Französische Bahn will mit Überwachungskameras verdächtiges Verhalten erkennen

Screenshot aus einem SNCF-Video über die Überwachungsmaßnahmen.

Der "Ausnahmecharakter" der Terrorbedrohung soll rechtfertigen, dass die 40.000 Überwachungskameras der SNCF mit einem Programm zur Verhaltenserkennung ausgestattet werden

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Nach den Anschlägen in Paris am 13. 11. rüstet die französische Bahn SNCF mit Sicherheitsmaßnahmen auf. Nachdem bereits die Notfallnummern 3117 und 31177 aktiviert wurden, wurden am Gare du Nord am 17. November Sicherheitssperren eingerichtet, um das Gepäck der Passagiere systematisch zu kontrollieren.

Weitere Maßnahmen würden gerade getestet, teilte die SNCF mit, gerechtfertigt durch den "Ausnahmecharakter" der Terrorbedrohung. Verwiesen wird auf ein Programm, mit dem die Bilder der 40.000 Überwachungskameras in den Bahnhöfen und Zügen auf verdächtiges Verhalten von Passagieren durchsucht werden können. Getestet würde das Programm auf einigen Bahnhöfen. Zudem wird eine Antibombenhaube für verdächtigte Gepäckstücke getestet, mit der die Explosion von Sprengsätzen eingedämmt werden kann.

Screenshot aus einem SNCF-Video über die Überwachungsmaßnahmen.

Das Programm zur Entdeckung "verdächtigen Verhaltens" ist natürlich am interessantesten. Ähnliche Programme gibt es seit einigen Jahren, sie wurden vor allem nach 9/11 entwickelt. Aber man experimentierte mit ihnen auch bereits zuvor (Überwachungskameras zur Verhaltenserkennung). Schwer zu lösen ist das Problem, welche Verhaltensweisen, die anhand von Körperbewegungen auf den Filmen identifiziert werden, tatsächlich auffällig für eine bestimmte Bedrohung oder das Begehen einer Straftat wie einen Einbruch, einen Diebstahl oder einer Gewalttat sind, die intendiert sind, also erst begangen werden könnten., ohne eine Vielzahl von Fehlalarmen auszulösen.

Gemeinhin werden von Programmen die Körperhaltungen und -bewegungen, die Gesichtsmimik, Gesten, Interaktionen mit der Umgebung und anderen Menschen, die Stimme und/oder Veränderungen der Körpertemperatur analysiert, um auf Angst, Wut oder Stress zu schließen. Aber das kann man auch aus ganz anderen Gründen haben oder gerade weil man sich bedroht oder auch von solchen Kameras beobachtet fühlt. Zudem reagiert jeder anders - und die Analyse wird durch schwierige Lichtverhältnisse, schnelle Bewegungen und vor allem Massen an Menschen auf belebten Plätzen wie in Bahnhöfen erschwert.

Schon die Suche nach "verdächtigen" Verhalten kann eigentlich nur von der Norm abweichendes Verhalten detektieren - und damit Fehlalarme en masse. Und natürlich werden mit dem Einsatz solcher Programme, deren Entwicklung auch von der EU gefördert wie im Fall von Indect wird, schwerwiegende Eingriffe in Bürgerrechte getätigt, da damit alle Menschen vor den Kameras zu Verdächtigen werden, deren Verhalten analysiert wird. Eine mittlerweile schon fast gewohnte Umkehrung des Rechtsgrundsatzes der Unschuldsvermutung. Denn im Grund müssen die Menschen, die im öffentlichen Raum die von den Kameras überwachten Orte passieren, sich als Verdächtigte sehen, die dann möglicherweise versuchen, Unverdächtigkeit zu schauspielern, wodurch sie sich jenem Verhalten nähern, dass vielleicht Menschen zeigen, die eine Straftat oder einen Anschlag ausführen wollen.

Für Terroristen, die nicht überleben wollen, sondern einen Selbstmordanschlag planen, dürften auch solche Programme zur Analyse von Bildern von Überwachungskameras keine größere Beeinträchtigung darstellen. Man kann auch unverdächtiges Verhalten üben, zudem dürften die Täter in der Regel schneller sein, als Sicherheitskräfte, die nach einem Alarm des Programms herbeieilen.

SNCF hat schon angekündigt, den Versuch länger auszuführen und die Verhaltensanalyse nicht auf das Begehen von Anschlägen zu beschränken. Man will herauskriegen, ob sich Menschen identifizieren lassen, "die eine negative Absicht haben, einen Angreifer oder Betrüger", aber auch sehen, ob die Passagiere eine solche Technik akzeptieren. Im Frühjahr, so Le Monde, will man eine App lancieren, mit der die Reisenden einen Hinweis auf ihren Smartphones erhalten, wenn verdächtiges Verhalten registriert wird.

Und man will noch weitergehen und die Angestellten wie Polizisten mit Bodycams ausstatten, um so Betrügereien und verdächtiges Verhalten über das Programm auszumachen, aber auch, um sie selbst zu überwachen, also ob sie korrekt gehandelt haben. Fehlt nur noch, dass sich auch die Reisenden mit solchen Kameras und Programmen ausstatten, um sich gegenseitig auf Verdächtiges zu überprüfen. Das wird dann nicht mehr lustig. Auch nicht, wenn ein Gesetz in Kraft tritt, das den Bahnangestellten erlaubt, das Gepäck der Reisenden zu durchsuchen und den Körper abzuklopfen.