"Zinswende" bei der Fed

Janet Yellens Märchenstunde

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Wochenlang hat die Welt darauf gewartet, dass die US-Notenbank Federal Reserve ihr jahrelang verschlepptes Versprechen einlöst, die Leitzinsen zu erhöhen. Am Mittwoch um 14:00 Uhr Ortszeit New York, war es endlich so weit: Janet Yellen verkündete nach 7 Jahren Nahe-Null-Zinsen eine Erhöhung des Zinssatzes um 0,25 Prozent.

Die Wirtschaftsprofessorin begründete den Schritt damit, die Notenbank reagiere auf "beträchtliche wirtschaftliche Fortschritte". Der Arbeitsmarkt erhole sich zusehends und auch die Lohnentwicklung zeige deutliche Verbesserungen. Die vom Ausland ausgehenden Risiken seien seit dem Sommer gesunken und beim Rückgang des Ölpreises handle es sich um ein "vorübergehendes" Phänomen.

Selten dreiste Lügen

Selten ist die gesamte Welt in derart dreister Weise angelogen worden. Nicht einer der angegebenen Gründe hat auch nur das Entfernteste mit der Wirklichkeit zu tun. Weder hat die US-Wirtschaft an Fahrt aufgenommen, noch steigen die Löhne, noch hat sich die Situation am Arbeitsmarkt verbessert. Der freie Fall des Ölpreises deutet zusammen mit den weltweit sinkenden Rohstoffpreisen auf einen dramatischen Nachfragerückgang und ist ein Alarmzeichen erster Güte. Trotzdem haben fast alle Mainstream-Medien die positive Reaktion der Aktienmärkte auf Yellens Entscheidung sofort als Bestätigung für die Richtigkeit ihrer Aussagen gefeiert.

In Wahrheit ist gerade diese positive Reaktion ein Beweis des Gegenteils: Yellens Entscheidung, den Leitzins ausgerechnet jetzt zu erhöhen, lässt sich nämlich mit der Entscheidung eines Busfahrers vergleichen, der einen Steilhang hinauffährt und nun auch noch die Handbremse anzieht. Die Entscheidung kann niemandem, der von ihr betroffen und auch nur halbwegs bei Verstand ist, euphorisch machen, im Gegenteil: In einem gesunden Umfeld hätten die Aktienmärkte umgehend negativ reagieren müssen. Dass sie es nicht taten und sich sogar besonders stark in die entgegengesetzte Richtung bewegten, beruht einzig und allein auf der Manipulation durch die größten Marktteilnehmer, also in erster Linie die Zentralbanken und in zweiter Linie die großen Finanzinstitutionen und die multinationalen Konzerne.

Um die Hintergründe und die tatsächlichen Vorgänge um die vermeintliche "Zinswende" zu verstehen, ist es notwendig, sich die Entwicklung des globalen Finanzsystems über die vergangenen zwanzig Jahre ins Gedächtnis zu rufen:

Nach der Deregulierung des Finanzsystems in den Achtziger und Neunziger Jahren drohte der Zusammenbruch des Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM) das weltweite Finanzsystem 1998 in die Tiefe zu reißen. Um eine Katastrophe zu verhindern, sprang damals eine Gruppe von Wall-Street-Banken ein und rettete LTCM.

2007/2008 drohte erneut ein Zusammenbruch des Finanzsystems, diesmal aber in einer anderen Dimension: Wegen der Subprime-Hypothekenkrise in den USA standen zahlreiche Großbanken in aller Welt am Abgrund und wären zusammengebrochen, wenn die Staaten sie nicht unter dem Vorwand, sie seien "too big to fail", gerettet hätten.

"Too big to fail" war der Game-Changer

Nach der darauffolgenden größten Vermögensumverteilung in der Geschichte der Menschheit (private Finanzinstitutionen wurden in Billionenhöhe mit Steuergeldern gerettet) aber kam die Weltwirtschaft nicht wieder in Gang. Unter dem Vorwand, sie wieder ankurbeln zu wollen, griffen die Zentralbanken weltweit zu zwei Maßnahmen: Sie druckten Geld und senkten die Zinssätze.

Wie sich inzwischen gezeigt hat, haben beide Maßnahmen nicht zu einer Wiederbelebung der Weltwirtschaft geführt, dafür aber die Vermögen einer winzigen Finanzelite exponentiell anwachsen lassen. Der Grund ist simpel: Die Einstufung "systemrelevanter" Banken als "too big to fail" hat das globale Finanzgeschehen und unsere gesamte Welt für immer verändert: Die Führungsetagen der großen Finanzinstitutionen wissen nun, dass sie unter allen Umständen gerettet werden und erlauben sich deshalb noch viel riskantere Investitionen als vor 2007/2008.

Die Big Player, fest in den Händen der ultrareichen Elite, investieren das Geld zum weitaus überwiegenden Teil nicht in die Realwirtschaft, wo höchstens mäßige Gewinne zu erwarten sind, sondern spekulieren damit an den Finanzmärkten, vornehmlich im Bereich der Aktienmärkte, der Anleihenmärkte und der unregulierten Finanzprodukte (Derivate). Durch die heute übliche "Hebelung" vervielfachen sie dabei ihre Einsätze und erzielen zum Teil fantastische Gewinne.

Allerdings haben sie durch ihr Spiel am internationalen Finanzcasino auch die Risiken um ein Vielfaches erhöht. Außerdem basiert ihr Geschäftsmodell inzwischen auf der ständigen und ununterbrochenen Zufuhr von billigem Geld durch die Zentralbanken, hat sich dadurch weitgehend verselbständigt und durch ihr schieres Ausmaß (der Finanzsektor ist heute um ein Vielfaches größer als die Realwirtschaft) jeglicher Kontrolle entzogen.

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