Ramadi: Voreilige Erfolgsmeldung?

Der Widerstand des IS in der Hauptstadt von Anbar ist stärker als bisher berichtet

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Am vergangenen Montag wurde mit dem Hissen der irakischen Flagge auf einem Regierungskomplex im Zentrum der Stadt die Rückeroberung Ramadis ausgerufen. Tags darauf ließ sich der irakische Premierminister mit einem Helikopter in die Stadt fliegen, um dort den Sieg über den IS höchstpersönlich zu proklamieren.

"2016 wird das Jahr des großen und schlussendlichen Sieges sein, die Präsenz des IS im Irak wird beendet. Wir werden kommen und Mosul befreien. Das wird dem IS den letzten und entscheidenden Schlag versetzen", verkündete Abadi. Nach einem Bericht von al-Jazeera kam sein Hubschrauber unter Beschuss.

Nicht weiter gefährlich wurde beteuert. Es sei kein Schaden angerichtet worden, die Angriffe seien aus zu großer Entfernung erfolgt. Doch war es ein erster Hinweis auf die fortwährende Präsenz von IS-Kämpfern.

"Sie sind noch immer da"

An den darauffolgenden Tagen folgten Berichte, welche die Realität vor Ort etwas anders darstellten. Wie zum Beispiel beim Sender France 24, wo der stets gut unterrichtete und kritische Journalist Wassim Nasr anhand einer Karte demonstrierte (siehe auch hier), dass weiterhin große Gebiete der Stadt Ramadi umkämpft sind, bzw. unter Kontrolle des IS stehen.

Bekräftigt wird dies nun durch einen Bericht von Voice of America (VOA). Demnach mussten US-Militärvertreter ihre frühere Einschätzung der Präsenz des IS in der Hauptstadt Anbars korrigieren.

Behauptete man vor ein paar Tagen noch, dass die Anzahl der IS-Kämpfer klein sei, so hat sich nun der Ton geändert. Anscheinend sind die irakischen Sicherheitskräfte mit einem doch ernstzunehmenden Widerstand konfrontiert. Zitiert wird eine anonyme Quelle aus US-Militärkreisen:

Sie sind noch immer da. Sie erweitern ihre asymmetrische Taktiken, um mehr Zeit und Räume zu gewinnen.

Genaue Zahlen der IS-Kämpfer wolle der Offizielle nicht nennen, aber er habe darauf hingewiesen, dass es mehr seien als die paar Hundert, die man zunächst angegeben hatte. Aus Geheimdienstkreisen würde die Zahl 700 genannt. Das sei doppelt so viel wie die Schätzungen zum Wochenanfang.

Daran, dass man keine genaue Zahlen habe, zeige sich, wie groß die Unklarheit darüber sei, was am Boden tatsächlich vor sich geht, kommentiert dies Thomas Joscelyn vom Long War Journal, einem US-Portal, das sich detailliert mit dem Kampf gegen Dschihadisten und al-Qaida-Gruppen im Nahen Osten und darüber hinaus beschäftigt.

IS-Kämpfer in Ramadi. Ausschnitt aus einem Propagandavideo

Unstrittig ist die Bedeutung von Ramadi. Abzulesen daran, dass der IS sehr schnell mit einem Video auf die Rückeroberungs-Botschaft reagierte. Laut dem französischen Dschihad-Analysten Romain Caillet proklamiert der IS, dass es in der Stadt gedreht worden sei, um den Mitteilungen der irakischen Regierung und den USA zu widersprechen, doch sollen viele Aufnahmen aus Zonen außerhalb des Zentrums oder aus der Peripherie stammen.

Die irakische Armee braucht den Erfolg

Die irakische Regierung legt großen Wert darauf, die Rückeroberung Ramadis als Erfolg der irakischen Sicherheitskräfte darzustellen. Man will damit signalisieren, dass es Regierungstruppen sind, keine Milizen, vor allem keine schiitischen Milizen, die in der mehrheitlich sunnitischen Provinz Anbar gegen den IS nicht nur symbolisch, sondern auch militärisch wichtige Orte zurückerobern.

Die Frage, inwieweit doch auch schiitische Milizen beteiligt waren (Irak: Rückeroberung von Ramadi), ist trotz der Beteuerungen von irakischer und US-amerikanischer Seite nicht vollends geklärt. Der gegenwärtige Stand lautet, dass die schiitischen Freiwilligenverbände wahrscheinlich bei der wochenlangen Vorbereitung eine Rolle spielten, aber beim letzten entscheidenden Vorstoß nicht dabei waren und im Hintergrund blieben.

Verlässlich sind solche Angaben erfahrungsgemäß nicht. Wichtig ist die politische Darstellung, wonach es die irakische Armee aus eigener Kraft geschafft hat. Zuletzt tauchten allerdings Zweifel an deren Möglichkeiten auf, ein Gebiet auch halten zu können. Dazu kommen, zumindest in US-amerikanischen Berichten, Hinweise darauf, wonach die Spezialkräfte eng mit der US-Luftwaffe verzahnt sind.

Seit Juli dieses Jahres sollen 630 Luftangriffe auf Ramadi geflogen worden sein, 150 allein in der letzten Woche. Die Stadt ist zu 80 Prozent zerstört, berichtet die kurdische Seite Rudaw.