EU verlängert Sanktionen gegen Russland

Bis zur "vollständigen Umsetzung" des Minsker Abkommens sollen die Sanktionen aufrechterhalten werden. Aber wie wird die Umsetzung bewertet?

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Wie bereits trotz des leisen Protests der italienischen Regierung beschlossen, hat die EU gestern die Sanktionen gegen Russland um ein weiteres halbes Jahr bis 31. Juli verlängert. Nun heißt es wieder, dass die Sanktionen bis zur "vollständigen Umsetzung" des Minsker Abkommens aufrechterhalten werden. Die Umsetzung fand in der Tat nicht statt, aber von allen Seiten nicht.

Verhängt wurden die breiten Sanktionen, die angeblich die Deeskalation fördern sollten, aber den Konflikt weiter zuspitzten, am 31. Juli 2014, nachdem die ersten Sanktionen gegen Personen und Unternehmen schon am 17. März in Kraft traten. Sie waren als Reaktion auf die Übernahme der Krim und auf den Krieg zwischen Separatisten und ukrainischen Militärs und Milizen im Donbass, vor allem aber auf den Abschuss von MH17 über der Ostukraine am 17. Juli gedacht, der nun wie bestellt eine scharfe Reaktion ermöglichte, die von den USA und den osteuropäischen und baltischen Ländern gefordert wurde. Das habe eine schnelle Antwort verlangt, hieß es in der Begründung, man könnte auch sagen: eine überstürzte Entscheidung.

Russland wurde der "illegalen Annexion" der Krim und der Destabilisierung der Ukraine beschuldigt. Über die offene Grenze kämen Waffen und Kämpfer in die Ostukraine, die russischen Staatsmedien würden die Separatisten unterstützen. Russland wurde auch dafür verantwortlich gemacht, dass internationale Experten erst verzögert zur MH17-Absturzstelle gelassen, dass die Wrackteile beeinträchtigt und die Leichen der Opfer nicht respektvoll behandelt wurden. Die Sanktionen sollten Russland dazu bringen, an der Friedenlösung mitzuwirken, und sie würden beendet, wenn Russland "beginnt, aktiv und ohne Zweideutigkeiten an einer Lösung der Ukraine-Krise mitzuwirken".

Auffällig war schon damals die vage Sprache, die es weit offen lässt zu bestimmen, was als eine aktive Mitwirkung Russlands gelten könnte. Deutlich war auch hier die Einseitigkeit der Positionierung hinter der ukrainischen Übergangsregierung, die immerhin nach dem fragwürdigen Sturz von Janukowitsch ziemlich schnell einen Militäreinsatz unter dem Titel der "Antiterroroperation" gegen die zunächst noch weitgehend friedlich protestierenden Menschen, bezeichnet als Verbrecher und Terroristen in der Ostukraine, auch mit der Hilfe der Luftwaffe startete und damit wesentlich zur - gewollten? - Eskalation beitrug. Man muss sich nur vorstellen, was los gewesen wäre, wenn die Janukowitsch-Regierung mit Militär gegen die Maidan-Aktivisten vorgegangen wäre, die teilweise bewaffnet und militant waren und über viele Wochen hinweg Häuser und Regierungegebäude besetzt hielten, also ähnlich protestierten wie die Antimaidan-Aktivisten. Nach dem Abschuss von MH-17 stellte auch die ukrainische Luftwaffe ihre Angriffe ein.

Schon am 16. Juli 2014, ein Tag vor dem Abschuss, war auf einem Sondergipfel beschlossen worden, Russland durch eine Erweiterung der Sanktionen stärker unter Druck zu setzen. Damals ging es noch um die Umsetzung von Poroschenkos Friedensplan. Verurteilt wurden wiederum nur einseitig die Handlungen der Separatisten, auf die Moskau Druck ausüben sollte, auch durch eine Schließung der Grenze. Tatsächlich konnten über die von Separatisten kontrollierte Grenze Waffen, Kämpfer und anderes Material sowie Hilfsgüter für die Bevölkerung in den Donbass transportiert werden. Ohne die offene Grenze hätten sich die Separatisten wohl nicht so lange halten können. Am Scheitern des Waffenstillstands trugen beide Seiten bei, Wohngebiete wurden ebenfalls von beiden Seiten beschossen, die Weigerung, mit Vertretern der Separatisten zu verhandeln, weil sie alle Terroristen und Verbrecher sind, hat, um es höflich zu sagen, nicht zur Deeskalation beigetragen.

