Frankreich: Front National strebt nach absoluter Mehrheit

Regionalwahlen: Gelingt der extremen Rechten in Europa heute ein folgenreicher, historischer Durchbruch?

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Gelingt der extremen Rechten in Europa ein historischer Durchbruch, der aller Wahrscheinlichkeit nach folgenreich wäre? Diese Frage entscheidet sich am heutigen Sonntag in mehreren Regionen Frankreichs.

Der französische Front National (FN), eine modernisierte und zeitgemäß auftretende neofaschistische Partei - ihr Symbol ist bis heute eine züngelnde Flamme, die 1946 als Wahrzeichen des italienischen Neofaschismus entstand und ursprünglich die Auffahrt der Seele Benito Mussolinis in den Himmel verkörpern sollte - vor der zweiten Runde der Regionalparlamentswahlen gewisse Siegeschancen auf.

Die Wahl findet in ganz Frankreich statt, also in allen dreizehn seit der 2013 beschlossenen Gebietsreform übrig bleibenden Regionen. Aber die Aufmerksamkeit ist vor allem auf den Nordosten und den Südosten Frankreichs gerichtet, also auf die neue Großregion Nord-Pas de Calais-Picardie (NPDCP, entstanden aus dem Zusammenschluss zweier bisheriger Regionen) und die in ihrer bisherigen Form weiterbestehende Region PACA (Provence - Alpes - Côte d'Azur).

Dort hatte die 47-jährige Parteichefin Marine Le Pen als Spitzenkandidatin in der Region NPDCP im ersten Wahlgang 40,64 Prozent erzielt, ihre 26-jährige Nichte Marion Maréchal-Le Pen erreichte in PACA ihrerseits 40,55 Prozent (Front National siegt in der ersten Runde der Regionalwahlen). Die in Paris regierende Sozialdemokratie zog daraufhin ihre beiden Listen in diesen Regionen zurück und ließ so nur noch jeweils die Konservativen und die rechtsextreme Liste im Rennen.

Marine Le Pen am Abend des ersten Wahlgangs. Screenshot aus einem FN-Video

Auf diese Weise versuchte die Sozialdemokratie, die Siegeschancen des FN zu mindern, denn in einer Runde mit drei Listen ist nur eine relative Mehrheit für den Wahlsieg (d.h. für die Eroberung von über fünfzig Prozent der Sitze im Regionalparlament) erforderlich. Treten jedoch nur zwei Listen an, so ist eine absolute Mehrheit erforderlich. Eine Barriere, die aus Sicht der rechtsextremen Partei wesentlich höher ausfällt.

Erste absolute Mehrheit für eine rechtsextreme Partei in Europa?

Gelingt es dem FN tatsächlich, diese Hürde zu nehmen - zunächst sah es vor allem in der knapp sechs Millionen Einwohner zählenden Region NPDCP danach aus, doch in der zweiten Wochenhälfte sagten Umfragen der extremen Rechten dann doch noch eine Niederlage voraus -, würde es sich um die erste absolute Mehrheit für eine rechtsextreme Partei in Europa auf dieser Ebene handeln.

Bislang gab es zwar bereits Regierungsbeteiligungen der extremen Rechten auf regionaler Ebene, etwa für die italienische Lega Nord in Lombardien und Venetien oder für die österreichische FPÖ (früher in Kärnten, derzeit im Burgenland im Bündnis mit der sozialdemokratischen SPÖ). Doch dabei waren diese Parteien stets auf Allianzen angewiesen und erreichten, als Bestandteile einer Koalition, immer nur relative Mehrheiten.

Gelingt dem FN ein solcher Durchbruch, dann darf die Bevölkerung in der Region PACA etwa mit der Einrichtung eines regionalen Identitätsministeriums beginnen.

In ihrem Wahlprogramm für Nordostfrankreich, das sie am 23. November in Amiens vorstellte, verspricht Marine Le Pen wiederum unter anderem, keine schweinefleischlosen Auswahlmahlzeiten mehr in Schulkantinen der Region anzubieten. Dies richtet sich natürlich in allererster Linie gegen schulpflichtige Kinder aus moslemischenFamilien. Alle Subventionen der Region für Vereine oder Initiativen, die "Ausländer unterstützen", sollen ersatzlos eingespart werden. Ansonsten will der FN überall die durch die Regionen erhobenen Steuern absenken, was quasi als Allheilmittel für soziale und wirtschaftliche Probleme dargestellt wird.

"Die Freiheit hat gegen die Feudalhöfe gewonnen"

Die Regionen sind im französischen Staatsaufbau vor allem für Berufsbildung, für Schulbauten, für öffentliche Verkehrsmittel sowie für Kulturförderung zuständig. Entsprechend stark sind die Befürchtungen, dass im Falle eines FN-Wahlsiegs radikale Kürzungen drohen. Ebenso fürchten Sozialeinrichtungen radikale Einschnitte, die eventuell mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze bedrohen könnten.

Marine Le Pen gibt sich, trotz zuletzt aus ihrer Sicht negativer Umfragen, optimistisch.

Das Volk hat gewonnen. Die Freiheit hat gegen die Feudalhöfe gewonnen, die Gleichheit gegen die Privilegien,die Brüderlichkeit gegen die Seilschaften

(Gemeint sind die angeblichen Vorrechte der Politikerkaste). So tönte die geübte Demagogin Marine Le Pen am Donnerstagabend dieser Woche im großbürgerlichen Veranstaltungssaal an der Avenue Wagram, in unmittelbarer Nähe zum Triumphbogen. Gut 2.000 Anhängerinnen und Anhänger waren zu der Veranstaltung mit allen dreizehn regionalen Spitzenkandidaten des FN gekommen, der Verfasser dieser Zeilen konnte mit Mühe und Not noch einen Platz finden.

Mit ihren Worten kommentierte die rechtsextreme Politikerin das Abschneiden ihrer Partei in der ersten Runde der französischen Regionalparlamentswahlen am vorigen Sonntag. Und prophezeite für die nächste Runde an diesem Sonntag und für später auf der nationalen Ebene, "einen tiefgreifenden Machtwechsel, aber einen friedlichen Machtwechsel, weil er sich auf das Volk stützen wird" und "in tausendjährigen Traditionen dieses Landes verankert ist".