Flüchtlinge: Wenn neue Nachbarn einziehen

In Hamburg müssen immer mehr Neuankömmlinge untergebracht werden. Die Maßnahmen, die die Stadt dafür trifft, stoßen nicht überall auf Gegenliebe

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Der nicht abreißende Zustrom von Flüchtlingen aus den Krisen- und Kriegsgebieten sorgt in Hamburg zunehmend für Spannungen. Vielerorts werden Unterkünfte aus dem Boden gestampft. Insgesamt hat die Stadt bislang 18.934 Flüchtlinge mit Unterbringungsbedarf aufgenommen. Allein im November waren es 3.987.

An vielen Standorten regt sich Widerstand gegen die vorgesehenen Flüchtlingsunterkünfte. Die Umwidmung von Flächen, die im Bebauungsplan für Erholung, Sport oder andere Aktivitäten vorgesehenen sind, erregt die Gemüter.

Ende September hat das Bundeskabinett eine Gesetzesänderung beschlossen, die es Kommunen erleichtern soll, entsprechende Baumaßnahmen ergreifen zu können. Barbara Hendricks, Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, sagte in einer Presseerklärung ihres Ministeriums, dass kein Vorhaben an bauplanungsrechtlichen Vorgaben scheitern solle: "Mit der Änderung des Bauplanungsrechts wollen wir Länder und Kommunen gezielt unterstützen."

Dazu werde die Errichtung oder Nutzung von Flüchtlingsunterkünften im Innen- und Außenbereich befristet erleichtert. "Wir reagieren mit dem Gesetz auf den akuten Bedarf in der derzeitigen Situation."

Behelfsunterkünfte für drei Jahre zugelassen

Die beschlossene Änderung des Baurechts sieht vor, dass Behelfsunterkünfte in allen Baugebieten befristet auf drei Jahre zugelassen werden können. Die Umnutzung bestehender Gebäude wird in allen Baugebieten deutlich erleichtert. Für reine Wohngebiete, in denen Flüchtlingsunterkünfte bislang nur ausnahmsweise zugelassen waren, sollen nun Genehmigungen erteilt werden können. Wenn mit diesen Erleichterungen dringend benötigte Unterkünfte nicht rechtzeitig beschafft werden können, kann in erforderlichem Umfang auch ganz vom Bauplanungsrecht abgewichen werden.

In Hamburg werden auf diese Weise immer mehr Flüchtlingsunterkünfte errichtet und in der Nachbarschaft regt sich dagegen zunehmend Widerstand. An mindestens 15 geplanten Unterkünften versuchen Anwohner juristisch gegen die geplanten Projekt vorzugehen. Aus Kreisen der SPD ist zu hören, dass praktisch an jedem Standort Widerstand aus der Bevölkerung vorhanden sei.

Der Bergedorfer CDU-Bezirksfraktionschef, Sven Noetzel, sagte gegenüber der Presse, dass viele es als schreiende Ungerechtigkeit empfänden, dass die Stadt jetzt einerseits ohne Baurecht ganze Stadtteile errichten wolle, zugleich aber den kleinen Bauherrn regelmäßig mit Auflagen überzöge und ihm sogar noch den Standort seines Carports vorschreibe.

Oft wird der Stadt jedoch auch vorgeworfen, in den betroffenen Gebieten nicht rechtzeitig informiert zu haben. Kerstin Graupner, Pressesprecherin des Zentralen Koordinierungsstabs Flüchtlinge, sagte gegenüber Telepolis: "Zu Standorten, die noch in der Prüfung sind, äußern wir uns nicht. Erst wenn handfeste Entscheidungen getroffen wurden, informieren wir die Öffentlichkeit. Hintergrund dafür ist, dass viele geprüfte Standorte nicht geeignet sind."

Klagen

Geplante Maßnahmen werden den Anwohnern durch die Presse, Handzettel oder auf der, von der Stadt eingerichteten Webseite, www.hamburg.de/sofortmassnahmen bekannt gegeben. Wenn jedoch unverändert so viele Schutz suchende Menschen nach Hamburg kommen, so Graupner, "bleibt die Unterbringungssituation angespannt". Das wichtigste Ziel sei es, "Obdachlosigkeit zu vermeiden".

Angefeuert wird der Widerstand auch durch erfolgreiche Klagen in der Vergangenheit. Denn bereits im Frühjahr musste der Bau eines Flüchtlingswohnheims im noblen Hamburger Stadtteil Harvestehude zunächst gestoppt werden. Als Begründung für die Klage wurde angegeben, dass die Planung und Größe der Unterkunft unangebracht sei. Erst nachdem die Stadt bereit war, die Zahl der dort untergebrachten Flüchtlinge von 220 auf 180 zu senken, lenkten die Anwohner ein.

Harvestehuder Weg, Hamburg. Bild: MeiBo/CC BY-SA 3.0

Interviews, die in Harvestehude auf der Straße mit Anwohnern geführt wurden, legen jedoch eine anderen Begründung für die Ablehnung nahe. So sagte ein befragter Anwohner in einem Fernsehinterview, dass diese Menschen wohl nicht die richtige Etikette hätten und eine weitere Person machte sich große Sorgen darüber, dass die Flüchtlinge nicht über ausreichend Geldmittel verfügen würden, um in den örtlichen Läden einkaufen zu können.

Wie es in der Hansestadt mit der Unterbringung der Flüchtlinge grundsätzlich weitergehen soll, ist fraglich. Derzeit hat es den Anschein, dass der Senat nur noch auf die Situation reagieren kann. Angesichts der Zahlen sicherlich verständlich. Eine Dauerlösung bieten die neu aufgestellten Container jedoch nicht. Über kurz oder lang müssen in der Hansestadt neue Wohnungen errichtet werden.

Ob die derzeit angepeilten jährlichen 6.000 neuen Wohnungen ausreichen werden, kann derzeit niemand abschätzen. Geplant waren diese eigentlich, um den angespannten Wohnungsmarkt zu entlasten. 80.000 Wohnungen sollen offiziell bis 2020 entstehen. Der Zustrom der Flüchtlinge könnte diese Planung erheblich durcheinander bringen.