Die Schlafwandler aus Brüssel

"Familienfoto" vom 17.12.2015. Bild: EU

Zur Lage der EU - Teil 4

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Terror, Ausnahmezustand, Krieg. In atemberaubendem Tempo hat sich die Europäische Union 2015 vom Ideal der zivilen Friedensmacht wegbewegt. Als im Dezember auch Deutschland einem - wenn auch eher symbolischen - Kriegseinsatz in Syrien zustimmte, war es vorbei mit der Illusion, Europa könne sich aus den geopolitischen Großkonflikten des 21. Jahrhunderts heraushalten.

Nur drei Jahre, nachdem die EU mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war, ist der alte Kontinent kein stabiler Ruhepol mehr. Im Gegenteil: Europa ist, wie der "Economist" schon 2014 schrieb, von einem "Feuerring" umgeben, in dem Krise, Krieg und Terror wüten. Ausgerechnet jene Länder, die Brüssel mit der "Nachbarschaftspolitik" stabilisieren wollte, stehen in Flammen.

Und die Konflikte im Krisenbogen von Marokko bis zur Ukraine strahlen immer mehr auf Europa aus. Die doppelte Anschlagswelle in Paris war offenbar in den Lagern des "Islamischen Staats" (IS) in Syrien vorbereitet worden. Und die größte Flüchtlingskrise seit dem 2. Weltkrieg ist direkt auf den Krieg in Syrien, aber auch auf die Krisen im Irak, der Türkei und im Nahen Osten zurückzuführen. Der "Feuerring" bringt Europa zunehmend in Bedrängnis.

Das ist nicht allein die Schuld der Europäer, auch wenn die Interventionen in der Ukraine oder in Libyen alles andere als friedensstiftend gewirkt haben. Zu einem Großteil sind die Ursachen in geopolitischen Manövern der USA, Russlands oder der Golfstaaten zu suchen. Das neue "Great Game" um die Ukraine und der Stellvertreterkrieg um Syrien haben die Region ebenso destabilisiert wie der weitgehend gescheiterte Arabische Frühling.

Allerdings hätte die EU diese Konflikte kommen sehen und rechtzeitig reagieren müssen. Dies gilt vor allem für den Syrien-Krieg. Der Aufbau des "Islamischen Staates", die Anwerbung und Ausbildung "ausländischer Kämpfer" aus Europa, die Massenflucht der Syrer in die Türkei, die offenbar gut organisierte Überfahrt über die Ägäis nach Griechenland - all dies spielte sich direkt vor unserer Nase ab. Die EU konnte, ja durfte das nicht übersehen.

Doch erst, als auf den griechischen Inseln der Ausnahme-zustand ausgerufen wurde, beschäftigten sich die EU-Außenminister mit den "Fluchtursachen", wenn auch ohne greifbares Ergebnis. Und erst, als die zweite Terrorwelle Paris erschütterte, sannen die Innenminister auf Abhilfe. Zuvor hatte man EU-Beschlüsse, die als Reaktion auf den Mordanschlag auf "Charlie Hebdo" im Januar gefasst worden waren, monatelang links liegen lassen.