Star Wars: Das Verstummen der Macht der Filmkritik

Bild: © Lucasfilm

Episode VII und die Selbstzensur

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Achtung: In diesem Text befinden sich nur im letzten Absatz Spoiler!

An diesem Donnerstag startet der lang erwartete siebte Teil der Star-Wars-Saga in den Kinos. Im Vorfeld gab es Diskussionen darüber, ob es der Serie schade, dass sie nun von Disney produziert wird; ob es ein Problem ist, dass der Regisseur des Films derselbe ist, der mittlerweile auch die Star-Trek-Filme dreht; ob der 3D-Film ästhetisch zu stark von den Vorgängern abweichen könnte; wer von der alten Crew wieder mitspielen wird und so weiter.

Am Ende kochten die Diskurse zu "Star Wars" so hoch, dass sich Fans gestern aus dem Internet "ausklinkten", um sich den Filmspaß nicht zu verderben - beziehungsweise von anderen verderben zu lassen. Dahinter könnten man eine perfiden Marketing-Feldzug des Studios vermuten … wenn es denn nicht Hollywood wäre, wo sowieso niemals das entsteht, was unerwartet wäre.

Vor der Vorführung, die im Berliner IMAX um 7:15 Uhr morgens begann, kam ein humoriger Mitarbeiter eines Berliner Radiosenders in den Saal, stellte sich vor die Leinwand und begrüßte die Fans. Dann machte er einen Witz: "Mir wurden 1.000 Euro und die Kostenübernahme des Krankenhausaufenthalts angeboten, wenn ich euch jetzt hier Star Wars verrate."

Dieser Witz kann nur dann zünden, wenn seine Drohung einen sensiblen Punkt berührt. Dazu wäre allerdings erst einmal zu klären, was es heißt "Star Wars zu verraten". Für die meisten ist das klar: Maßgebliche Elemente des Films sollen geheim bleiben; man will sich von ihnen nämlich während der Vorführung überraschen lassen.

Der Spaß am Film steht und fällt mit der Kenntnis dieser Elemente. Jeder Informationskanal, von denen es heute nicht wenige gibt, könnte also zu viele Informationen über "Star Wars Episode VII" transportieren.

Worüber man nicht reden darf ...

Welche Informationen sind dies? Ist es das Production Design? Die Kamera-Arbeit? Sind es die digitalen und analogen Spezial-Effekte? Die Schauspielkunst der Darsteller? Ist es vielleicht der Soundtrack oder ist es die Montage der Sequenzen? Nein, das alles, so sehr es auch "Film" in seinem Kern ausmacht und ihn von anderen Kunstformen unterscheidet, ist es nicht, was als Geheimnis bewahrt werden muss.

Und so wird es auch kaum jemanden stören, wenn irgendwo ein Filmkritiker zu Star Wars Episode VII schreibt, dass sein Soundtrack auf gelungene Weise Motive der alten Lucas-Scores mit neuen Elementen verbindet und damit streckenweise die nötige Kohärenz zwischen den "alten Filmen" und der neuen Fortsetzung herstellt.

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Es würde wohl auch niemandem übel genommen, wenn er darauf hinwiese, dass die für die Serie markanten Wisch- und Kreisblenden, mit - denen neben den Verfahren unsichtbarer Montage - Szenenwechsel sehr sichtbar inszeniert werden, auch im neuen Film zu finden sind.

Ebenfalls unproblematisch ist es vielleicht noch, zu kritisieren, dass die schauspielerischen Leistungen eher mittelmäßig sind, was besonders in den (nicht wenigen) Momenten auffällt, wo sich zwei von ihnen schweigend (sei's im Kampf, in Verbundenheit oder aus anderen Gründen) gegenüberstehen und ansehen.

Aber genau an dieser Stelle könnte der Verrat bereits beginnen, denn es ist der Plot, der geheim gehalten werden muss. Für die meisten erzählt Film (s)eine Geschichte vornehmlich mit den Worten und Taten der Protagonisten und Antagonisten. Dies sind die Elemente, die die filmische Erzählung hermeneutisch motivieren und vorantreiben. In ihnen manifestieren sich überraschende Wendungen, Spannungsbögen und Figurenentwicklungen.

Für einen Cineasten hingegen ist es traurig, dass Film dort, wo er erzählerisches Unterhaltungskino geworden ist, auf diese beiden Elemente reduziert wird: Auf das Sagen und Handeln der Protagonisten. Beides könnte aus dem Drehbuch herausgelesen werden und Film wäre damit nicht mehr als ein Roman (von dem man bekanntlich auch nicht allzu viel vorab verraten bekommen möchte). Die Misere des Experimentalfilms ist vor allem damit zu erklären, dass er nicht "erzählt" und damit nacherzählbar ist.