Als am 22. Juni die Sanktionen um ein halbes Jahr bis 31. Januar verlängert wurden, "präzisierte" der Rat der EU insoweit ein wenig die Forderung, die erzwungen werden sollte, als er die Aufrechterhaltung bzw. die Beendigung der Sanktionen an die vollständige Umsetzung des Minsker Abkommens band, die bis 31. Dezember erfolgen sollte - schon damals war abzusehen, dass dies völlig illusorisch war, zumal Kiew sich weiter weigerte, direkte Gespräche aufzunehmen, und auch den im Abkommen angestrebten Sonderstatus, der zu Wahlen führen sollte, nicht so umsetzte, dass ein Fortschritt möglich war.

Hängt die Umsetzung des MInsker Abkommens ausschließlich an Russland?

Gestern erklärte der Rat der EU, dass die Sanktionen um ein halbes Jahr verlängert wurden, weil deren Dauer von den Regierungschefs im Juni an die "vollständige Umsetzung" des Minsker Abkommens gebunden wurde. Und weil dieses nicht, wie geplant, bis 31. Dezember umgesetzt sein wird, seien die Sanktionen verlängert worden, "während der Rat weiterhin den Fortschritt der Umsetzung überprüft".

Die knappe Mitteilung hört hier auf. Man fragt sich, wie die Regierungen den Fortschritt beurteilt haben. Allerdings ist auch hier von der Ukraine erneut keine Rede, der Rat suggeriert, da nichts weiter ausgeführt wird, dass die Umsetzung alleine an Russland hängt. Das würde voraussetzen, dass Moskau die vollständige Kontrolle über die Separatisten besitzt, was fraglich ist, weil diese auch ihre eigenen Interessen verfolgen, aber auch, dass Kiew alles getan, um die Umsetzung zu ermöglichen, so dass es nur auf Seiten von Moskau an den entschiedenen Schritten fehlt. Mag sein, dass Kiew von der EU nicht nur gedrängt wird, die Reformen fortzusetzen, sondern auch seinerseits das Abkommen umzusetzen, aber das geschieht eher leise und wohl nur seitens einiger Regierungen, die den Sanktionen von vorneherein skeptisch gegenüberstanden.

Verwunderlich mag auch erscheinen, dass gerade jetzt wieder durch die Verlängerung der Sanktionen gegenüber Russland mit den Muskeln gespielt wird, obgleich Moskau dringend für eine Lösung des Syrien-Konflikts gebraucht würde. Für die EU - und dahinter die USA - dient aber der Ukraine-Konflikt der größeren Strategie, die Nato sowie die EU zu erweitern und Russland einzugrenzen. Die Vagheit und Einseitigkeiten der Begründung für die Verlängerung der Sanktionen, ohne eine konkrete Beurteilung über die Mängel der Umsetzung vorzulegen, spricht dafür ebenso wie der Versuch, etwa durch die Verlegung der deutschen Aufklärungstornados an die Südgrenze der Nato, also in die Türkei, Russland zu demonstrieren, dass man auf der Seite der Türkei steht.

Nach dem Abschuss der russischen Maschine hat Moskau das weitreichende Flugabwehrraketensystem S-400 in Syrien auch als Abschreckung gegenüber der Türkei installiert, worauf die Nato prompt reagierte, obgleich die türkische Regierung eine offene Grenze zum IS-Gebiet nicht schließen, statt IS-Stellungen zu bombardieren, lediglich die PKK angreift und wieder in einen Bürgerkrieg mit der PKK im eigenen Land eingetreten ist. Der Nato-Generalsekretär machte die Haltung der Nato gegenüber der Türkei deutlich, wo die deutsche Beteiligung ein wichtiger Bestandteil ist, die deutsche Regierung sprach nur vom Kampf gegen den IS und der Unterstützung von Frankreich (Die Nato: Kampf gegen den IS oder Wettrüsten mit Russland?).