Ein neuer Krieg mit alten Mitteln?

Auf den asymmetrischen Krieg der modernen dschihadistische Organisationen hat der Westen bisher wenig praktikable Antworten gefunden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Knapp zwei Wochen nach dem Schock der Pariser Anschläge stand fest: Deutschland wird Frankreich die Solidarität auch militärisch nicht vorenthalten und sich mit 1.200 Soldaten, Aufklärungs-Tornados und Schiffen am Einsatz in Syrien beteiligen. Der kürzlich beschlossene Einsatz der Bundeswehr in Syrien ist der größte Militäreinsatz Deutschlands seit der Beteiligung am Afghanistan-Krieg vor 14 Jahren.

Die Situation in Afghanistan 2001 und die Situation in Syrien heute sind grundlegend verschieden, und dennoch lohnt ein kurzer Blick auf Afghanistan 14 Jahre nach Beginn der NATO-Mission "Enduring Freedom". Die Bilanz fällt ernüchternd aus: Die Taliban sind als militärische und politische Kraft nicht aus dem Land verschwunden, sondern üben in berechenbarer Regelmäßigkeit tödliche Anschläge aus, darunter immer wieder auf Vertreter der Regierung oder die internationale Schutztruppe. Die vom Westen gestützte Regierung ist überaus unpopulär und tief in Korruption und Vetternwirtschaft verstrickt. Die Perspektivlosigkeit der jungen Generation hat dazu beigetragen, dass Afghanistan im Jahr 2015 die drittgrößte Gruppe an Flüchtlingen in Europa stellte.

Die ausländischen Dschihadisten von Al-Qaida, welche das Regime der Taliban damals beherbergte, sind als Organisation zwar geschwächt - doch ihre Ideologie des militanten Dschihadismus hat in den 14 Jahren seit Beginn von "Enduring Freedom" in vielen Teilen der muslimischen Welt Ableger gefunden. Etliche dschihadistische Neugründungen haben sie in fast alle Teile der muslimischen Welt getragen, von Nigeria über Nordafrika bis Bangladesh und Indonesien. Ein Blick auf die weltweiten Opferzahlen durch islamistische Terroranschläge lässt zudem noch einen weiteren, verstörenden Schluss zu: 14 Jahre Krieg gegen den Terror haben nicht dazu beigetragen den islamistisch motivierten Terror zu schwächen - im Gegenteil: Er hat seitdem eine beispiellose Hochphase erlebt.

Hat der Westen seine Strategie gegen den internationalen Terror in den letzten 14 Jahren überarbeitet?

Die Vehemenz, mit der Francois Hollande und etliche Minister seiner Regierung in den Tagen nach den Pariser Anschlägen zum Krieg gegen ISIS aufriefen, erinnerte auch in diesen Tagen manchen an die aufgeheizte und rachsüchtige Stimmung in den USA nach dem 11. September. Diese Stimmungslage hat seinerzeit dazu beigetragen die USA und andere westliche Länder in die Interventionen in Afghanistan und dem Irak zu treiben - jedoch nicht dem Ziel näher gebracht, den internationalen Terrorismus zu besiegen oder die eroberten Länder auch nur im Ansatz zu befrieden.

Eigentlich müsste dies Grund genug sein, die westliche Strategie zur Eindämmung des dschihadistischen Terrorismus einer grundlegenden Revision zu unterziehen. Skeptische Stimmen zum Syrien-Einsatz kommen in diesen Tagen aus den Reihen der Bundeswehr selbst. André Wüstner, der Pressespreches des Bundeswehrverbands bemängelt, dass der Einsatz bisher keine klare Strategie hat:

Es braucht ein Ordnungsziel und eine klare Strategie. Da erwarten wir noch Antworten.

André Wüstner ist nicht der einzige, der den Einsatz in seiner aktuellen Form als wenig Erfolg versprechend einschätzt. Die Ansicht, dass Luftschläge alleine nicht in der Lage sind die Terrormiliz zu bezwingen, ist weitestgehend Konsens unter militärischen Planern.

Bei Luftschlägen getötete Zivilisten sind ein Segen für die IS-Propaganda

Ebenso verbreitet ist die Befürchtung, dass eine Strategie, die in erster Linie auf Luftschläge setzt, letztlich sogar kontraproduktiv sein könnte. In den Städten Raqqa und Mosul, die nun ins Visier der Luftangriffe geraten sind, befinden sich nicht nur die wichtigsten Kommandozentren der Terrormiliz, es leben dort auch nach wie vor mehrere hundertausend Einwohner.

Lokale Quellen aus Raqqa wie das Blog Raqqa is being slaughtered silently berichten, dass ISIS zurückgebliebene Zivilisten daran hindert die Stadt zu verlassen. Pässe und Ausweise von Bewohnern sollen zerstört worden sein, die Bevölkerung werde praktisch als Geisel gehalten. Die Berichte deuten darauf hin, dass ISIS versucht, die zurückgebliebenen Zivilisten als Schutzschilder gegen Bombenangriffe zu nutzen.