Filmkritik und Selbstzensur

Dass all die anderen ästhetischen Elemente eines Films in den Hintergrund geraten, hat sowohl Tradition als auch Kalkül: Über nichts von einem Film lässt sich ohne Fachkenntnisse besser sprechen als über den Plot, weshalb jeder Historiker ein passabler Film(plot)kritiker werden kann, wenn er Plots wie Quellen strukturieren und analysieren gelernt hat.

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Mit dem Plot lässt sich deshalb aber auch bestens werben, wenn es darum geht, Zuschauer zu finden, deren Interesse zu wecken, sie neugierig auf geheimnisvolle Plotelemente zu machen. Die Hefte, die vor Pressevorführungen an die Journalisten verteilt werden, haben es daher zu einer Kunstform gemacht, den Plot so zu erzählen, dass er genug aber eben nicht zu viel verrät.

Sie verknüpfen diese Informationen dann so mit Paratexten zum Film (Interviews mit den Schauspielern und der Crew, Biografien, Filmografien, Ankedoten), dass der Kritiker mit seinem Informationsvorsprung später für seine Leser daraus das Bild eines "runden" Kunstwerks rekonstruieren kann … ohne dabei jedoch zu viel vom Plot verraten zu müssen.

Hier wird der Wille jener Macht umgesetzt, die den Text über das Bild und den Diskurs über das Medium (welches ihn erst hervorbringt) stellt. (Auch) Das ist Zensur. Die Filmkritik hat sich also weitgehend auf diese Reduktion auf den Plot eingestimmt, indem sie Handlungsverläufe nur ganz grob skizziert, wie etwa:

Im sieben Teil von "Star Wars" wird der neu erwachsene Konflikt zwischen den beiden Seiten der Macht vorgeführt. Alte und neue Figuren treten dabei einander gegenüber und der Kampf zwischen Gut und Böse wird personifiziert auf diese Figuren in Zweikämpfen nachvollziehbar übertragen. Große Katastrophen, von der bösen Seiten lanciert, werden vorbereitet, denen die gute Seite kaum etwas anderes entgegenzusetzen hat, als die Entschlossenheit das richtige zu tun und den Mut der Verzweiflung.

Was jeder schon über "Star Wars Episode VII" weiß

Mehr kann nicht geschrieben werden - mehr muss auch gar nicht geschrieben werden, denn die Plot-Konstruktionsprizipien des Hollywood-Kinos sind so fest gefügt, dass schon jeder weiß, wie "Star Wars Episode VII" ausgeht - im Prinzip.

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Die Tücke liegt allenfalls in den Details, die sich zum Großen-Ganzen des erwartbaren Hollywood-Films zusammenaddieren. An ihnen ist es dem Zuschauer gelegen und auch dem Marketing, denn damit kann es die Zuschauer anlocken - durch geschickt lancierte Halbinformationen, wie "Spielt Mark Hamill nun mit oder nicht?". Die Filmkritik nimmt dann diese Versatzstücke und webt daraus Texte, die "den Film" in Diskurse über Filmografien (gern von Regisseuren), die Filmgeschichte, die Genre-Geschichte oder - das findet hier bei Telepolis häufig statt - in eine Form von Medien- und Kulturkritik einschreiben.

Heraus kommt jeweils eine hoch-idiosynkratische Stellungnahme eines Einzelnen, die nicht selten in ein Geschmacksurteil mündet, das als Kulminationspunkt gern wie ein "Fazit" aus dem voran gegangenen strukturalen Diskursgeschwurbel hervorgeht.

Solche Kritiken zu "Star Wars" kann man derzeit überall lesen und es lohnt sich deshalb nicht, an dieser Stelle noch einmal denselben Weg zu beschreiten. Aus meinen vorangegangenen Texten über Filme in diesem Portal dürfte ohnehin klar sein, dass meine Meinungen nicht immer mehrheitsfähig waren und sind und dass ich oft "zu viel verrate" und eigentlich immer Dinge in die Filme "hineininterpretiere, die da gar nicht drin sind".

Deshalb habe ich mich entschlossen bei meiner Kritik zu Star Wars VII nicht den Film, sondern die hier geschilderte Rezeptionshaltung ins Zentrum zu rücken.

Plottwists

Nun lassen sich natürlich trefflich Haltungen, wie die, "nicht zu viel wissen zu wollen", kritisieren, wenn man damit nicht mehr vorhat als Zuschauer- und maximal Marketing-Schelte zu betreiben. Doch es gibt noch einen anderen Grund, die Plotfixiertheit und mithin die Geheimniskrämerei zu Filmen zu überwinden: Die Wiederentdeckung des Films als audiovisuelles Kunstwerk.

Star Wars: Das Verstummen der Macht der Filmkritik (34 Bilder)

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Ein Beispiel: Viele der Leser kennen die Filme M. Night Shyamalans. In seinen frühen Werken "Unbreakable", "Signs" oder "The Village" findet sich oft dieselbe Erzählstruktur: Der Plot läuft auf einen Plottwist zu, ab welchem auf einmal klar wird, dass der Zuschauer bis dahin Opfer von "unzuverlässigem Erzählen" geworden ist. Denn plötzlich erweist sich alle hermeneutisch mühsam erkaufte Gewissheit über den Erzählgegenstand als falsch.

