnung als Heilmittel gegen Angriffe mit Schusswaffen gilt

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Zwei Menschen in Kampfkleidung, mit Schussweste, einer Kamera, Sprengsätzen und Sturmgewehren dringen am helllichten Tag um 11 Uhr vormittags plötzlich in ein Gebäude eines Zentrums für Behinderte im kalifornischen San Bernardino ein und schießen in einem Konferenzraum, wo gerade eine Feier mit Angestellten des Gesundheitsreferats der Stadt stattfindet, wild um sich. 14 Menschen werden getötet, 21 teils schwer verletzt.

Die Täter waren ein muslimisches Paar. Syed Rizwan Farook soll religiös gewesen sein, war offenbar in Saudi-Arabien und Pakistan, hat in dem Zentrum gearbeitet und war auf der Feier, die er angeblich verließ, um mit seiner Frau Tashfeen Malik und zwei Gewehren sowie zwei Pistolen zurückzukehren. Offenbar war der Anschlag länger geplant und vorbereitet, auch wenn alles auf den ersten Blick nach einer Kurzschlussreaktion aussah. Gut möglich, dass mit dem Anschlag im Sinne des Islamischen Staats geplant gewesen sein könnte, alle Muslime und damit auch die Flüchtlinge unter Verdacht zu stellen. In der aufgeheizten Stimmung in den USA und anderswo wäre der Erfolg sicher.

Im Haus der beiden wurden jedenfalls 12 Rohrbomben und tausende Patronen gefunden, weswegen das FBI nun einen Terroranschlag in Betracht zieht. Angeblich stand Farook seit mehreren Jahren in Kontakt mit Islamisten. Aus der Reihe fiel das Massaker, weil es sich um zwei Täter - und darunter auch eine Frau - handelte, die zudem erst einmal ungehindert entkommen konnten, bevor sie Zuhause aufgespürt und schließlich auf der Flucht gestellt und getötet wurden.

Auch als die Motive noch nicht klar waren, wird das Massaker von der konservativen New York Post auf dem Cover von gestern schon einmal als Tat der Muslime herausgestellt.

Es ist ein Massaker, eine Massentötung, wie man es in den USA nennt, wie es sich fast täglich in dem Land ereignet, das weltweit das größte Militär besitzt, in Waffen schwimmt, eine Gewaltkultur zelebriert, in dem Waffenfanatiker den Besitz von Waffen als Grundrecht einfordern und in dem Bewaffnung als Heilmittel gegen Angriffe mit Schusswaffen gilt (In den USA boomt das Geschäft mit Schusswaffen). In dem Geist wird auch die amerikanische Ordnung weltweit durchgesetzt, also mit Waffengewalt, die nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland zur Instabilität führt und mehr Menschen zu den Waffen treibt. Bei Massentötungen, zu denen man Schießereien rechnet, bei denen mindestens 4 Menschen getötet oder verletzt werden, sind in den USA in diesem Jahr 462 gestorben und 1.314 verletzt worden. Nach dem Trend sind Massentötungen in den letzten 20 Jahren häufiger geworden. Dieses Jahr zählte Shootingtracker bereits mit San Bernardino 353 Fälle, gerade erst sind in Savannah 3 Menschen und in Colorado 9 und in Sacramento 2 getötet worden: Alltag in den USA (USA: Das Land der Amokläufe und Massenschießereien).

Massenmorde mit Waffen aller Art, begangen von Sicherheitskräften, Kriminellen, Aufständischen oder Terroristen, sind auch Alltag in vielen Ländern. Dagegen muss weiter hochgerüstet werden, so die weit verbreitete und politisch wirksame Ideologie in den USA, wo man auch auf die Erhöhung der Rüstungsetats und der Interventionsbereitschaft bei den Alliierten drängt. Gegen Gewalt gibt es nur Gewalt als Mittel der Wahl. So werden Truppen in Länder geschickt, um die Gewalt zu ersticken, werden im sauberen Krieg mit Spezialeinheiten und Drohnen sowie mit Präzisionsraketen und -bomben "gezielt" Gewalttäter und Infrastruktur vernichtet, so rüsten sich auch im Inneren der USA die Menschen zunehmend mit Waffen auf und glauben viele, dass Massentötungen nicht geschehen würden oder weniger Opfer zu beklagen wären, wenn überall Schusswaffen mitgeführt und auch eingesetzt werden.