Diese Taktik ist für die Terrormiliz gleich in zweierlei Hinsicht vielversprechend: Militärisch dient die Zivilbevölkerung als physischer Schutz gegen Luftangriffe. Wo sich Zivilisten aufhalten, können die Luftschläge der internationalen Koalition nicht mit der gleichen Vehemenz zuschlagen.

Darüber hinaus kommen durch westliche Luftangriffe getötete muslimische Zivilisten der "Öffentlichkeitsarbeit" der Terrormiliz durchaus zugute. Auch wenn die Zivilisten in Raqqa oder Mosul kaum wissen, wovor sie sich mehr fürchten sollen - vor Zwangsrekrutierung und Schikanen des IS oder Luftangriffen der internationalen Koalition - die toten Zivilisten machen es für ISIS leichter sich in der sunnitischen Welt als Beschützer der Sunniten darzustellen.

Durch Luftschläge unbesiegt zu bleiben, steigert die Anziehungskraft der Terrormiliz

So verhasst ISIS in weiten Teilen der sunnitischen Welt ist, auf eine beträchtliche Anzahl von Sunniten übt ISIS auch eine gewisse Faszination aus. Die Tatsache, dass die Terrormiliz es geschafft hat, weite Teile der westlichen Gesellschaften derart zu verunsichern, lässt sie als ernstzunehmende politische Größe erscheinen.

Eine internationale Koalition der westlichen Mächte und Russlands, welche nicht in der Lage ist, die Terrormiliz per Luftkrieg zu besiegen - wie es die meisten militärischen Planer und Experten vermuten -, wäre ein Bärendienst im Kampf gegen den militanten Islamismus. Auch nach Luftschlägen der mächtigsten Militärmächte der Welt unbezwungen zu bleiben, würde die Anziehungskraft auf jene junge Muslime, die mit der Terrormiliz sympathisieren, noch erhöhen.

Aus diesem gestärkten Image neue Rekruten und Sympathisanten zu gewinnen, dürfte den Terroristen nicht schwer fallen: ein fraglicher Dienst also für das erklärte Ziel des Einsatzes, Europa vor der Gefahr durch militante Dschihadisten zu sichern.

Etliche europäische Politiker beschworen nach den Pariser Anschlägen den langen Atem, der im Kampf gegen den militanten Dschihadismus jetzt gebraucht werde. Doch mindestens ebenso braucht es kühle Köpfe, die sich nicht zu unbedachten Reaktionen hinreißen lassen , und die Entwicklung einer langfristig angelegten und vielschichtigen Strategie zur Eindämmung des internationalen Terrors. Eine Analyse der bisherigen Herangehensweise des Westens ist ernüchternd: Auf den asymmetrischen und psychologischen Krieg, den moderne dschihadistische Organisationen wie ISIS führen, hat der Westen bisher wenig praktikable Antworten gefunden.

Mangel an Ressourcen und Mitteln bei den europäischen Geheimdiensten

An den naheliegenden Feldern wird seit den Pariser Anschlägen rege gearbeitet. Die Mittel für die europäischen Geheimdienste sollen erhöht, die Kooperation der Geheimdienste auf europäischer Ebene ausgebaut werden. Die Rekonstruktion der Pariser Anschläge hat schnell zu der Erkenntnis geführt, dass auch ein chronischer Mangel an Ressourcen beim belgischen Geheimdienst dazu führte, dass die Polizei die Pläne der Attentäter vom 13. November nicht rechtzeitig durchkreuzen konnte.

Mindestens einer der Attentäter war dem belgischen Geheimdienst zwar bekannt, dennoch gelang es ihm mehrere Male ungehindert nach Syrien auszureisen. Im Nachhinein erscheint es geradezu verwunderlich, dass auf den offensichtlichen Feldern der Terrorbekämpfung, der Polizei- und Geheimdienstarbeit, die Mittel so spärlich waren, dass selbst jene Personen, die als "Gefährder" bekannt waren, nicht ausreichend überwacht werden konnten.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass 6 der 8 Pariser Attentäter französische Staatsbürger waren, ebenso wie zuvor die Attentäter auf Charlie Hebdo, die jüdische Schule in Toulouse oder das jüdische Museum in Brüssel. Etliche von ihnen hatten eine kleinkriminelleVergangenheit, bei manchen hat sich ein Teil des Radikalisierungsprozesses im Gefängnis oder über Schlüsselfiguren der salafistischen Szene angespielt.

Nicht alle der bisherigen Attentäter in Europa haben zuvor auf dem Schlachtfeld mit einer dschihadistischen Organisation gekämpft. Für etliche war die Verbindung vielmehr ideologisch als operativ. Das bedeutet auch, dass sich in den meisten Fällen ein bedeutender Teil des Radikalisierungsprozesses über das Internet abspielte.