Ist solches Erzählen geschickt inszeniert, dann wirken die twists weniger wie eine "Deus ex machina", mit der bloß eine schlecht konstruierte Erzählung trickreich aufgepeppt wird (etwas, das man zum Beispiel Hitchcocks "Stage Fright" vorwerfen könnte, dessen Krimiplot nur funktioniert, weil der Regisseur zu Beginn eine "lügende Rückblende" benutzt).

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Ist es aber gut gemacht, dann ist man als Zuschauer und Hermeneutiker darüber überrascht, wie geschickt, es dem Plot bis dahin gelungen war, einen hinters Licht zu führen ... Oder hat der Plot das vielleicht doch nicht ganz allein geschafft? Hat er dazu vielleicht Hilfe von den anderen filmischen Mittel bekommen? Bei M. Night Shyamalan lässt sich dies leicht nachvollziehen. Versuchen Sie es einmal.

Filmkritische Rückwärtsinduktion

Ich bin dazu übergegangen mir von Filmen, die mit Plot-Geheimnissen - insbesondere mit Plottwists und Pointen - operieren, vor dem ersten Ansehen all diese Geheimnisse verraten zu lassen. Warum? Weil ich mich nur dann voll darauf konzentrieren kann, was der sowohl durch den Plot als auch durch seine anderen audiovisuellen Ästhetiken leistet, um diese Geheimnisse zu wahren.

Denn nicht nur bei Pressevorführungen, auch bei anderen Filmsichtungen hat man selten die Zeit oder Gelegenheit einen Film ein zweites Mal zu sehen, um sich auf diese Details konzentrieren zu können ohne durch den Plot abgelenkt zu werden. Ich vergesse nie die Zuschauergespräche nach dem Film "Saw", die dem Film mangelnden "Realismus"(!) unterstellten, weil "ja wohl kein lebendiger Mensch stundenlang still liegen kann, so dass er für eine Leiche gehalten wird."

Ich empfehle denjenigen, die "Saw" erst einmal gesehen haben, ihn noch mal zu schauen und dabei besonders auf den Körper auf dem Boden zu achten. Der bewegt sich ebenso oft und oft auch ebenso sichtbar wie die anderen Figuren. Man muss nur hinschauen (ein Rat, der sowohl den Zuschauern als auch den Figuren geholfen hätte)!

Was hat nun aber "Star Wars Episode VII" zu bieten?

Was hat nun aber "Star Wars Episode VII" zu bieten, wenn man vorher weiß, worum es im Detail geht? (Ich danke an dieser Stelle meinem Kollegen J. Buttgereit dafür, dass er gestern "Geheimnisverrat" für mich begangen hat.) "Star Wars Episode VII" ist eine wohl kalkulierte Erzählung, die nie so stark "ausreißt", dass sie so genannte Sehgewohnheiten verletzt, den Jugendschutz auf den Plan ruft oder gar als ironisch verstanden werden kann.

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Die Bild- und Ton-Ästhetiken des Films sind auf höchstem Niveau, was seit der "Herr der Ringe"-Trilogie bedeutet: unspektakulär-spektakulär. Die Figurenkonstruktionen folgen klaren Märchen-Schemata sowohl in ihrer generellen moralischen Einstellung (gut/böse) als auch in ihren einzelnen Handlungen und Aussagen (Schönheit, Hässlichkeit, Held, Bösewicht, Nebenfigur, gesichtsloses Opfer, ...) Dort, wo Handlungselemente zweideutig erscheinen, kann man sich sicher sein, werden sie später vereindeutigt - sind sie also allein ein Instrument, um eine gewisse Vagheit in den Plot einzuführen.

Und nun der Spoiler:

Ich weiß nicht genau, ob der Film, der den modernsten Seh- und Hörgewohnheiten des 3D-verwöhnten Publikums (übrigens inklusive seiner Jugendsprachlichkeit!) genügen will, einem ausreichend Zeit lässt, diese Beobachtungen bei der ersten Sichtung anzustellen, während um einen herum alles explodiert, Raumschiffe hin und her fliegen und merkwürdige Aliens durchs Bild laufen.

Man geht jedoch ruhiger an den Film "Star Wars Epsiode VII" heran, wenn man weiß, worauf manches hinausläuft. Deshalb verrate ich denjenigen, die sich einmal auf dieses Experiment einlassen möchten, im Folgenden die beiden "wichtigsten" Plot-Geheimnisse. Damit aber niemand versehentlich zum Wissen gezwungen wird (denn Unwissenheit ist auch ein Recht!), kodiere ich meinen Geheimnisverrat hexadezimal. Er kann mit online verfügbaren Tools leicht übersetzt werden:

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