"Kannst du es dir überhaupt leisten, alt zu werden?"

Die Ideologie der kapitalistischen Religion als Plakatbotschaft einer Genossenschaftsbank

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Vor zweitausend Jahren verbreitete der Sohn eines Handwerkers aus Nazareth die Kunde von einem Reich des rein geschenkten Lebens, das schon mitten unter uns wirksam ist. Jeder könne es betreten, der so frei sei, dem Götzen Geld "Leck mich am Äs'!" zu sagen. (Dergleichen hörten die römischen Besatzer nicht gerne. Ihr System basierte auf der Trias "Münze - Macht - Militär".)

Alle großen Weisheitstraditionen auf unserem Globus kommen darin überein, dass ein lohnenswertes, möglicherweise sogar glückliches Leben mit dem Scheckbuch nicht erworben werden kann: "Wahres Leben gibt es nur umsonst!"

Das zentrale Dogma im Reich der Angst und insbesondere im religiösen Endstadium des Kapitalismus lautet hingegen: "Du musst dein Leben kaufen!" Dieses Dogma ist so mächtig, dass selbst unter einem Papst der Armen im Vatikan die Geldgötzen-Anbeter, bisweilen in wallende Gewänder gekleidet, unverdrossen ihrem häretischen Kult nachgehen. Jüngst haben Ermittler des Vatikans jede Menge Scheine beim Verwaltungschef der allerheiligsten Glaubenskongregation aufgefunden.

Das Scheckbuch der Macht war u.a. in eine ausgediente Würstchendose eingerollt. Der oberste Glaubenswächter Kardinal Gerhard Ludwig Müller (ehemals Regensburg), der selbst nie durch einen besonderen Hang zu franziskanischer Lebensweise hervorgetreten ist, soll von nichts gewusst haben. Der Mann fühlt sich übrigens berufen, das Pontifikat von Franziskus "theologisch zu strukturieren".

Kapitalismus und Sorge

Da ich Katholik bin, gehen mir solche monetären Kirchendinge mächtig auf den Senkel. Doch lassen wir es hier gut sein damit. Die Sache mit dem rein geschenkten Leben hat ja einen Haken, der an dieser Stelle nicht verschwiegen werden darf. Miete, Strom und diverse andere unvermeidliche Posten wollen bezahlt sein. Man braucht zwar nicht zwingend eine Würstchendose mit Inhalt aus der industriellen "Fleischmassenproduktion", aber irgendetwas zu essen muss schon im Haus sein.

Schön wäre es zudem, wenn bei einem Besuch von Freunden zumindest ein einfacher Landwein auf dem Tisch steht. Auch wer den Geldgötzen mit einem "Götz von Berlichingen" seine Verachtung zeigt, kann z.B. längerfristig in einer Wohnung nur verbleiben, wenn ein paar Rubelchen rollen. Bei meinen Hausgenossen, die Kinder großziehen, müssen es auch einige mehr sein.

Die Zeit des Kapitalismus ist stets die Zeit der Sorge . Als "prekärer" Freiberufler mit kommerziell uninteressanten Betätigungsfeldern muss ich mir oft notgedrungen die Lebensklugheit des Handwerkersohns aus Galiläa zu Gemüte führen, was sehr hilfreich ist: "Sorgt euch nicht um den morgigen Tag; jeder Tag hat genug an seiner eigenen Plage." Die Sorge, die etwas anderes als ein kluges "Sich kümmern" ist, verbaut einem nämlich den Ausblick auf neue Wege und macht alles schöpferische Arbeiten schier unmöglich.

Wenn man nicht zu den Geldanbetern gehört, hat man übrigens mit größerer Wahrscheinlichkeit Freunde, die einem im Fall des Falles ein wenig aus der Patsche helfen und fragen: "Wie viel brauchste?" So etwas nenne ich Reichtum, nicht wegen des Überbrückungsgeldes, sondern wegen der Freundschaft natürlich.

Die Botschaft der Lebensverkäufer

An eine Altersversorgung, von der man leben kann, können viele kleine Freiberufler trotz regelmäßiger Einzahlungen nicht denken. Unsereins verbietet sich schlichtweg, so weit im Voraus irgendwelche Grübeleien anzustellen. Doch an einer Botschaft, die die Volksbank in diesem Herbst in der Düsseldorfer U-Bahn plakatiert hat, konnte ich trotzdem nicht vorbeisehen. Da war, offenbar an junge Leute adressiert, die Frage zu lesen: "Kannst du es dir überhaupt leisten, alt zu werden?" Ich bin ein Typ, der sich über so ein Plakat noch aufregt.

Foto: Peter Bürger

Was will die Volksbank uns hier mitteilen? Dass das Lebensgeschick vieler alter Leute ohne gebündelte Tausenderscheine in einer Würstchendose heute von sehr vielen Zufällen abhängt, wenn sie keine nahen Angehörigen haben und auf Hilfe in Einrichtungen des Gesundheitswesen oder der professionellen Pflege angewiesen sind?

Wenn man es sich "leisten" können muss, alt zu werden, dann ist damit nichts anderes gemeint als das neoliberalistische Dogma: "Du musst dein Leben kaufen!" Wir merken oft nicht mehr, wie die widerlichen Parolen dieser Todesphilosophie sich als "ewige Wahrheiten" in viele Bereiche unseres Alltags hinein verbreiten. Der Werbetexter, der der Volksbank das schäbige Plakatkonzept angedreht hat, ist möglicherweise ein ganz liebenswürdiger Mensch ohne böse Gedanken. Er hat nur seinen Job gemacht und produziert, was allenthalben im Reich der Lebens- bzw. Todesverkäufer erwartet wird.

Die Volksbanken legen übrigens Wert darauf, Genossenschaftsbanken zu sein. In meiner Geburtsheimat hatten die Raiffeisenbanken im späten 19. Jahrhundert entscheidenden Anteil daran, dass die Kleinbauern trotz kargen Bodens endlich einmal auf einen grünen Zweig kamen. Mit solch einer Tradition im Hintergrund sollte man doch sensibel genug sein, auf zynische Slogans von einem Altwerden, das man sich erkaufen muss, zu verzichten.

Das "pädagogisch wertvolle" Börsenspiel

Die nahe Konkurrenz in Düsseldorf präsentierte sich im Herbst übrigens zeitgleich auch ganz auf Linie des herrschenden Geldvermehrungs-Systems. Die Stadtsparkasse bewarb nämlich ihr "Planspiel Börse 2015 für Schülerinnen und Schüler". Die strahlenden jungen Börsensieger auf dem entsprechenden Plakat waren umringt von seriösen Herren und Damen, die ob des großen Könnens der Nachwuchs-Börsianer Beifall, Staunen und wohl teilweise auch Missgunst zum Ausdruck brachten.

Foto: Peter Bürger

Die Börsennachrichten sind heute ja in mehrfacher Hinsicht wichtiger als das Wetter. Wer nicht mehr ganz so jung ist, kann sich an Zeiten erinnern, in denen man nicht die ganze Bevölkerung mit täglichen Kursnachrichten und Unkenrufen für die Reichen belästigt hat.

Man sollte nun annehmen, dass kommunale Sparkassen sich noch durch ein Faible für eine solidarische Ökonomie in der Nähe auszeichnen und pädagogisch irgendwie wertvolle Projekte fördern. Mancherorts beteiligen sich Stadtsparkassen freilich lieber an der Zurichtung der Schülergeneration für eine Form des Wirtschaftens, bei der die Mehrheit der Menschen zwangsläufig die Verliererkarte zieht.