Estland- Russland: Tauwetterzeit im Dezember

Im Unterschied zu den anderen baltischen Staaten setzt Estland auf Entspannung

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Während der litauische Außenminister Linas Linkevicius in der vergangenen Woche in Brüssel vor einer Lockerung der Sanktionen gegen Moskau warnte, setzt Estland in letzter Zeit auf Entspannung.

Am Montag eröffnete das nordbaltische Land in 14 russischen Städten Visastellen, um Russen die Reise nach Estland zu erleichtern. "Mit kleinen, aber kontinuierlichen Schritten sollen die Verhältnisse verbessert werden", so Arti Hilpus, der seit November amtierende estnische Botschafter in Moskau.

Als Hürde für die "Schritte" galten lange die Ukrainekrise und die damit verbundenen EU-Sanktionen, sowie Grenzverletzungen durch russische Kräfte. Vor allem der Fall Eston Kohver erregte die Gemüter - der Beamte des estnischen Inlandsgeheimdienst "Kapo" wurde von russischen Beamten auf vermutlich estnischem Territorium im September 2014 verschleppt - gerade einmal zwei Tage, nach dem Barak Obama in Tallin dem NATO-Mitglied seinen Beistand garantiert hatte. In diesem August wurde Kohver in Russland zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt und kurz darauf gegen einen russischen Spion auf einer Grenzbrücke "ausgetauscht".

Derzeit werden Grenzabkommen zwischen beiden Ländern verhandelt, die schon im Februar von 2014 beschlossen worden waren, jedoch noch von beiden Parlamenten ratifiziert werden müssen. Dabei sollen auch Unklarheiten bezüglich der Grenze besprochen werden, die die estnische Seite mittlerweile mittels Drohnen überwacht. Noch im April war von der Errichtung eines Zauns die Rede.

Für Spannungen zwischen beiden Ländern sorgt generell der Status der russischen Minderheit in Estland, die in etwa 25 Prozent der Bevölkerung von 1,3 Millionen Einwohnern ausmachen. Wer von diesen die Prüfung der schweren Sprache nicht besteht, hat kein Recht auf eine Staatsbürgerschaft und somit auf die Wahlteilnahme, was von russischen Medien und Politikern immer wieder thematisiert wird. Estland hat im September einen russischsprachigen Fernsehsender eingerichtet, in der sich die Minderheit besser artikulieren kann.

Premierminister Taavi Rõivas kam Russland letztens mehrfach entgegen. So erklärte der konservative Politiker Anfang Dezember, dass er nicht an ein ähnliches Szenario wie in der Ukraine glaube, Estland brauche auch keine Nato-Basen, wie dies Lettland und Litauen verlangen. Durch die Nato-Mitgliedschaft sei Estland so sicher wie Großbritannien. Die legendären "grünen Männchen" würden nicht über die Grenze kommen.

Alle drei baltischen Länder errechnen derzeit (erneut) die Schäden durch die sowjetische Besetzung, die nach ihrer Definition von 1940 bis 1941 und von 1944 bis 1991 ging. Rõivas sprach sich jedoch dagegen aus, von Russland als Rechtsnachfolger der Sowjetunion die Wiedergutmachung zu verlangen, die in der estnischen Gesellschaft immer wieder gefordert wird: "Wir sollten lieber in die Zukunft schauen", sagte er.

Durch die Blockade des Reiseziels Türkei rechnet der Chef der estnischen Tourismus-Zentrale mit mehr russischen Gästen. Wenn auch das Land eine weit kürzere Badesaison hat, war in Sowjetzeiten die damalige Sowjetrepublik jedoch für seine Sanatorien bekannt. Die Bahnverbindungen zwischen Tallin und St. Petersburg wurden bereits im Sommer ausgeweitet.