Die syrische Sackgasse

Terror, Menschenrechte und Pipelines: Deutschland stolpert unter fadenscheinigen Gründen in den nächsten Krieg um Öl, Gas und Vorherrschaft

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Auf die am vergangenen Montag in der Bundespressekonferenz gestellte Frage, wessen Krieg die Bundesregierung in Syrien unterstützen möchte, antwortete eine Sprecherin der Regierung schlicht und im Ton der Selbstverständlichkeit: "Wessen Krieg? Den Krieg gegen den Terror. Das Ziel ist definiert und das Ziel ist der Krieg gegen den Terror." Am Dienstag ließ die Bundesregierung via Chefsprecher Steffen Seibert dann zur Frage der Kriegsgründe ergänzen:

Der IS stellt eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar, und zwar wegen seiner extremistisch-salafistischen Gewaltideologie, wegen seiner terroristischen Handlungen, seiner anhaltenden, schweren, systematischen und ausgedehnten Angriffe auf Zivilpersonen sowie seiner Anwerbung und Ausbildung ausländischer Kämpfer. Das sind die wesentlichen Gründe. (…) Wir wollen terroristische Handlungen durch den IS verhüten und unterbinden. Man könnte auch sagen, wir wollen dem IS die Fähigkeit nehmen, aus Syrien Terrorangriffe zu steuern. Und vielleicht könnte man auch sagen, wir wollen ihn unschädlich machen. Und dafür muss man gegen den IS in seinem derzeitigen Herrschaftsgebiet vorgehen, in dem er ungehindert Menschen mordet, versklavt, vergewaltigt.

Steffen Seibert

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen erklärte die beabsichtigte deutsche Beteiligung an diesem Krieg am Donnerstag vor der Presse dann so:

Wir führen entschlossen einen Kampf gegen das Phänomen des IS, das ja gelegentlich auch in anderen Bezeichnungen auftaucht, nämlich gegen das Ziel des IS, genau das im Kern unseres Lebens zu zerstören, was Freiheit mit sich bringt, was Pluralität mit sich bringt, was der Respekt vor der Menschenwürde und den Menschenrechten ist. Das ist ein sehr grundsätzlicher und grundlegender Kampf, der dort geführt wird.

Die Bundesregierung wiederholte also mehr oder weniger das 14 Jahre alte Mantra, mit dem man auch schon 2001 in den (mittlerweile komplett gescheiterten) Afghanistankrieg gezogen war. Und in der Tat erscheint der aktuelle Syrienkrieg als eine Art schlechtes Hollywood-Sequel des Afghanistan-"Blockbusters": Der Westen kämpft gegen Islamisten, die man zuvor in Teilen erst selbst für eigene Zwecke geschaffen oder zumindest unterstützt hat. Am Hindukusch waren es in den 1980er Jahren die Mujaheddin-"Freiheitskämpfer", welche dann als Taliban umfirmiert ab 2001 zur "Bedrohung des Weltfriedens" wurden.

IS-Propaganda: "La fraternité anti-nationaliste des soldats du Califat."

In Syrien geht jetzt alles etwas schneller. Das von den USA und ihren Verbündeten unterstützte diffuse Konglomerat der "Freien Syrischen Armee", das seit 2011 Assad stürzen sollte, brachte den IS hervor, den man nun bekämpft. Die Verrenkungen der Bundesregierung, die Teilnahme an diesem Spiel mit wechselnden Feinden zu rechtfertigen, und das auch noch ohne UN-Mandat, sind inzwischen sogar mimisch sichtbar (hier live zu betrachten beim Sprecher des Auswärtigen Amtes).

Nach UN-Angaben hat in den letzten 25 Jahren weltweit kein Konflikt zu so vielen Flüchtlingen geführt wie der in Syrien. Aus einer Bevölkerung von knapp über 20 Millionen Menschen sind inzwischen 12 Millionen auf der Flucht. 4 Millionen von ihnen ist es bislang gelungen, sich außer Landes zu retten. In dieser Situation wetteifern derzeit die USA, Russland, die Türkei, Frankreich, Saudi-Arabien, Großbritannien, Katar und nun auch Deutschland offenkundig darum, wer noch mehr und bessere Waffen in das Kriegsgebiet schaffen kann.

Doch warum eigentlich? Der militärische Einsatz, das internationale Schießen und Morden, kostet längst Milliarden. Glaubt jemand ernsthaft, diese Summen würden aufgebracht, um den "Weltfrieden" zu sichern oder Zivilisten vor bösen Halsabschneidern zu bewahren? Das ginge wohl auch billiger. Syrien ist, genau wie zuvor schon Afghanistan oder der Irak, zum Schlachtfeld einer perversen Geopolitik geworden. Die Großmächte ringen um Einfluss und um Pipelinerouten. Frankreich knüpft dabei direkt an eigene Kolonialerfahrungen an. Zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg befand sich Syrien in den 1920er, 1930er und 1940er Jahren unter französischer Kontrolle.

IS-Propaganda: Ornamente der Macht

Der Verweis auf die Anschläge von Paris vor drei Wochen ist kaum mehr als eine Finte. Die Anschläge sind bis heute nur ansatzweise aufgeklärt. Ein Teil der Täter - diejenigen, welche vor mehreren Pariser Cafés auf offener Straße Dutzende Menschen niederschossen - ist abgetaucht. Augenzeugen berichteten von einem schwarzen Mercedes, aus dem zwei durchtrainierte Weiße mit Maschinengewehren gestiegen seien, sauber rasiert, mit akkurat geschorenen Haaren. Ruhig und emotionslos hätten sie die Morde verübt. Kein "Allah ist groß"-Geschrei, keine Sprengstoffgürtel. Einer der Augenzeugen wörtlich: "Sie sahen aus wie Soldaten oder Söldner und zogen das durch wie eine Militäroperation." Bislang ist vollkommen ungeklärt, sofern die Aussagen richtig sind, wer diese Täter waren, wohin sie geflohen sind und wer sie beauftragte.

Die Begründung einer Kriegsbeteiligung mit den Pariser Anschlägen liegt auch deshalb neben der Spur, weil Frankreich schon knapp zwei Monate zuvor, im September, damit begonnen hatte, in Syrien Bomben abzuwerfen. Der französische Premierminister Manuel Valls hatte das bereits damals als "legitime Selbstverteidigung" bezeichnet, da der IS Anschläge gegen Frankreich "vorbereite".