Ende von "Rund and Hide"

Ein Beispiel dafür ist der Bürgermeister von Detroit, der vor ein paar Tagen im Hinblick auf die in den USA grassierende Sorge vor ähnlichen Angriffen wie in Paris sagte, Detroit sei wegen der Vielzahl von bewaffneten Bürgern geschützt: "Eine Menge von Detroitern haben CPLs (Erlaubnis zum Tragen verborgener Pistolen), und für Terroristen gilt dieselbe Regel wie für einen Kriminellen mit einer Schusswaffe: Wenn du ein Terrorist oder ein Autodieb bist, dann wünscht du dir unbewaffnete Zivilisten."

Ein anderes Beispiel ist der berüchtigte Sheriff Joe Arpaio, der die Waffenbesitzer in Arizona dazu aufrief, gegen Terroristen und Massenkiller vorzugehen, weil er die Sicherheit nicht garantieren könne. Wenn notwendig, müssten die Bürger das in ihre Hand nehmen: "Ich spreche nur über die Orte, wo es große Menschenmengen gibt und jemand eine Waffe herausholt und zu schießen beginnt. Vielleicht könnte jemand mit einer verborgenen Waffe den Kerl niederstrecken." In Arizona gibt es 250.000 Bürger, die versteckt Waffen tragen dürfen.

Die Woche zuvor hatte Cathy Lanier, die Polizeichefin von Washington D.C., ähnlich argumentiert und sogar die Menschen aufgefordert, einen "gunman" zu töten, wenn er eine Bedrohung darstellt: "Wenn man eine Gelegenheit hat, den Täter auszuschalten, dann ist das die beste Option, um Leben zu retten, bevor die Polizei kommt." Das laufe dem entgegen, dass die Polizei sonst immer rät, nicht in den Raub einzugreifen und Polizei zu rufen: "Wir haben den Menschen nie gesagt: 'Handle'. Das ist unterschiedliches Szenario. Am Dienstag hatte sie ihre Aufforderung erneut bestätigt, als sie über die Vorbereitung für eine Massenschießerei sprach: "Wenn es keine Alternative gibt, man nicht fliehen und sich nicht verstecken kann, ist die weitere Option zu kämpfen. Das ist eine individuelle Entscheidung, die man zu treffen hat und die vom Szenarion abhängt." Eine Massenschießerei laufe normalerweise in weniger als 10 Minuten ab, normalerweise brauche auch die beste Polizei 5-7 Minuten, um am Tatort einzutreffen. Nach einer Analyse des FBI dauert die Mehrzal der Massentötungen weniger als 5 Minuten (Die Zahl der Amokläufer in den USA ist deutlich angestiegen).

Dazwischen gibt es regelmäßig Rufe, die Waffengesetze zu verschärfen, was vorerst nicht passieren wird und auch kaum Folgen haben würde, zu sehr sind viele Menschen von Waffen fasziniert, ein Kult, der auch von den islamistischen "Kämpfern" gefeiert wird, die sich stets mit Waffen ablichten lassen, aber auch von US-Waffenfanatikern, die darauf drängen, dass Waffen überall mitgeführt und auch offen getragen werden dürfen. Eine Existenz besonders als Mann oder Jüngling ohne eine Schusswaffe, hergestellt und verbreitet von den unzähligen legalen und profitablen Waffenschmieden und Waffenhändlern in allen Ländern, wird hier als unvorstellbar zelebriert. Man ist permanent im Modus der Selbstverteidigung oder des Angriffs.

2015 sind nach dem Gun Violence Archive über 12.000 Menschen in den USA durch Schusswaffen getötet und über 27.000 verletzt worden.

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Neue Polizeistrategie: Schneller eingreifen

Eine hoffnungslose Spirale der Gewalt, von der Waffenproduzenten und die gesamte Sicherheitsbranche profitiert, durch die das BIP in die Höhe getrieben wird und von der auch Rebellen, Widerstandsgruppen, Terroristen und der kriminelle Schwarzmarkt leben. Man muss sich bei den so genannten Massentötungen, gelegentlich auch Amokläufe genannt, bei denen die Täter offenbar bezwecken, einen "erweiterten Selbstmord" zu begehen, auch fragen, ob es nicht um einen apolitischen Terrorismus handelt. Zwar agieren die Täter in den USA in der Regel mit Schusswaffen und nicht mit Sprengstoff wie die islamistischen Selbstmordattentäter, und sie haben andere Motive, sofern diese überhaupt über die verzweifelte Wut hinaus eine große Rolle spielen und nicht nur ein legitimierendes Ornament darstellen.

