Frankreich: Ausnahmezustand mit "gefährlichen Elementen"

Nach Demonstrationsverboten, hunderten kaputten Türen, erfolglosen Hausdurchsuchungen und beabsichtigten Gesetzesverschärfungen erwacht die kritische Öffentlichkeit langsam zum Leben

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Sie kommen immer frühmorgens, gegen sechs Uhr und sie klopfen nicht an, sondern rammen die Wohnungstür ein, es ist ein Team von Polizisten, manche in furchteinflößend kriegerischer Uniform mit Waffen, manchmal sind Spürhunde dabei, immer ein Justizpolizist, der das für die Hausdurchsuchung nötige Dokument hat und es später unterschreibt.

Wenn nichts Verdächtiges gefunden wird, muss er bei der "behördlichen Hausdurchsuchung" kein detailliertes Protokoll anlegen; es genügt der Hinweis, dass "kein verdächtiges Element gefunden" wurde. Für die Polizei, die auf Anweisung eines Präfekten handelt, dessen Order durch das Innenministerium gedeckt ist, ist damit der Fall erledigt.

Den Bewohner bleibt eine harte Erfahrung mit der Staatsmacht im Gedächtnis, nicht selten wurden sie während der Durchsuchung in Handschellen gelegt, wurde alles, auch das Intimste, von den Polizisten durchsucht. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist nicht grundlos ein Verfassungsrecht.

2.700 "behördliche Hausdurchsuchungen"

Seit Ausrufung des Notstands gegen Mitternacht vom 13. auf den 14. November bis zum 15. Dezember wurden in Frankreich 2.700 solcher "behördlicher Hausdurchsuchungen" durchgeführt, daraus folgten 360 Hausarreste. Anhand der Zahlen zeigt sich schon, dass es viele Fälle gab, bei denen die Hausdurchsuchung nichts Verdächtiges ergab. Sie sind die große Mehrheit.

Die Zeitung Le Monde stellt seit Verhängung des Ausnahmezustands einzelne Fälle in loser Folge vor, die das Vorgehen konkret demonstrieren und zeigen, wie dies von zu Unrecht Verdächtigten aufgenommen wird.

Die einzelnen Berichte veranschaulichen, was es bedeutet, wenn eine Hausdurchsuchung nicht auf Anweisung eines Gerichtes oder einer Staatsanwaltschaft durchgeführt wird - also nicht "gerichtlich" erfolgt, sondern "behördlich".

Inflation von Gesetzesverschärfungen

Es ist Ausnahmezustand in Frankreich, langsam legt sich der Schock, unter dem er ausgerufen und auch voll unterstützt wurde. Die beiden Kammern hatten ohne nennbaren Widerstand der Verlängerung auf sechs Monate zugestimmt. Auch die Medien blieben ruhig.

Langsam ändert sich etwas. Das hat auch damit zu tun, dass die französische Regierung die Befugnisse des Ausnahmezustands vor dem Weltklima-Gipfel dazu nutzte, um eine Demonstration zu untersagen und militanten Kritikern Hausdarrest auferlegte oder mit brachialen Mitteln einschüchterte. Der Missbrauch sorgte international für Aufsehen (Paris: Vom Nutzen des Notstandrechts).

Dass die Kritik in Frankreich am Ausnahmezustand allmählich hochfährt, liegt aber vor allem daran, dass Staatspräsident Hollande und seine Regierung ein Projekt gestartet haben, das den Ausnahmezustand neu in der Verfassung verankern will, in Begleitung gleich mehrerer gewöhnlicher Gesetze, die Polizeibefugnisse verstärken. Manche sprechen von einer Inflation von Gesetzesverschärfungen zugunsten der Exekutive.

Die Dauer des Ausnahmezustands

Ein heikler Punkt des neuen Verfassungsartikels zum Ausnahmezustand ist deren Dauer. Nach einem Entwurf der Regierung soll sie nicht in der Verfassung festgeschrieben werden. Dies hat international zu einem Aufhorchen geführt (Frankreich: Ausnahmezustand, toujours?), die französische Regierung entgegnete, dass alles beim Alten bleibe, wenn es um die Dauer ginge, weil das bisherige Prozedere übernommen werde, wonach die zwei Kammern des Parlament letztlich mit ihrer Abstimmung über die Dauer entscheiden.

Verfassungsrat. Foto: César/CC BY 3.0

Der Verfassungsrat, dem der Vorschlag zum neuen Verfassungsartikel zur Prüfung vorgelegt wurde, zeigte sich hier auf Seiten der Kritiker.

Zwar begrüßten die sogenannten Verfassungsweisen die Absicht, den Ausnahmezustand in einem Verfassungsartikel einen grundsätzlichen Rahmen zu geben, damit die Regierung rechtsstaatliche Sicherheit habe, aber sie monierten, dass die Dauer des Ausnahmezustands nicht in einem gewöhnlichen Gesetz geregelt werden soll, sondern der Rahmen bereits im Verfassungsartikel festgelegt werden soll.

Keine Verlängerung durch eine Übergangsphase

Ähnlichen Bedenken folgend kritisierte der Verfassungsrat auch die Konzeption einer Übergangsphase durch die Regierung. Gesetzesentwürfe sahen vor, dass bestimmte Polizeibefugnisse auch nach Ablauf des Ausnahmezustands noch einige Monate erweitert bleiben sollen und Maßnahmen, die während des Ausnahmezustands ausgesprochen wurden, ebenfalls.

Inzwischen wacht die Opposition zu solchen erweiterten Möglichkeiten des Staates auf, Verfassungsrechtler, Menschenrechtler und Kommentatoren melden sich warnend zu Wort. Im Gesetzespaket gebe es gefährlich Elemente, heißt es jetzt vonseiten bekannter Verfassungsrechtler.

Es wird herausgestellt, dass Frankreich mit der anvisierten Ausnahmeregelung in der Verfassung in Europa keine Parallele hätte, aber in Ägypten.

Auch der Stimmengewinn des Front National brachte manche darüber zum Nachdenken, ob die neuen Gesetze einer autoritär angelegten Staatsregierung nicht zu viel Missbrauchsmöglichkeiten in die Hand geben.