Interessant in diesem Zusammenhang die oben schon angedeutete Entwicklung in der Polizeistrategie, mit der sich auch das New York Police Department, wie die New York Times vor ein paar Tagen berichtete, auf Massentötungen oder Terroranschläge als besser vorbereitet sieht. Dabei geht es nicht darum, dass bewaffnete Zivilisten zur Waffe greifen sollen, sondern dass die Polizisten dies möglichst schnell machen. Schon vor den Anschlägen in Paris, bei der die Täter auch eine Massengeiselnahme durchführten, bevor sie sich in die Luft sprengten, war man hier überzeugt, dass die Polizisten, die als erstes vor Ort sind, sich anders als bisher verhalten sollen. Meist laufen Massentötungen wie jetzt in San Bernandino sehr schnell ab. In der Regel kommen an den Tatort nach den ersten Meldungen zuerst leicht bewaffnete Streifenpolizisten, die in Vergangenheit zunächst versuchten, den Ort abzuriegeln und mit dem Täter oder den Tätern in Kontakt zu treten, bis die schwer bewaffneten Sondereingreifkommandos kommen. Die Strategie war eher darauf ausgerichtet, keine Geiseln und auch keine Polizisten zu gefährden.

Nach den großen Massengeiselnahmen in Russland oder in Mumbai habe sich, so die NYT, bei US-Polizeibehörden eine andere Strategie herausgebildet. Der beste Weg, um Leben zu retten, sei es, dass die ersten ankommenden Polizisten gleich gegen die Täter vorgehen sollen. Das kann natürlich erst recht zu weiteren Opfern führen und auch die Polizisten selbst großer Gefahr aussetzen. Bei der Schießerei in der Abtreibungsklinik in Colorado war vor ein paar Tagen ein Polizist getötet worden.

Das NYPD jedenfalls hat bereits 3000 Streifenpolizisten für Szenarios mit einem "active shooter" vorbereitet. Sie haben gelernt, wie sie in Gebäude eindringen und mit ihrer Kollegen ein Einsatzteam bilden können. Dabei waren erst vor kurzem zusätzlich zur Emergency Service Unit neue Eingreiftrupps mit 1300 Polizisten mit Sturmgewehren aufgebaut worden: Critical Response Command und die Strategic Response Group. Ob die leicht bewaffneten Streifenpolizisten eine Chance gegen einen schwer bewaffneten und mit einer Schussweste ausgestatteten Gegner haben, ist fraglich.

Die Polizei will hier einerseits aggressiver handeln, muss aber gerade wegen des aggressiven Vorgehens vornehmlich gegen Schwarze abgerüstet werden, weil die Gewalt von teils wie Soldaten hochgerüsteten Polizisten und ihr schneller Griff zur Schusswaffe unter heftige Kritik geriet. Auch in den Szenarien, auf die die Polizisten vorbereitet wurden, kann die Lösung nicht der schnelle Griff zur Schusswaffe sein. Polizeichef William J. Bratton räumte ein, dass alles von der schnellen Situationseinschätzung der Polizisten vor Ort abhänge. Sie müssten unterscheiden zwischen einer normalen Geiselnahme, bei der Angreifer Forderungen erhebt, aber am Leben bleiben will, und einem Selbstmordangriff, bei dem die Geiseln getötet und Polizisten und Notfallpersonal herangelockt werden sollen.

Und man kann viel planen und üben, Täter, die sich vorbereiten, werden das in ihr Vorgehen einbeziehen und entsprechend handeln. Wenn die Polizei schneller zugreift oder die Gefahr besteht, dass die Überfallenen selbst bewaffnet sind, werden Täter, die einen Anschlag oder einen erweiterten Selbstmord begehen wollen, vermutlich noch mehr hochrüsten und noch schneller schießen.